Swing Out Sister


Zwischen Neuanfang und Nostalgie: In der amerikanischen Neo-Swing-Bewegung besinnen sich Punks, Rockabillies und Yuppies auf die guten alten Zeiten - und das ganze Land tanzt mit. Kritiker prophezeihen dem neuen Trend allerdings bereits eine kurze Halbwertszeit.

ABENDSCHWOF IM NEW YORKER „SUPPER CLUB“. ZUM HITZIGEN Sound einer Swing-Big Band wirbeln junge Männer mit breitkrempigen Hüten, großflächigen Krawatten und Hosenträgern, in weitgeschnittenen Zoot-Suits mit wattierten Schultern und eng zulaufenden Hosen gekonnt Partnerinnen mit Andrews-Sisters-Frisuren und raschelnden 40er-Jahre-Kleidern über den Tanzboden. Nein, das ist keine Szene aus einem alten US-Filmmusical. Das hier ist 1998, der Sommer, in dem die Renaissance des Swing und des Lebensgefühls der USA der 30er und 40er lahre vom Insider-Trend zur landesweiten Bewegung schwoll, zu einem Lifestyle wurde, in dem die enthusiastischeren seiner Anhänger völlig aufgehen – vorn Bücherregal voller Raymond Chandler-Krimis bis zum stilechten Oldtimer vor der Tür.

„Mit diesen Yuppies will ich nichts zu tun haben. Diese Typen sind snobistisch und elitär, denen geht es doch nur rein um das Pflegen von Nostalgie den perfekt polierten alten Cadillac und so Zeugs.“ Der da so schimpft ist Steve Perry, Frontmann der Cherry Poppin‘ Daddies, der erfolgreichsten der neuen amerikanischen Swingbands, die von ihrem Major-Debüt „Zoot Suit Riot“ bislang knappe 1,3 Millionen Stück abgesetzt hat. Vom Punk kommend, begann Perry Anfang der 90er, inmitten der Hochzeit des Alternative Rock, seine mit Ska und Rock durchtränkte, wenig tradtionalistische Version von Swing zu entwickeln. „Wir spielen nicht in Las Vegas, sondern in Punkrock-Clubs. Mir geht es weniger um reinrassigen Swing, als um die Wurzeln der amerikanischen Pop-Musik“, erklärt Perry. „Was Swing betrifft, sind wir von den Big Bands der Dreißiger und der Race Music geprägt, den 45er-Scheiben der schwarzen Künstler, die nicht in lukeboxen auftauchten. Ehrlich, diese Platte war nie für ein Mainstream-Publikum gedacht. Wir sind von dem Erfolg völlig überrascht worden.“

Im Anrollen war die neue Swing-Welle im US-Underground bereits seit 1989. Sie begann in den Jazzclubs von San Francisco, wie dem „Deluxe“ oder „Nancy Myer’s Speakeasy“. Zu den Neo-Swing-Bands der ersten Stunde zählt die Royal Crown Revue. Die Sieben-Mann-Combo – benannt nach einer Haarcreme – entstammt wie die Cheny Poppin‘ Daddies der Punk-, Ska- und Rockabilly-Szene. Die Mannen von der Westküste mischen Doowop, lump Blues, Rockabilly, Jazz und Swing zu einem Gebräu, das Trompeter Scott Steen „hard boiled swing“ nennt. Jaks wir machen, hat definitiv mehr Ecken und Kanten als etwas, das Glenn Miller gemacht hätte“, meint Steen, und Sänger Eddie Nichols erklärt, wie er zum Swing kam: „Ich wollte etwas anderes machen, etwas, das sich aus der amerikanischen Musik entwickelt hat, die ich liebe.“

