The Offspring im Interview: „Punkrock hatte es verdient, erfolgreich zu sein“
Dexter Holland und Kevin „Noodles“ Wassermann im Gespräch über Metal, SUPERCHARGED und ihre Bedeutung für die Szene.
The Offspring haben gerade ihr elftes Studioalbum SUPERCHARGED veröffentlicht. Wir trafen Sänger Dexter Holland und Gitarrist Kevin „Noodles“ Wassermann in Berlin und sprachen mit den südkalifornischen Punks über die neue Platte, ihre ungewöhnlichen Metal-Einflüsse, dreißig Jahre SMASH und ihre Bedeutung für die Szene.
ME: Jungs, kürzlich habe ich euch bei den Kollegen der Metal-Hammer-Awards gesehen. Es war eine surreale Situation. Ihr habt einen Preis an In Flames verliehen und neben euch auf der Bühne stand ein Dinosaurier …
Noodles: …hey, hey! Das war nicht einfach irgendein Dinosaurier. Das war ein Bandmitglied von Heavysaurus!
ME: … stimmt, eine deutsche Heavy-Metal Band für Kinder. Ich hatte mich für einen kurzen Moment gefragt: Was haben The Offspring eigentlich mit Metal zu tun?
Noodles: Ganz so weit entfernt von Metal wie man vielleicht glauben mag, sind wir gar nicht. Ich habe schon immer gesagt, dass PARANOID von Black Sabbath eins der besten Alben der Musikgeschichte war. Und noch immer ist. Ich liebe auch Led Zeppelin. Oder Iron Maidens KILLER. Ein großartiges Album …
Dexter: …und vergiss nicht System Of A Down!
ME: Tatsächlich könnte man eine gewisse Metal-Affinität auch auf eurem neuen Album erkennen. Nicht nur, dass das Cover unverschämt an RIDE THE LIGHTNING von Metallica erinnert, ihr habt auch den Song „Come To Brazil“ auf der Platte, der mehr Thrash Metal als Punk ist. Hatte euer Produzent Bob Rock da einen Einfluss?
Noodles: Auf das Album-Cover wurden wir schon mehrfach angesprochen, aber wirklich, das war reiner Zufall. Wir hatten eine ungefähre Vorstellung vom Artwork. Wir wollten es blau halten, wir wollten ein Skelett und der Titel des Albums ist SUPERCHARGED, also gibt es da eben auch Blitze. Das war keine Referenz an irgendwen. Dennoch: Metallica sind natürlich über alle Zweifel erhaben. Es gibt auch tatsächlich eine nette Story zu der Band, denn ich habe einige der neuen Songs unseres Albums mit James Hetfields alter Gitarre eingespielt. Unser Produzent Bob Rock, der sich für einige wesentliche Metallica-Platten verantwortlich zeichnete, hatte da noch ein paar Gitarren mit EmG-Pickups herumstehen. Und die durften wir nutzen.
Dexter: Aber der Sound, ist das wirklich etwas Neues für uns?
Noodles: „Come To Brazil“ ist schon sehr heftig für uns, ja. Thrash Metal trifft es. Es klingt stark nach Sepultura, finde ich. Etwas, dass man von The Offspring eher nicht erwarten würde.
Dexter: Wir sind vielleicht eine metal-angehauchte Punk-Band. Es gibt auf jeden Fall einige Metal-Einflüsse über die Jahre. Auf dem Album SPLINTER gibt es einen Song der heißt „Race Against Myself“, der war auch schon sehr heavy. Ich identifiziere uns als eine ganz klare Punk-Band, aber mit „Come To Brazil“ wollte ich einen Song für die Fans aus Brasilien machen, von denen ich weiß, dass sie diese Metal-Seite des Punks lieben.
ME: Gibt es eine Geschichte zu dem Song?
