Tangerine Dream – Warschau, Eisstadion
Wir wären besser zum Amazonas gegangen „, sagt Edgar Froese verdrießlich, schaut sich im Warschauer Eisstadion um und schüttelt den Kopf.
In der Tat: Ein durchaus glaubhaftes Konzept, wert eines Werner Herzogs: Froese als Fitzcarraldo, der Tonnen seiner super-empfindlichen Elektronik über die südamerikanischen Berge schleppt, um ein Studio im Herzen des Dschungels zu errichten. Vermutlich wäre das nicht sonderbarer gewesen, als mitten im Winter durch Polen zu touren.
Außerhalb des Stadions herrschen zwei Grad unter Null. Als ich auf den Balkon hinaus in die Warschauer Nacht trete, sehe ich, wie Tausende von Fans, die ohne Tikket geblieben sind, nach der Hälfte der Show immer noch versuchen, hereinzukommen.
Publikum und Musiker hocken auf einer dicken Eisschicht, die eine frostige Atmosphäre über das Konzert legt, zumal als während der ersten Nummer der Strom ausfällt und ein neues Kabel gelegt werden muß, um die Megawatts der Computer und Synthesizer mit dem kränkelnden polnischen Stromnetz zu verbinden. Angesichts dieser Umstände hatte die siebenköpfige Crew aus Deutschland darüber abgestimmt, ob sie das Handtuch werfen sollte und schließlich mit vier zu drei Stimmen entschieden, weiterzumachen.
Die arktischen Bedingungen, nicht zuletzt hervorgerufen durch die Inkompetenz der offiziellen Künstler-Agentur, verliehen dem TD-Set aber geradezu Biß und Schärfe – und beeinflußten offensichtlich auch nicht den Enthusiasmus, mit dem die Gruppe vom polnischen Publikum gefeiert wurde. Zu hören war ein neuer, zugänglicherer Tangerine Dream-Set mit strukturierten Melodien und erkennbaren Harmoniefolgen. Es wirkte beinahe so. als wenn sie nun. nachdem jeder elektronische Effekt im zeitgenössischen Musik-Vokabular erforscht wurde, eine Pause einlegten, um zurückzublicken. Ein Warschauer Organisator kommentierte in entzückter Verwunderung, daß jedes der hier gespielten Stücke irgendwo auf der Welt ein Hit sein könne, besonders aber die eingängige Rhythmus-Nummer ihres 1979er LOGOS-Albums. mit der sie beide Spielhälften abschlössen. Und plötzlich glich die Temperatur in diesem Eisstadion eher tropischen Graden am Amazonas.