Die neue Swing-Begeisterung ist nicht zuletzt eine Gegenbewegung zum Rock ’n‘ Roll „Gitarren-dominierter Vier-Viertel-Rock hat die Ätherwellen vierzig Jahre lang beherrscht, deswegen klingt Swing so unglaublich knackig“, findet Michael Moss. Er ist Herausgeber des Magazins „Swing Time“, das sich mit allen Seiten der neuen Welle auseinandersetzt. Die jungen Swinger zeichnen sich laut Moss durch ihren Pragmatismus aus: Sie greifen Elemente aus den 20er, 30er, 40er und 50er lahren auf und mischen sie im Do-it-yourself-Stil des Punk wild durcheinander. Klassische Krimi-Autoren wie Chandler, Hammett und Spillane werden ebenso wiederentdeckt und schätzen gelernt wie alte Klamotten, Tänze (so etwa der Lindy-Hop, der in einem Werbespot der Modekette Gap die ganze TV-Nation in Swing-Laune versetzte), Möbel, Autos und das Design des Prä-Vietnam-Amerikas. „Unsere Rebellion ist konservativ, ein netter Aufstand“, kommentiert Moss den neuen Stil und verweist auf den generationsübergreifenden Effekt: „Diese Bewegung schließt die Eltern mit ein – und die Großeltern.“

Zu den erfolgreichsten Bands der Neo-Swinger zählt das Brian Setzer Orchestra. Zog der Gitarrist mit der blonden Tolle früher mit seinem Rockabilly-Trio Stray Cats durch die Gegend, bringt er heute eine 16köpfige Big Band an den Start. „Ich spiele keinen strikten Swing“, erklärt der 39jährige, „ich spiele eine Rock ’n‘ Roll-Gitarre vor einer traditionellen Big Band. Diesen Traum hatte ich schon lange. Wir mischen Rock ’n‘ Roll mit Swing, Rockabilly und ein wenig Jazz.“ Aufgewachsen in New York, entdeckte der jugendliche Setzer Big Band-Musik parallel zum Punkrock. „Wir waren noch minderjährig und kamen nur in Tanzduos rein. An einem Abend sahen wir uns die Thad Jones/Mel Lewis-Big Band an, am nächsten die Ramones im CBGB.“ Wie kam der Mann auf die Idee zu so einem doch eher aufwendigen Unternehmen? „Alle, denen ich damals von meinen Plänen erzählt habe, hielten mich für verrückt: ‚Eine Gitarre vor einer Big Band? Das kennen die Leute nicht!‘ Trotzdem machte ich weiter und buchte zwei Shows. Zur ersten kamen 34 Besucher. Die zweite war dann ausverkauft, ohne Radio oder Werbung, nur aufgrund von Mundpropaganda.“ Seit 1992 bereits sind die Musikerzusammen, doch erst seit dem „Swingin‘ Summer of’98“ erhalten sie angemessene Gagen. Seit das Brian Setzer Orchestra das dritte Album „The Dirty Boogie“ veröffentlicht hat, laufen die Telefondrähte heiß, alle wollen die siedend heiße Truppe. In Amerika ist Setzers Publikum buntgemischt: Fans aller Altersgruppen drängeln sich da, Pomadetollen und Pettycoats findet man ebenso wie Tattoos, Nasenringe und Bierbäuche. Vor der Tür steht jedesmal ein regelrechtes Museum von auf Hochglanz polierten alten Straßenkreuzern. „Ich ermutige Oldtimer-Fans, mit ihren alten Schlitten zu unseren Shows zu fahren. Sie können dann direkt vorm Auftrttsort parken“, freut sich Setzer. Er hat selbst ein paar alte Schlitten in der Garage stehen. „Ich habe einen 32er Ford, einen 57er Dodge und einen Cadillac von 1960. Sie sind alle sauber und sie fahren – das ist das wichtigste!“