Noodles: Ja, die gibt es. Es ist so: Egal was wir posten, egal was wir ankündigen, unsere Kommentarspalten auf allen sozialen Medien sind voll mit Brasilienflaggen und der wiederholten Aufforderung: „Come to Brazil“. Selbst wenn wir ankündigen, dass wir nach Brasilien kommen, schreiben die Leute „Come to Brazil“ unter diese Ankündigung. (lacht) Gott möge diese Leute segnen. Irgendwann haben wir uns überlegt, dass wir da einen Song draus machen.
ME: Diese Kommentare findet man tatsächlich bei sehr vielen Rockbands. Was stimmt nicht mit den Brasilianern?
Noodles: Sie sind energetisch und hingebungsvoll. Ein absolut verrücktes Publikum. Das spiegelt sich dann auch auf den Konzerte. Ich habe noch nie so ein Publikum gesehen, wie bei Rock in Rio. Sie kommen und ziehen sich an dich. Sie fordern dich regelrecht ein.
ME: Euer vorheriges Album LET THE BAD TIMES ROLL klang wie ein musikalischer Kommentar auf die politische Weltlage. Die neue Platte ist wieder sehr viel persönlicher geworden.
Noodles: Es gibt wieder mehr Songs, die persönlich sind, das stimmt. „Make It All Right“ etwa, aber auch ein Song wie „Light It Up“, der in erster Linie davon handelt, satt zu sein. Das lässt natürlich Interpretationsspielraum offen.
Dexter: Ja, es geht mehr darum, wie wir uns fühlen und sowas. Der Song „Looking Out For #1“ hingegen ist mehr ein soziales Statement. Er handelt davon, dass sich jeder nur um seine eigenen Interessen kümmert. Ich wollte schon immer einen Song darüber schreiben.
ME: Ihr habt einmal gesagt, dass ihr euch nicht als seine politische Band seht. Das ist aber ziemlicher Unsinn, oder?
Dexter: Wenn wir Dinge in der Welt sehen, besonders Dinge, die uns abfucken, dann hat das natürlich auch einen Einfluss auf unsere Musik. Aber wir versuchen niemandem vorzuschreiben, wie er zu denken hat. Weder in der einen, noch in der anderen Richtung. Das unterscheidet uns glaube ich von einer klassischen „politischen Band“.
Noodles: Es ist mehr so, dass wir die Dinge beschreiben, die wir wahrnehmen.
Dexter: Ja, und ich glaube, das ist am Ende mehr ein soziales, als ein politisches Ding. Mich interessiert, was auf der Welt passiert und wie wir sie zu einem besseren Ort machen können.
ME: Welche Dinge gehen gerade vor sich, die euch beschäftigen?
Noodles: Ich beobachte mit großer Sorge die sich immer stärker aufweichende Grenze von Realität und Fiktion. Wenn du an irgendetwas Obskures glaubst, dann wirst du im Internet Dinge finden, die dich in deinem Glauben bestärken. Völlig egal, wie abwegig es sein mag. Irgendwo in den Weiten des Internets wird sich eine Website finden, die dir recht geben wird. So bilden sich nicht nur Echokammern, man droht sich auch irgendwann in einem Rabbit Hole zu verlieren, dass sehr, sehr tief gehen kann. Und das ist eine Entwicklung, die unsere Gesellschaft massiv beeinflusst. Es gibt heute definitiv mehr Flat Earthlers, als es die noch vor zwanzig Jahren gab.
Dexter: Wir kreieren unsere eigene Wahrheit. Mehr noch: Wir kreieren unsere eigene Realität. Eine gefährliche Entwicklung.
Noodles: Es ist eine ziemlich schlechte Sache für die Demokratie, wenn Fakten keine Rolle mehr spielen. Unsere Gesellschaft droht auseinander zu fallen, wenn jeder seinen eigenen Glauben hat, der nicht mehr auf einem gemeinsamen Boden der Tatsachen fundiert ist.
ME: Ich würde gerne einen kleinen Sprung von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit machen. In diesem Jahr wird euer Erfolgsalbum SMASH 30 Jahre alt.
