Sven Väth: Spiel ohne Grenzen
Gibt es ein Leben nach dem Tod von Techno?Seit w Jahren ist Sven Väth (31) mit von der Party. Bis 60 will er es sicher noch machen, trotz einiger Vorbehalte gegen das Rave-Business. Gute Zeiten, Sven?
Ein düsteres Gewerbegebiet zwischen Frankfurt und Offenbach. Daneben der Main und ein Autobahnzubringer. Zwischen ‚Teppich Domäne‘, ‚Jacque’s‘ Weindepot‘ und angefressenen Fassaden geht’s über eine schmucklose Betonrampe in einen schmuddeligen Hof und dann hinauf in ein Loft. Willkommen in Deutschlands Technozentrale. Hier sind die Firmen Eye Q, Recycle Or Die und Hardhouse zu Hause. Derzeitiger Jahresumsatz: mehr als zehn Millionen Mark. Doch bei aller Hektik seines multimedialen Daseins herrscht im erdfarben gehaltenen Büro von Firmengründer und Technoguru Sven Väth (31) fast meditative Stille. Es gibt Kamillentee und eine Überraschung: Dschingis Khan-Bart und Charakter-Zopf sind ab.
Hat dem Friseur sich jetzt die Kugel gegeben?
Nein. Auf meiner Japantour habe ich erfahren, daß wir das Omen, unseren Club, schließen müssen. Und da habe ich gedacht, na ja, das ist doch ein gutes Zeichen. Also: neuer Look. Inzwischen haben wir aber eine Verlängerung bis Oktober bekommen. Und danach wird alle sechs Wochen wieder neu entschieden.
Wieso ist es ein gutes Zeichen, wenn dein Club zumachen muß?
Die Frage ist doch, ob ich überhaupt noch Lust habe, einen Club in Frankfurt zu machen. Eigentlich habe ich jetzt andere Pläne und Visionen. Zum Beispiel ‚Cocoon‘, das wird so eine Art Tanzspektakel mit Zirkusartisten in verrückten Kostümen, mit Feuer und Trapez und speziellen mobilen Dekorationen — die Mutation der Insekten, ein surrealistisches Spektakel für Frankfurt, Duisburg, München und Berlin. Ich habe noch eine Menge vor. Vielleicht will ich auch irgendwann mal schauspielern. Drei oder vier Filmangebote habe ich schon bekommen.
Als du mit der Musik angefangen hast, warst du in deinem Genre fast allein. Inzwischen gibt’s große Konkurrenz. Wie gehst du damit um?
Ich mache meine Sache, weil ich sie liebe und lebe. Wenn manche jetzt das Treppchen zum DJ-Pult nur betreten, weil sie ihr Ego posen wollen und auf den Zug draufspringen, um die schnelle Mark zu machen oder in Zeitungen zu stehen, dann sollen sie’s doch lieber lassen. Früher mußte man den Abend im Club ganz allein gestalten. Der Gedanke, daß da zwei oder drei DJs stehen könnten — unmöglich! Die haben mir damals alle den Vogel gezeigt. Aber das Fieber hatte mich gepackt. Das war eine richtige Aufgabe. Und heute? Heute bedienen sich doch nur noch alle. Techno ist etabliert. Trotzdem fragen viele, warum denn eigentlich keine neuen DJs kommen, wieso es immer die gleichen sind. Aber die alte Garde — Jeff Mills, Laurent Garnier, Richie Hawtin oder Carl Cox, alles Leute, die schon zehn Jahre dabei sind — die alte Garde eben ist mit dieser Musik angetreten, und sie lebt auch diese Musik. Nichts gegen die neuen Leute in der Szene, aber denen fehlt teilweise Kraft, Überzeugung oder auch musikalischer Background.
Die aktuelle Elektronikszene bekennt sich derzeit ziemlich eindeutig zu bekannten Vorbildern wie Tangerine Dream, Kraftwerk, Yellow Magic Orchestra oder Can, so auch die Bands auf euren Labels. Alter Wein in neuen Schläuchen also?
Sicher, es gab Kraftwerk, Eno, Sakamoto und andere, die damals experimentelle elektronische Musik gemacht haben, und wir sind dadurch auch inspiriert worden. Aber unser Ding kommt direkt aus den Clubs, aus dem Tanzgeschehen. Klar, Kraftwerk war auch schon groovig. Aber bei uns gab es dann die Fusion von House und elektronischer Vergangenheit. Und daraus ist dann letztlich etwas Neues entstanden.
Das war vor fünf Jahren. Aber was ist heute?
Momentan ist alles ziemlich jazzy, trippig und ragga-beeinflußt. Eine Compilation mit dem Titel ‚Give Em Enough Dope‘ hat mich vor kurzem förmlich vom Hocker gerissen — wirklich schöne Easy Listening Music mit Groove. Ich finde es im übrigen gar nicht so schlimm, wenn alte Sounds wieder neu aufgerollt werden. Die elektronische Musik ist ein Spiel ohne Grenzen. Das macht sie so interessant. Momentan zum Beispiel kommen viele Impulse aus England. Ist denn von deiner ursprünglichen Techno-Idee heute überhaupt noch etwas übrig?
Der Hauptgrund, weshalb ich überhaupt mit dem ganzen Zeug angefangen habe, ist das Tanzen. Ich bin ein Tänzer. Beim Tanzen kann ich mich gehenlassen. Der Begriff ‚Trance‘ ist oft mißverstanden worden. So wie in Indien, Afrika oder Südamerika religiöse Rituale stattfinden, so produzieren wir mit unserem Hightech-Equipment primitive Beats. Spirituality through technology — der Computer ermöglicht es, daß wir uns auf archaische Weise wiederentdecken. Sich fallenzulassen, wird einem heutzutage schwergemacht. Durch diese Infogesellschaft mit 1000 Fernsehkanälen wird den Leuten doch total die Bremse reingezogen.
