The Housemartins – The People Who Grinned Themselves To Death
Das Sixties- und Gitarren-Revival ist weiß Gott nichts Neues, aber daß es sich so massiv in MÜV-Plazierungen niederschlägt, gab’s bisher noch nicht. Im letzten Heft die Smiths, diesmal die Housemartins: Back te the beat!
Remix? Disco Version?? Nie gehört! Synthesizer, Sound-Computer? Gibt’s nicht! Gesang, Gitarre, Baß und Schlagzeug — mehr braucht der Mensch nicht zum Tanzen.
In der Independent-Szene wimmelt es seit Jahren von Bands, die ihr Heil bei den Wurzeln britischer Pop-Kultur suchen und sich dabei nicht bloß darauf beschränken, einzelne Elemente der 60er Jahre zu übernehmen, sondern die Uhr einfach 20 Jahre zurückdrehen. Bis in die Ohren des Hitparaden-Publikums haben es bisher allerdings nur diejenigen traditionellen Bands gebracht, denen erstens gute Texte eingefallen sind, und die zweitens so originell spielen können, als hätten sie den Beat gerade erst erfunden.
Den Housemartins ist das schon mit ihrem ersten Album gelungen, ihr zweites weicht kaum einen Inch vom einmal eingeschlagenen Weg ab. Neben der klassischen Besetzung werden im Studio zunehmend auch Klavier, Orgel und Bläser geduldet, der Beat darf ruhig ein wenig Soul und Blues haben, aber auf keinen Fall nach glitzernder Pop- und Plastik-Welt klingen. The People Who Grinned Themselves To Death wirkt eher ländlich, und daß die flotte Single „Me And The Farmer“ den Anfang macht, ist sicher kein Zufall. Aber die Freuden des Landlebens sind nur eine Seite der Medaille, „The World’s On Fire“ ist die andere. Oder „Johannesburg“. Texter/Sänger Paul „P.d.“ Heaton hat keine Scheu, sich zu sozialen und politischen Fragen zu äußern, was die Housemartins freilich nicht daran hindert, spritzige Songs auch aus unwitzigen Themen zu machen. Strammes Schlagzeug, trockener Baß, unverzerrte Gitarren und Pauls helle, eindringliche Stimme sind die Grundausstattung und reichen der Band für die Hälfte der Nummern völlig aus. Besonders wenn Tasten und Gebläse hinzukommen, erinnern Heaton (der auch mit Volldampf Mundharmonika spielt), Stan Cullimore (Gitarre), Norman Cook (Baß) und Dave Hemingway (Schlagzeug) mitunter ein wenig an den Style Council vor drei, vier Jahren — mit dem deutlichen Unterschied, daß die Housemartins besser singen können. Ihre mehrstimmigen Gesangs-Sätze — und sei es nur simples „Bap-bapbap“ — sind meisterhaft. Aus diesem Album lassen sich ohne weiteres noch etliche chancenreiche Singles auskoppeln. (
Geschichte
Sie leben im nordenglischen Kingston Upon Hüll, im Volksmund einfach „Hüll“ oder „The Fish City“ genannt. Nach Reisen kreuz und quer durch England hatte sich Sänger Paul Heaton Anfang der 80er in der 270 000-Ein wohner-Stadt niedergelassen und per Zettel im Fenster eine Band gesucht. Mit Stan Cullimore, Norman Cook und Hugh Whitaker war er sich von Anfang an nicht nur musikalisch, sondern auch politisch einig: für eine Stärkung der Gewerkschaften und — noch wichtiger — für eine Ablösung der Regierung Thatcher durch die Labour Party. Das tun die Housemartins aber nicht mit dem verstockten Ernst, dem man von ähnlich gelagertem Reserve-Revoluzzern wie den Redskins oder Billy Bragg erwartet. Die vier verstehen es im Gegenteil meisterhaft, ihre „Message“ mit skurrilem Humor und immer einem guten Spruch auf der Lippe an den Mann zu bringen.
Daß sich die vier mit ihrem Engagement nicht nur Freunde machten, läßt sich unschwer vorstellen: Konservative Zeitungen versuchten immer wieder, ihnen ans Bein zu pinkeln, Lücken in der Band-Politik und dunkle Punkte in der
Housemartins-Vergangenheit aufzudecken. Es , ist ihnen bis heute nicht gelungen. Auch die Trennung von Schlagzeuger Hugh, Ende letzten Jahres, verlief in jeder Hinsicht freundschaftlich — zumal er mit Dave Hemingway gleich einen fähigen Nachfolger präsentieren konnte, der sich nahtlos in die Band gefügt hat. Und während jedermann versucht, die Housemartins in die handelsübliche Rolle von Pop-Stars zu zwängen, wehrt sich die Band mit Statements wie: „Leute, die in unsere Konzerte kommen, nur weil sie uns für sexuell attraktiv halten, sollten einen Termin beim Psychiater buchen und mal die Birne zum Service bringen!“
Hauptquartier der Housemartins (dt.: Mehlschwalben“) ist das „House Of Strangeness“, in der Newland Avenue 173, Hüll, Humberside.