Dexter: Mann … 30 Jahre…
ME: Zur damaligen Zeit, gab es eine ziemliche Fehde in der Punkszene. Bands wie Green Day und Rancid standen für den sehr offenen und poppigen Bay-Area-Sound. Ihr wart mit Bands wie Bad Religion und NOFX eher Vertreter des etwas klassischeren Southern-California-Punk. Wie habt ihr diese Rivalität damals wahrgenommen?
Noodles: Es war nicht so wie die Eastcoast-/Westcoast-Geschichte im HipHop. Wir saßen nicht auf geladenen Waffen. Es gab eher eine kreative Rivalität. Wir haben wirklich geschätzt, was Green Day gemacht haben, sie sind eine große Band. Unsere Rivalität war eher vergleichbar mit der von The Beach Boys und den Beatles. Man war gegenseitig voneinander inspiriert und gleichzeitig wollte man sich übertreffen.
Dexter: Bevor es zu dieser Szenebildung kam, waren wir eigentlich alle Freunde und haben uns darüber keine Gedanken gemacht. Wir waren damals in Nordkalifornien und spielten in der legendären 924 Gilman Street mit Rancid und Pennywise Shows, noch bevor irgendwer von uns auch nur halbwegs bekannt war. Dort haben wir auch Green Day schon gesehen, wo sie noch am Anfang standen. Man spürte gleich, welches Potential sie hatten.
ME: Ihr selbst habt damals gar nicht mehr an euren Durchbruch geglaubt. Als euer drittes Album SMASH erschien hast du, Noodles, noch als Hausmeister gearbeitet. Ihr habt einmal gesagt, dass es der Siegeszug von Grunge war, der euren Erfolg erst ermöglicht hat …
Noodles: Ich liebe Pearl Jam und Alice in Chains, aber ich weiß nicht, ob sie für die Punkszene so viele Türen geöffnet haben. Es war der Erfolg von Nirvana, der etwas verändert hat. Denn Nirvana waren definitiv eine Punkband. Sie waren vielleicht etwas langsamer, aber sie haben hart zugeschlagen. Die Drums von Dave Grohl waren monströs. Und dann gab es da diese starke Punkrock-Sensibilität in Kurt Cobains Songs. Die Art wie er sie geschrieben und die Art wie er sie gesungen hat – das war Punk. Wir haben Nirvana schon vorher gehört, aber als ich das erste Mal „Smells Like Teen Spirit“ im Radio hörte, dachte ich nur, fuck yeah, endlich! Endlich gute Musik im Radio. Das war näher an dem, womit ich mich identifizieren konnte, als alles andere, was jemals im Mainstream-Radio gehört hatte. Das machte dann auch unseren Erfolg erst möglich.
ME: Was passierte denn, als euer Erfolg kam?
Dexter: Wir wurden vielleicht mehr mit der klassischen Punkszene assoziiert als Nirvana. Als SMASH auf den Markt kam, gab es eine nachwachsende Generation, die uns den Erfolg übel genommen haben. Sie wollten Punk für sich behalten. Nach dem Motto: Punkrock ist nicht für jeden. Das ist unsere Szene und fucking Offspring ruinieren das. Das fand ich schon immer albern. Wir waren damals schon seit 10 Jahren eine Band, wir haben gesehen wie unsere Freunde von Bad Religion, Pennywise und NOFX immer erfolgreicher wurden und wir haben uns wahnsinnig für diese Jungs gefreut. Wir wären nie auf die Idee gekommen, dass sie damit die Szene „ruinieren“ würden.
Noodles: Warum auch? Punkrock war für uns immer die beste Musik der Welt. Punkrock hatte es verdient erfolgreich zu sein.
