Spider Murphy Gang – München


Ein bayrisches Phänomen: Für die Nordlichter ist die SMG so exotisch wie Krachlederne und Fingerhakeln - im Süden hingegen gehen ihre Platten weg wie warme Semmeln.

Wer sich dem Phänomen Spider Murphy Gang nähern will, der muß erst mal alles über die Neue Deutsche Welle vergessen. Die S.M.G. sind ein spezifisch Münchnerisches Phänomen nicht nur wegen der Sprache. Warum ausgerechnet sie es geschafft haben, über den Lokalmatadoren-Status von Bands wie Nighthawks oder United Balls hinauszukommen? Der bayerische Herrgott mag’s wissen auch wenn es dafür etliche einleuchtende Gründe gibt.

Die Band hat sich nicht, wie das hier an der Isar so üblich ist, aus alten Gruppen rekrutiert. Günther Sigl, Sänger, Bassist und Texter der Band, war Bankkaufmann, Barny Murphy (Gerhard Gmell), Gitarre und Mitsinger, war Femmeldetechniker und ist der einzige waschechte Münchner, Michael Busse, Piano, Orgel, ebenfalls Mitsinger, hat sein Physikstudium an den Nagel gehängt, Franz Trojan, Schlagzeuger, hat als einziger bisher „nur getrommelt“. Die Musiker haben ihre Ursprünglichkeit nicht als Session-Sklaven für Disco-Musik vergeudet, sich auf kein künstliches Konzept eingelassen, auf kein großes, aber weitentferntes Idol geschielt. Nein, die Spiders blickten höchstens geradewegs und unbeirrt rückwärts. Das sagt ja schon der Name. Die Zeile aus Elvis Presleys Jailhouse Rock“: „… Spider Murphy plays the saxophone“ lieferte ihn.

Rock’n’Roll spielten sie zuerst in dem heute nicht mehr existenten „Memo-Land“ (Besitzer Memo Rhein produzierte ihre erste LP). Zuerst unter Ausschluß der Medienöffentlichkeit, aber mit ständig wachsender Fangemeinde. Der gehörte auch Georg Kostya, Funk- und Fernsehmoderator und Rock’n’Roll-Spezialist an. Der suchte für eine neue Radio-Sendung des Bayerischen Rundfunks („Rockhouse“) eine beinharte Hausband. Mit den Spiders hatte er sie gefunden – und sie die Öffentlichkeit. Sie konnten sich im Rahmen dieser Sendung ihre heute unbezahlbare Routine erspielen und zugleich ihren Instinkt bewahren für das, was sie können. Der Satz ist wichtig man sollte ihn nicht vergessen!

Angeregt von Kostyas Idee, durch das „Rockhouse“ allmählich eine neue Volksmusik zu schaffen, diskutierte man immer angeregter über deutsche Texte. Verständlich hieß nun mal: weg von den Ami-Texten! Heute singt Günther Sigl Münchnerisch (eine verständlichere Variante des echten Bayrisch) und zwar über Alltagstratsch, Münchner Gschichtn, wo die Helden „Tscharli“, Cleo oder Viereck heißen, „merci“ sagen, und bei der Jagd nach ihren Träumen oft in hilflose Situationskomik stolpern. Ein Vorwurf gilt sicher nicht: Die Spiders haben nicht eine Masche gefunden und daraus ein Erfolgspullöverchen gestrickt. Das ging alles ganz zwangsläufig vor sich und hat eben funktioniert.

„Ja und dann?“ frei nach ihrem neuen Song „Mit’n Frosch im Hois und Schwammerl in de Knia“ haben sie sich dem verwirrten, aber schnell begeisterten Publikum gestellt. Angriffe von anderen Seiten blieben nicht aus: Folklore-Bayern, Mundart-Kitsch, Nostalgie-Trip, usw. Das gilt nicht, man kann die Spiders nicht mit Bands wie etwa Ideal vergleichen. Die Spiders sind eine typische Pub- also Publikums-Band, nicht kopflastig, nicht modisch, sondern das Sprachrohr der ansonsten schweigenden Mehrheit. Ihr Publikum besteht nicht aus Typen, die über Akkorde diskutieren, sondern aus solchen, die vorwiegend am Wochenende mal „auf den Putz hauen“ wollen. Das heißt tanzen, austoben, rumschmusen.

