The Kids are alright


What you see is what you get: Familienliebe ist nur ein anderes Wort dafür, alles verlieren zu können.

Nur nicht irritieren lassen. Ja, der Film heißt

THE KIDS ARE ALL RIGHT

. Aber nein, es werden darin keine Drums gesprengt, es werden keine Rolls-Royces in Swimmingpools gefahren, keine Gitarren zu Kleinholz verarbeitet, und es marschieren auch keine blondgelockten Herren durch wabernde Laserfelder. Es sind also keine Who drin, Rock’n’Roll ist Lisa Cholodenkos erster Spielfilm seit acht Jahren trotzdem.Schon in ihrem letzten Film, dem (viel zu) wenig gesehenen Geniestreich

LAUREL CANYON

, hatte die 46-jährige perfekt den zurückgelehnten, libertären Groove des West Coast Rock eingefangen. Auch jetzt sind Joni Mitchell und/oder Jackson Browne wieder eine feste Größe, ob nun Kraft ihrer Namen – die älteste Tochter der Hauptfiguren Nic und Jules heißt Joni – oder mit ihrem unverkennbaren Sound, der prägnant wie kaum eine andere Musik Zeit und Raum definiert hat. Hier stehen Mitchell oder David Bowie aber auch für eine ganz bestimmte Generation, deren Kinder wiederum CSS oder Deerhoof hören – ihre zeitgemäße Version von Musik, die nach einem neuen Ansatz für Sex und Kunst strebt. Die Kinder haben alle recht. Und ein Anrecht darauf zu wissen, wer ihr leiblicher Vater ist. Denn ihre Eltern Nic und Jules sind – der Name verrät es nicht, und es würde keine Rolle spielen, wenn die Handlung sonst nicht in Bewegung gesetzt werden könnte – ein lesbisches Paar, das sich damals künstlich befruchten ließ, mit dem Sperma von ein und dem selben Mann.Im Grunde geht es also um einen Eindringling in eine vermeintliche Familienidylle. Das ist die Prämisse für zahllose Thriller in der Preisklasse von DIE HAND AN DER WIEGE (in dem KIDS-Hauptdarstellerin Julianne Moore vor 18 Jahren erstmals auffiel). Und auch wenn der leibliche Vater von Joni und ihrem Bruder Laser das Matriarchat kräftig durcheinander wirbelt, ist THE KIDS ARE ALL RIGHT doch vor allem eine Sittenkomödie, die sich nicht schämt, ihre Geschichte über Familiendynamik und erwachende Sexualität mit einer unaufgeregten erwachsenen Offenheit zu erzählen, die aus dem amerikanischen Kino fast völlig verschwunden ist: Wie Cholodenko in der Schlüsselszene das komplette Szenario zu Joni Mitchells „All I Want“ auf den Kopf stellt und auf verblüffende Weise ganz grundlegende Dinge über das Wesen von (Mutter-)Liebe erzählt, ganz natürlich und unverstellt, als könne nur ein dokumentarischer Ansatz die Wahrheit durchdringen, gehört zum Besten und Herausforderndsten, was das liberale Kino in den Zeiten von „Modern Family“ zu bieten hat.

Von Lisa Cholodenko, mit Annette Bening, Julianne Moore, Mark Ruffalo, USA 2010 Tomasso Schultze – 30.11.2010