Smashing Pumpkins: Mellon Collie & The Infinite Sadness


Dass Billy Corgan und das, was von seinen Smashing Pumpkins übrig ist, heute einen schweren Stand haben, wird einmal mehr von der neuen Doku-DVD "If All Goes Wrong" bestätigt. ME-Leser Christian Frei hat das Trauerspiel zum Anlass genommen, sich den Klassiker MELLON COLLIE & THE INFINITE SADNESS noch einmal vorzuknöpfen.

2007 war ZEITGEIST erschienen, das Comeback-Album der Smashing Pumpkins. Doch mit dem Titel hatte das Album zum Zeitpunkt der Veröffentlichung leider nicht mehr viel gemeinsam. Überhaupt wird sich so mancher musikalische Neueinsteiger gefragt haben, was es denn mit dieser Band auf sich habe, als er Billy Corgans fragwürdige Show als Headliner bei Rock im Park gesehen hatte. Und auch ein Großteil der alten Fans dürfte sich gewundert haben, warum Billy Corgan neue Musiker um sich schart, die so ähnlich aussehen, wie die Ur-Pumpkins, was letztere leider als Statisten in einer Corgan-Diktatur degradiert.Um die Faszination an dieser Band zu verstehen, muss man eine Reise in die Vergangenheit machen, in eine Zeit als Billy Corgan noch Größe statt Größenwahn hatte. Als er noch Flanellhemden statt Nachthemden trug. Als aus seinem Kopf noch Haare und Ideen sprießten. Und als unter Indie-Kids derjenige als cool galt, bei dem SIAMESE DREAM im Plattenregal stand. Mitte der 90er waren die Smashing Pumpkins der heißeste Scheiss, den man aus Übersee zu hören bekam. Billy Corgan, D´arcy, James Iha und Jimmy Chamberlain waren die vier angesagtesten Gestalten des Alternative-Rock, seit sich Kurt Cobain eigenhändig ins Nirwana befördert hatte.In diese Zeit gebar Corgan den Doppelschlag MELLON COLLIE & THE INFINITE SADNESS, welches quasi schon vor der Veröffentlichung zum Meilenstein erkoren wurde. Bereits beim Kauf hatte man das Gefühl, etwas ganz besonderes erworben zu haben. Als sei man Zeuge, wie Musikgeschichte geschrieben wird. Und in der Tat gelang der Band hier ein derart ausladen- des, die Möglichkeiten des Rock´n´Roll ausschöpfendes Referenzwerk, dass man nur noch hochachtungsvoll salutieren konnte, bei dem was sie einem da zwei Stunden lang um die Ohren haute. Herrje, wollte man damals ein Tape mit dem Album für sein Autoradio aufnehmen, brauchte man eine 60er und eine 90er-Kasette!!!Musiziert wurde mit der ganz großen Geste, schwelgerischen Melodien und sehr viel Pathos.Als Einstieg gewährte man uns noch eine ruhige Piano-Melodie. Danach wurde gerockt, geschmachtet, geträumt, gelitten und geschrieen. Böse Zungen behaupten ja, ein Doppelalbum könne nur selten das Niveau auf Albumlänge halten. Doch diese belehrte das Quartett aus Chicago eines besseren. Wir hören eine junge Band auf dem Zenit ihres Schaffens, die selbst in ihren härtesten Momenten noch gefühlvoll und verletzlich klingt. Einzelne Songs hervorzuheben fällt schwer bei diesem Füllhorn an Kreativität. Eckpfeiler könnte man an den Singles ausmachen: Das überschwängliche „Tonight, tonight“, das aggressive „Zero“, das verträumte „Thirty Three“ und der Pop-Song „1979“. Und wenn Corgan zu Beginn von „Bullet With Butterfly Wings“ ein fieses „The world is a vampire“ ins Mikro raunst, dann ist das einer der ergreifendsten Momente des 90er-Jahre-Alternative- Rock. Man kann heute vielleicht nicht mehr erklären warum, aber alles hier hatte Größe. Weil man Corgan damals noch alles geglaubt hat. Er war noch kein kahlköpfiger Sonderling, sondern der Visionär, der größte Rock-Star des Jahres 1995, auf dessen Brust die Aufschrift „Zero“ prangte. Sicherlich ein schwieriger Charakter. Aber einer mit überlebensgroßen Songs und einem Schlagzeuger, der keine Wünsche offen lässt: Jimmy Chamberlain trommelt als gäbe es kein Morgen mehr und spielt sich damit in den Rock-Olymp gleich neben John Bonham, Keith Moon und Dave Grohl. Ohne ihn wäre das alles nur halb so schön.Was sollte danach noch folgen? In Zukunft wollte Corgan neue Wege gehen. In der Rockmusik habe er hiermit alles gesagt, ließ Corgan damals verlauten und behielt Recht. Er verglich es mit einem Auto, welches er nun endlich auf Höchstleistung gebracht habe. Nun wolle er in einen neuen Wagen steigen.Nach der experimentellen und ebenfalls gelungenen Folge-Platte ADORE, kehrte er wieder zu rockigeren Klängen zurück, konnte aber nie mehr an die Klasse von 1995 anknüpfen.

Christian Frei – 27.01.2009