Wenn sich nun alle beim großen Abtanzen fallenlassen und den ganzen Bullshit vergessen, wer kümmert sich dann darum, daß der Bullshit weggeschafft wird?
Ich kümmere mich darum, daß die Leute eine schöne Zeit haben. Die Leute haben Vertrauen zu mir. Sie wissen, daß ich ihnen nichts vormache. Man lacht, man schaut sich in die Augen, und man ist glücklich. Und wenn’s auch nur in diesem einen Moment ist.
Spater gehen viele dann wieder zum Arbeitsamt und holen sich ihre Stütze ab -— nicht dein Problem?
Sicherlich ist das nicht mein Problem. Aber wir haben mit unseren Labels und mit unserer Musik eine ganze Menge Leute motiviert, die jetzt sagen ‚Es geht auch anders‘. In ganz Deutschland gibt es jetzt Labels, Magazine, Schallplattenläden, spezielle Fashion für die Kids, und das gab es vorher nicht.
Aber vielen Kids ist Clubwear zu teuer, und CDs kosten auch Geld.
Dafür spiele ich im Radio, bei HR 3. Da kann jeder umsonst drei Stunden aktuellen Sound mitschneiden. Wir machen in Frankfurt auch regelmäßig Benefiz-Veranstaltungen für Obdachlose und einiges mehr. Was ich tun kann, das tue ich. Nur: Auch ich stecke im System. Auch ich muß mir meine Clubwear selber kaufen.
Und diese Löcher da in deinem Sweatshirt?
…waren schon drin, als ich es gekauft habe.
Techno ist heute nur noch Geschäft. Die Raves sind Abzockveranstaltungen mit schwindendem Sponsoreninteresse, die Love Parade ist eine schwitzige Megashow unter dem Motto ‚Techno regiert die Welt‘. So sehen inzwischen sehr viele die Szene. Was ist wahr?
Jede Jugendkultur bekommt irgendwann einmal ihre eigene Dynamik. Und viele Dinge, die dann passieren, haben durchaus einen bitteren Beigeschmack. Aber man sollte nicht alles über einen Kamm scheren. Die Loveparade zum Beispiel ist eine Super-Super-Veranstaltung.
Wer ist schuld am Ausverkauf von ‚Love, Peace & Unity‘?
Das ist doch absoluter Blödsinn. Wenn sich Leute beklagen, dann sollen sie doch etwas ändern. Ich tue meinen Teil, um die Musik weiterzuentwickeln. Aber wir müssen einfach damit leben, daß jetzt gewisse Leute Techno-Playback ausverkaufen. In Deutschland sind wir nun an einem Punkt angekommen, an dem deutlich wird, daß kreative Leute der ersten Stunde verführt worden sind, sich haben kaufen lassen. Es ist schon ziemlich bitter, wenn man auf MTV oder Viva ‚Eine Insel mit zwei Bergen‘ hört.
Man sagt, du hättest nichts ausgelassen, vor allem Drogen nicht.
Ich bin ein extremer Mensch und habe meine Erfahrungen bis zum Limit gemacht und abgehakt. Höher, schneller, breiter — das ist Mist. Da müßte bei uns noch eine ganze Menge mehr an Aufklärungsarbeit betrieben werden. Als vor sieben Jahren meine Tochter geboren wurde, habe ich von einem Tag auf den anderen aufgehört. Das war hart. Heute weiß ich, daß Musik allein genug Power hat, daß sie dir alles gibt, was du brauchst.
Wird Sven Väth, der Techno-Papst, beim Wort Familie weich?
Ich bin zwar mit der Mutter meiner Tochter nicht mehr zusammen. Aber das Kind weiß, wer der Papa ist. Ich sehe sie öfter. Sie war mit mir auch schon auf der Love Parade. Seit anderthalb Jahren habe ich eine feste Freundin und bin richtig verliebt. Familie ist für mich unwahrscheinlich wichtig. Ich liebe meine Mama und habe auch viel Kontakt zu meiner Oma und zu meinen Brüdern. Zu meinem Vater ein bißchen weniger. Aber ich weiß, wenn’s mir schlecht geht, kann ich heim auf die Couch.
Sven Väth in Pantoffeln im elterlichen Wohnzimmer?
Ja, ganz gemütlich. Ich bin in Obertshausen, also auf dem Land, großgeworden — mit Baumhaus, Jugendbanden und Kreidler.
Wie verlief dein letzter Gesundheits-Checkdenn so?
Ach, mir geht’s eigentlich ganz gut. Nur auf meinem linken Ohr habe ich etwas Verlust im Höhenbereich. Ist ja auch kein Wunder, wenn man seit zehn Jahren den Kopfhörer am Ohr hat und im Sound steht. Ich nehme mir jetzt einmal im Jahr zwei Monate frei und reise, zuletzt auf die Philippinen. Aber ich erhole mich auch einfach beim Spazierengehen oder beim Schwimmen.
Du wirst im Oktober 32. Wie reagierst du, wenn dich junge Typen als alten Sack bezeichnen?
Vielleicht bin ich ja einer. Manchmal, wenn ich so zwischen den Kids tanze, fragen die mich ‚Und du machst hier noch so rum?‘ Dann antworte ich ‚Das wird auch in 30 Jahren noch so sein‘.