Einen etwas anderen musikalischen Kurs fahren die Squirrel Nut Zippers, die sich mit ihrem zweiten Album „Perennial Favorites“ (das bei uns Anfang nächsten Jahres erscheinen soll) in den Top 20 der US-Charts plazieren konnten. Angeführt von der banjospielenden Sängerin Katharine Whalen und Sänger Jim Mathus stehen sie auf den Hot Jazz der 20er Jahre – mitsamt „Hi-de-ho“- und „Zip-a-dee-doo-dah“- Refrains , den sie unonhodox mit Elementen aus Bluegrass, Jump Blues, Ragtime und Western Jive anreichern, dabei aber sehr traditionell halten. Wenn die Squirrels live loslegen, verwandelt sich jede Konzerthalle in ein verrucht-verrauchtes Speakeasy der Prohibitionszeit. „Meine Eltern haben Jazz und Blues gehört“, erzählte Mathus in einem Interview der „Woche“, „ich mochte das sehr. Weil Kinder aber revoltieren müssen, habe ich in Rock ’n‘ Roll-Bands gespielt, bis ich 18 war. Irgendwann habe ich dann wieder den Jazz und Swing entdeckt. Sie schienen mir mehr Substanz zu haben. Einem Film verdanken Big Bad Voodoo Daddy den Durchbruch. Ihre chili-scharfen Nummern pfeffern „Swingers“, eine Komödie um eine Clique cocktailschlürfender und Caddy-fahrender cooler Kumpels, mit der der neue Trend 1996 erstmals eine größere Öffentlichkeit fand. Der Stil des Sechsers aus Ventura/Kalifornien ist mit „Psycho Swing“ und „Big Band gone wild“ treffend beschrieben. Frontmann Scotty Morris findet zwischen Swing-Renaissance und Punkrock durchaus Übereinstimmungen: „Beide Formen haben nichts mit Mainstream zu tun. Cab Calloway schwamm nicht mit der Masse! Auch Louis Armstrong nicht, selbst wenn die Presse so wollte. Louis war wild, richtig echt wurde sein Trompetenspiel erst in den kleinen Clubs, wo er zwischendurch am Joint zog.“ Morris hatte sich Ende der Achtziger vom Westcoast-Punk abgewandt, weil die Szene immer gewalttätiger wurde. „Anfangs hatte ich nicht die Eier, Swing zu spielen, aber ab 1992 ging s los – und wir hatten nie Schwierigkeiten, ein Publikum zu finden. Bands wie wir und die Royal Crown Revue galten lange als Geheimtip. Aber als ‚Swingers‘ dann in die Kinos kam, platzte der Knoten.“ Was seine Garderobe angeht, bedient sich Scotty Morris bei den „guten alten Zeiten“: „Ich kaufe Bundfaltenhosen, Two-Tone-Schuhe, weiße Unterhemden und Hosenträger in Secondhandläden. Ich habe auch eine große Sammlung von Krawatten, Nadelstreifenanzügen und Zoot-Suits.“ Muß man eigentlich zu einer Swing-Show einen Zweireiher tragen? „Du mußt nicht. Du mußt nicht mal etwas Altes tragen. Jede Art von Zwang würde ich hassen. Andererseits macht es aber Spaß, sich etwas Besonderes anzuziehen, wenn man ausgeht.“

Das Swing-Revival bringt auch eine Revolution auf dem Dancefloor mit sich. Nach den Solo-Zeiten von Rock, Punk und Grunge wird es wieder Mode, zu zweit über den Tanzboden zu schweben. „Das ist für mich die einzige Form zu tanzen“, betont Cherry Poppin‘ Daddy Steve Perry. „Wie die Leute in Discotheken tanzen, das sieht aus, als würden sie die Luft vögeln oder für eine Kamera posieren. Beim Paartanz kann man Kontakte mit einem anderen Menschen knüpfen und muß bestimmte Regeln beachten, um dem anderen nicht auf die Zehen zu treten. Ich habe den Individualismus der Einzelgänger satt! Wir müssen uns wieder näherkommen! Ich bin ein Klassizist, ich glaube, daß Leute ihr Handwerk beherrschen und dessen Geschichte kennen sollten. Und ich plädiere für die Romantik! Wenn Menschen zusammen tanzen, dann ist da für kurze Zeit das Gefühl, als könnte die Welt in Ordnung sein.“

Wie lange die Swing-Welt noch in Ordnung sein wird, ist fraglich. Szene-Insider befürchten bereits, daß das Revival zu schnell und explosionsartig vonstatten geht und – verwässert und totgehypt – eher über kurz als über lang den Weg von Grunge, Crossover, Neo-Punk, Neo-Ska und wie sie alle heißen gehen wird. „Swing Time“-Herausgeber Michael Moss schätzt, daß USA-weit etwa 200 aufstrebende Neo-Swing-Combos in den Startlöchern stehen. Und Musikmanager Jay Siegan prophezeit: „Aus jeder einzelnen Ska-Band wird jetzt eine Swing-Band. “ Er muß es wissen: Er hat selbst einige von ihnen unter Vertrag. Man darf gespannt sein, ob es, wie Michael Moss hofft, bei den MTV Video Music Awards nächstes Jahr eine gesonderte Kategorie „Swing“ geben wird. Bis dahin gilt erstmal der alte Merksatz: It don’t mean a thing, if it ain’t got that swing!