The XX Im Uebel & Gefährlich, Hamburg


Keiner sagt ein Wort, schlaffe Klamotten, keine Lightshow und viel zu kurz: Das soll das tollste Konzert des Monats sein? Wenn wir es Ihnen doch sagen.

Es dauert gerade einmal so lang wie eine Fußballhalbzeit, aber es fühlt sich an wie Verlängerung mit Elf nieterschießen. Inklusive Hoffen und Bangen, tiefer Freude und Rührung. Und immer wieder Staunen. Über die unspektakulärste neue Band des Jahres. Nur der jungenhafte Jetf-Tweedy-Doppelgänger und sein Karlsson-vom-Dach-Kumpel in praktischen Anoraks im Publikum sehen noch argloser aus als The XX in ihrer schwarzen Alltagsuniform. Sonst steht alles voll mit den international überall baugleichen Indie-Mädchen, Seitenscheitelträgern und 40-Jä’hngen, die sich lieber einen Monat von Zwieback ernähren würden, als ihre Originalpressung von COLOSSAL YOUTH zu versteigern. Irgendwann, es ist schon spät, kommen sie auf die Bühne geschlendert. Niemand traut sich zu applaudieren. So wird es das ganze ebenso kurze wie atemberaubende Konzert über bleiben. Romv Madlev Croft, Oliver Stm, Jamie Smith und Bana Qureshi werden steif dastehen wie Schaufensterpuppen und ihre Lieder in genau der gleichen Reihenfolge wie auf ihrem gefeienen Debüt vortragen. Während der Songs werden alle mucksmäuschenstill sein, um danach ihre Ergriffenheit um so lauter aus sich herauszuklatschen. Oliver Sim wird außer „Wem gehört der? Es ist viel zu kalt draußen, den brauchst Du noch“ zu einem auf die Bühne gepfefferten Schal und “ Vielen Dank“ nichts sagen. Sie werden sich nur am Anfang von „VCR“ einmal vertun und noch mal von vorne beginnen. Und es lächelnd entschuldigen. Die winzige Gitarristin Qureshi wird auch bei der Zugabe noch so wirken, als hätte man sie mit Rohrstücken auf die Bühne geprügelt. Einzig Smith bewegt sich an seinem breiten Kasten, auf dem er den Beat live spielt und ab und an das Becken schlägt, manchmal, als überkäme ihn Tanzlust. Eine Lightshow, die den Namen verdient, gibt es selbstredend auch nicht. Die Vier sind schwarze Schatten im dunkelroten Nebel. Das hört sich total langweilig an? Das klingt ja so gar nicht nach echtem Entertainment? Es ist, neben dem ahnlich unschuldigen Auftritt der Schweizer Singer/Songwntenn Sophie Hunger einen Monat zuvor, das Beeindruckendste, was die Reporterin dieses Jahr live erleben durfte. Weil Sim mit einer Stimme, die so trocken klingt wie unter den Füßen berstendes Eis, seine Parts von „Basic Space“ singt und man ahnt, wie zum Sterben schön er dabei aussieht. Weil Madly Croft “ / am yours non so ncru; 1 don ‚t ever have to leave“ aus „Islands“ haucht und dabei zu laut ins Mikro atmet. Weil man sich bei „Heart Skipped A Beat“, diesem tief traurigen Eingeständnis, nicht zu genügen, wünscht, Raymond Carver könnte das noch erleben: wie hier vier gerade einmal 20-Jährige in Musik umsetzen, was er so unnachahmlich aufgeschrieben hat. Weil sie es tatsächlich hinbekommen, die kühle, gelassene und zugleich tief bewegende Atmosphäre, die ihr Debüt so abhob von den Little-Boots-La-Roux-Mika-White-Lies-Produktionen, auf die Bühne zu übertragen. Weil sie dann auch noch das grandiose „Teardrops“-Cover von Womack & Womack bringen in all seiner Lebensweisheit, für die es keine logische Erklärung gibt. Man kann nur Vermutungen anstellen – sind sie womöglich Stoiker? Seelenverwandte? Spieler? Ausgerechnet mit „Stars“ gehen sie von der Bühne, die Antistars. Das Spiel ist aus.