The Singles


Es kann ja durchaus möglich sein, dass es Leute gibt, denen die Musik von Animal Collective auf Albumlänge ein bisschen Ungemach bereitet, weil: ultra-experimenteller, noisiger Pop, wie Arcade Fire aus einer Parallelwelt. Auch für diese Leute ist die EP „Water Curses“ (Domino/Indigo) gemacht. Vier neue Tracks, drei davon aus den Sessions zum großartigen STRAWBERRY JAM-Album. Alles drauf: ultra-experimenteller, noisiger Pop, wie Arcade Fire aus einer Parallelwelt („Water Curses“), ein Wiegenlied aus dem erweiterten Bewusstsein („Street Flash“), psychedelischer Minimalismus („Cobwebs“), Dream-Piano-Avant-Pop („Seal Eying“).

Experimenteller Minimalismus muss nicht zwangsläufig öde sein. „Hiding From The truth“ (Tonkind -Download only) von Autodrive vs.Jahcoozi, ein Projekt des Berliner Produzenten Robert Koch (Jahcoozi, The Tape), spricht zumindest diese Sprache. Der Titeltrack: dubbiger Minimal House, kantig und catchy. „Sir Your Wife“ ebenso, aber mit dem unterkühlt souligen Gesang von Jahcoozi-Frau Sasha Perera ausgestattet. Und der „Edgar Peng RMX“ überführt den Titeltrack dann auf den Tanzboden.

Wo wir gerade noch bei Arcade Fire waren und ähnlich (alp)traumhaftem Pop, kommen Fleet Foxes gerade recht. Die Fünf-Mann-Band aus Seattle, Washington treibt auf der EP „Sun Giant“ (Bella Union/Cooperative/Universal) die Idee des sakralen Folk-Pop auf die Spitze. Wie Kirchenlieder aus einer besseren Kirche, durchzogen von Spuren archaischen (manchmal sogar gut mittelalterlich anmutenden) Folks. Wunderbar und wie aus einer anderen Zeit. Den späten 60er-Jahren zum Beispiel.

Früher hätte man „LP“ dazu gesagt: „Ringer“ (Domino/Indigo) von Four Tet ist mit 32 Minuten Spielzeit zumindest mehr als eine Single. Allein der erste Track „Ringer“ ist das Eintrittsgeld wert. Fast zehn Minuten lang schieben sich flirrende Analogsynthesizer durch ein post-krautrockendes Techno-Dingens mit Afro-Beat-Anmutung. Kieran Hebden kann aber auch impressionistisches Gefrickel(„Ribbons“), kind of Detroit Techno („Swimmer“) und perkussive Experimentiererei („Wing Body Wing“).

Gestern Nachmittag eine E-Mail erhalten von einem ansonsten sehr vertrauenswürdigen Autoren. Er schreibt unter anderem: „The Last Shadow Puppets ist auf Dauer etwas öde, wie ich gerade feststellen musste.“ Eine Meinung, der wir uns keinesfalls anzuschließen bereit sind. Das „Projekt“ von Alex Turner und Miles Kane mit diesem ausufernden 6oer-Jahre-Twang-Pop ist nachgerade unöde. Die Single „The Age Of The Understatement“ (Domino/Indigo) besticht vor allem durch die B-Seite. Eine Coverversion von „In The Heat Of The Morning“ von David Bowie, circa späte 6oer-Jahre.

What you see is what you get: „Okay No Disco“ (Paradigma Musik/Komapkt) von Gavin Herlihy, geborener Ire, ehemaliger Londoner, jetzt freilich wie alle in Berlin wohnend, ist strictly no Disco, sondern minimalistischer Tech-House, der an den Rändern hübsch ausfranst und sich im Verlauf der sieben Minuten auf dem Plattenteller zu einem buntschillernden Dancefloor-Monster entwickelt.

Zeit für ein bisschen Romantik in der elektronischen Musik. Sean Palm, der Gründer von Railyard Recordings, lässt auf deri2-lnch „Corian“ (Railyard Recordings/Downtown 161) groovigen Minimal House von einer impressionistischen Ambient-Welle fort tragen. Der Neuseeländer Simon Flower gibt dem Track in seinem Remix dann ein paar hübsche Funk-Infusionen.

Kommen wir zu jenem Punkt, an dem diese Rubrik regelmäßig danach schreit, mit ein bisschen Münchener Lokalkolorit versehen zu werden. „Bleu Blanc Rouge“ (TV Eye/Cargo) heilst die zweite Single aus dem Phonoboy-Album pas de temps. Und dieses Lied ist „richtig“gut,weil garagiger, hektomatischer 80er-Jahre-Electro-Punk-Pop, circa Plastic Bertrand. Dass der Remix des Songs von Easy-Listening-Retro-Meister Frank Popp auf der B-Seite noch eine Spur garagiger klingt als das Original, können wir nicht verstehen, finden wir aber gut. „Richtig“ gut.

Die Debütsingle der siebenköpfigen Band The School aus Cardiff, Wales, kommt als ultralimitierte 7-lnch mit pinkfarbenem Bandschriftzug auf dem Cover und auf pinkfarbenem Vinyl. So pink wie Schriftzug und Tonträger aussehen, klingt auch die Musik. Das ist lieblicher, blumenkleidiger 6oer-Jahre-Pop mit Mädchengesang. „All I Wanna Do“ (Elefant Records/Rough Trade) kommt mit einem (milde ausgedrückt) unverhohlenen The-Ronettes-Phil-Spector-„Be My Baby“-Anfang daher Die B-Seite „Valentine“ ist noch ein bisschen verspielter. Circa The Supremes 1966.

Bob Dylan und Alphaville in einem Satz zu erwähnen, mag für manche wertkonservative Heiligenverehrer von Männerrock ein Sakrileg darstellen. Mir doch egal. Beide „Acts“ haben sich auf mehr oder weniger gänsehauterzeugende Weise mit dem ewigen, melancholieimmanenten Pop-Sujet „ewige Jugend“ auseinandergesetzt -lange vor den genialen Textfragementdieben Tocotronic, die das jetzt auch tun. Während Dylan einem anonymen, you“ wünscht, er/sie „möge“ für immer jung bleiben, hymnisiert Alphavillelch-Erzähler Marian Gold sehr bestimmt, er selber „will“ für immer jung „sein“. Auf der Tocotronic-Behandlung des Themas „Für immer jung“ (Ritchie Records/Universal) stellt Dirk von Lowtzow dagegen mit fast schon an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest: „Für immer jung werden wir“ Jugend als ein von welchem Ausgangspunkt auch immer herbeizuführender Zustand, der „für immer“ anhält. Super Sache. Auch musikalisch. Spooky Akustik-Folk aus der parallelen Traumwelt plus Gesang von Julia Wilton (Das Bierbeben). Auf der B-Seite dann gleich der nächste Gänsehautmoment: „Explosion“, der finale, epische Neil-Young-eske Track des kapitulation-Albums in der „Berlin String Theory Version“- arrangiert für Streichquartett, Piano, Harmonium. Alles explodiert. Kein Wille triumphiert. Und du bleibst. Für immer jung.