Dexter: Ron Martinez von der kalifornischen Hardcore-Band Final Conflict hat in den 1990er-Jahren in einem Plattenladen gearbeitet. Er erzählte uns einmal, dass irgendwann die Kids kamen um sich DOOKIE und die SMASH zu kaufen. Ein paar Monate später kamen sie wieder und wollten die Ramones und die Sex Pistols. Weitere sechs Monate später standen die selben Kids vor ihm, verlangten die Stormtroopers of Death und fingen an uns zu verfluchen. „Fuck Green Day, fuck Offspring, die sind nur Sellout!“ (lacht) Sechs Monate! Aber hey, wir waren immerhin ihre Einstiegsdroge.
ME: Dexter, was viele Leute gar nicht wissen: 1995 hast Du mit Nitro Records ein eigenes Label gegründet, mit dem du viele junge Punk-Bands gefördert hast.
Dexter: Oh Mann, es war ein unglaublich befriedigendes Gefühl eine Band zu signen und sich die Zeit zu nehmen, ihre Entwicklung zu begleiten. Ich meine, eine Band wie AFI war für fünf Alben bei uns. Klassische Labels stecken nicht so viel Liebe und Zeit in eine Band. Uns ging es mehr um die Sache, als um den Ertrag. The Vandals, Guttermouth … Ich durfte da tolle Künstler begleiten.
ME: Und nicht zu vergessen die sträflich unterschätzten Rufio. Brett Gurewitz von Epitaph hat einmal gesagt, dass ohne euren enormen Erfolg viele andere Projekte des Labels gar nicht hätten finanziert werden können und ihr die Grundlage für die Weiterentwicklung von Punk geleistet habt. Würdet ihr sagen, dass euer Beitrag zur Szene heute unterschätzt wird?
Noodles: Früher war das vielleicht so, aber ich glaube, das hat sich mittlerweile verändert. Wenn ich heute in Punk-Clubs in Orange County unterwegs bin, ist die Stimmung auch eine ganz andere. Jeder ist cool und entspannt. Junge Punks kommen zu mir und sagen, wie sehr wir sie inspiriert hätten.
Dexter: Welchen Einfluss wir tatsächlich auf die Szene hatten ist eine schwierige Frage. Weißt du, wir haben Punkrock immer geliebt. Es gibt da diese großartige Energie, die Attitude, der Gedanke gegen etwas aufzubegehren, zu rebellieren, aber oftmals haben einfach die Songs gefehlt. Gute, eingängige Songs. Und die wollten wir von Anfang an machen. Vielleicht war das unser Beitrag zu der Szene. Aber wenn Leute sagen, wir haben Pop-Punk erfunden, dann nehme ich das auch.
ME: Seit ein paar Jahren erleben wir auch dank neuer Medien wie TikTok ein veritables Pop-Punk-Revival. Wie nehmt ihr das wahr?
Noodles: Wir waren kürzlich auf dem „When We Were Young“-Festival in Las Vegas, wo die großen Bands aus den späten 90ern und frühen 00er-Jahren gespielt haben. Es war schön zu sehen, dass all diese Bands noch immer da draußen sind und weiterhin großartige Musik spielen. Ich glaube, dieses Revival funktioniert auch, weil die Musik von damals bis heute noch frisch und neu klingt. SMASH ist 30 Jahre alt geworden, aber ich liebe die Songs von dieser Platte noch immer. Ich meine, okay, es ist schwer objektiv zu sein, aber ich merke auch, dass die Kids noch immer gut auf diese Songs reagieren. Es ist großartig, dass wir das, was wir tun, so vielleicht noch ein bisschen länger tun können.
Dexter: 30 weitere Jahre.
ME: Gibt es in diesen 30 Jahren noch etwas, was ihr als The Offspring unbedingt machen wollt?
Dexter: (sofort) Eine Rock-Oper. Eine Punkrock-Oper! Aber sonst … (denkt nach) Ich liebe noch immer, was wir tun, aber es ist Teil des Prozesses einer Band, dass du nie fertig bist. Du versuchst immer zu sehen, wie weit du noch gehen kannst. Es ist gar nicht mal eine so konkrete Sache, wie: Ich möchte ein Buch schreiben. Ich möchte eher versuchen, weiterhin die beste Band zu sein, die wir sein können.