Günther Sigl schaut diesem Volk genau aufs Maul, deshalb schreibt er keine verdrechselten, künstlichen Texte. Seine Refrains kann jeder mitsingen, seine Typen kennt jeder: die kleinen Vorstadthelden und -Schönheiten, die komischen Verlierer, die Lausbuben-Streiche und Kneipen-Sprüche. Da ist Gefühl echt und nicht sentimental, das Schlagwort heißt „volksnah“. Das sind also die neuen Volkslieder, von denen der Georg Kostya geträumt hat und die eine eigene Art von Kunst sind Günthers Person ist natürlich wichtig, mit ihm kann sich wohl jeder im Publikum identifizieren, ein Vorstadt-Charmeur, der nicht auf den Mund gefallen ist. Nur Außenstehende können bei den Spiders heute von einem Übernacht-Erfolg sprechen – in Wahrheit haben sie sich schrittweise nach oben gearbeitet, sich Zeit gelassen. Nach der ersten LP (mit Cover-Versionen von Rock’n‘-Roll-Oldies) hat’s zwei Jahre gedauert, bis ROCK’N’ROLL SCHUAH rauskam. Da kannten die Münchner Spider-Fans die Lieder längst auswendig. Sie sind alle zu Gassenhauern geworden, das „Rock’n’Roll Rendezvous“, der „Champion aus Giesing“, der „Elvis aus Schwabing“ und die „Rosemarie“. Neue kommen ständig dazu. Das Publikum nimmt sie mit offenen Armen auf.

Wer ihr „Heimspiel in München“ Ende September erlebt hat, war dennoch fassungslos: Zwei Abende war der Circus Krone ausverkauft – für die Spider Murphy Gang wurde die „Rückkehr“ nach einer ausgiebigen Tournee zum Triumphzug. Da fehlten nur noch die Transparente, ansonsten ging’s zu wie seinerzeit beim legendären Beatles-Konzert. Allerdings – in Ohnmacht ist keiner gefallen, hysterisch sind die Spider-Fans nicht, auch keine Punks, Poppers oder gestylte Rock’n’Roll-Figuren. Eher so ein Familien-Querschnitt von 15 bis 50, die einfach ihr Volksfest feiern. Schunkelatmosphäre, Fußballplatzrummel, das Publikum war eindeutig lauter als die Band, von der man im Saal kaum mehr was verstand. Nur jene, die die neuen Songs nicht kannten (wieviele waren das wohl?) mußten den Eindruck bekommen, daß die Musik nach dem Muster von Dieter Thomas Heck’s Mitklatsch-Parade aufgebaut ist. Ich glaube, es wäre kaum einem aufgefallen, wenn S.M.G. experimentelle Musik gespielt hätte – und da liegt natürlich die Gefahr. Wenn das zur Gewohnheit wird, dann muß sich die Band verdammt in Acht nehmen, um nicht steckenzubleiben. Was soll man sich mit originellen Arrangements abquälen, wenn die Leute nur den Refrain mitsingen wollen?

Doch die neue LP DOLCE VITA wischt solche Bedenken vorerst zur Seite. Die Spiders haben sich vom starren Rock’n’Roll-Konzept gelöst, hantieren locker mit Zusatzelementen. „Wer wird denn woana“ und „Skandal im Sperrbezirk“ sind ausgezeichnete Nummern, „Schickeria“ ist der Song in einer Stadt, in der man nicht mit der grauen Mauer-Depression Berlins, der Industrie Düsseldorfs, der Noblesse von Hamburg zu kämpfen hat, sondern mit Türstehern, Klatschkolumnisten, Föhn, Oktoberfest-Touristen und bayerischer Gemütlichkeit. Natürlich werden die Spiders früher oder später von dieser Schickeria „entdeckt“ werden. Das wird ihrem trockenen Humor hoffentlich nichts anhaben. Oder original Günther Sigl zum übermütigen Publikum: „Also, paßt auf, verstehts, die Ansagen, die mach immer noch ich, host mi?“