Teilgeläuterter Rüpel
Razorlight und ihr Sänger Johnny Borrell wollen keine Szenekasper mehr sein. Sie haben Größeres vor. Herr Vox, Herr Martin, rücken Sie gleich mal ein Stück!?
Er hat einen Auftritt im amerikanischen Denver abgebrochen, weil er keine Lust mehr hatte. Er hat die Freundin von Strokes-Gitarrist Albert Hammond Jr. als Hure beschimpft. Sein ehemaliger Kumpel und Libertines-Bandkollege Pete Doherty hat ihm einen Schlag ins Gesicht verpasst. Liam Gallagher hat sich auch schon abfällig über ihn geäußert. Die Liste der Ausfälle und Auffälligkeiten ist lang und zeigt, dass Johnny Borrell so einiges macht- sich allerdings nur wenige Freunde.
Obwohl er mit seiner Band Razorlight vor zwei Jahren mit UP all night ein prima Debüt vorgelegt hat, liest man wenig von Borrells musikalischen Qualitäten, sondern ständig davon, was für ein Stinkstiefel er ist. Viel Grund, das zu ändern, sieht er scheinbar nicht. In der Mai-Ausgabe des New Musical Express zog Borrell mal wieder kräftig vom Leder. Ausgiebig beschwerte er sich über The Kooks: „Ihre Single ist das Furchtbarste, was ich je gehört habe. Sie klingt, als wollten sie sich auf den Bauch legen, ihren Arsch in die Höhe strecken und die BBC anflehen, sie mal eben in den Hintern zuficken, damit das Zeug auch ja im Radio läuft.“
Auch in Deutschland hat sich der Kerl nicht den besten Ruferarbeitet. Die Razorlight-Auftritte, die vor zwei Jahren stattfinden sollten, fielen ins Wasser.“.Ich hatte Probleme mit meiner Stimme, weil ich es nicht gewohnt war. an so vielen aufeinanderfolgenden Abenden zu singen. Späterwurden neue Konzerte angesetzt, von denen wir gar nichts wussten, da waren wir schon wieder im Studio“, berichtet Borrell. Und wie war das doch gleich in Denver, im Januar 2005, als der Sänger mitten im Konzert einfach von der Bühne gestürmt war? „Kurt Cobain hat einmal gesagt, das schlimmste Verbrechen von allen sei, den Leuten etwas vorzuschwindeln.Wenn ich an jenem Abend in Denver weiter auf der Bühne gestanden hätte, hätte ich geschwindelt. Ich halte es für besser, wenn man in Momenten der Unpässlichkeit zugibt, dass es nicht mehr geht.“
Beeindruckt hat ihn der erste Besuch seiner Band in den Vereinigten Staaten auf jeden Fall, sonst wären auf dem neuen, nach Wochen der Namen- und Ideenlosigkeit schließlich schlicht RAZORLlGHT benannten Album nicht gleich mehrere Songs enthalten, in denen Amerika explizit Thema ist. Deutschland kommt bisher in keinem Stück vor, aber das kann sich ändern, da Razorlight nun doch ihr erstes Konzert hier gegeben haben. Die Band stellte sich im Rahmen der „British Music Week“ im Berliner Postbahnhof vor und nutzte dabei die Gelegenheit, neues Material zu präsentieren, das nicht mehr viel mit dem gemein hat, was man von UP all night kennt. Borrell behauptet, seine Band spränge stilis tisch „von Television zu den Talking Heads, von Patti Smith zu Blondie“.
Spuren von Neo-Punk gibt es kaum noch. „Diese Zeit liegt längst hinter mir. Ich habe das Zeug mit ein paar anderen erfunden. Das war großartig, aberich werde bestimmt nicht ewig in irgendwelchen Kneipen von Camden hängen bleiben und Musik machen, die man dort gutfindet. Das Schlimmstefür mich wäre, wenn man sich später einmal an Razorlight als Band erinnert, die bloß Teil einer Szene war. Uns geht es um viel mehr. Mit jedem Schritt versuchen wir, unseren eigenen Raum zu schaffen.“
Im RaZOrlight-Camp denkt man in größeren Kategorien. Das konnte man schon erahnen, als die Band letztes Jahr mit einiger Verve bei Live 8 in London auftrat. Oder als sie im Vorprogramm von U 2 zu sehen war. Jüngste Höhepunkte: ein Auftritt mit Richard Ashcroft auf einem riesigen Kricket-Sportfeld in Manchester und ein Remake des Kinks-Klassikers „Sunny Afternoon“, das mit Ray Davies höchstpersönlich eingespielt wurde. „Wenn man sich Bands wie die Kinks, Ui oder meinetwegen Coldplay vor nimmt, fragt man sich: Warum begeistern sie eigentlich die Massen? Finden die Leute sie gut, weilBono ein Politaktivist ist oder Chris Ma rtineine berühmte Frau an seiner Seite hat? Nein, sie hören ihnen zu, weil sie mehr gute Songs im Programm haben als die meisten anderen Bands. Dieses Niveau wollen wir auch erreichen. Wir wollen genauso vielegute Songs wie Uz und Coldplay schreiben.“ Man kann es gar nicht glauben. Klingt da bei Borrell Respekt für die Kollegen durch? Erste Anzeichen der Läuterung eines Rüpels? >» www.razorlight. co.uk *-