Schallplatten-Herstellerin Silke Maurer im Gespräch: „Ich liebe schon den Geruch von Vinyl“
Wir haben mit der „Handle With Care“-Gründerin Silke Maurer über ihre Liebe zum Vinyl, die guten alten Neunziger, eine nachhaltig wichtige Begegnung mit DJ Hell sowie über das Comeback der Schallplatte gesprochen.
Was bieten Schallplatten, das anderen Tonträgern fehlt?
Es ist eine Frage des Geschmacks. Schallplatten sind schwer, verschmutzen, verkratzen. Aber: Heruntergeladene Musik wird in einer Datei oder auf deinem Telefon gespeichert. Manche Leute finden ihre Musik nicht wieder. Andere sind besser organisiert. Vinyl ist haptisch. Ich mag das Gefühl, wenn du es berührst. Wie ein schönes Buch. Du kannst ein Buch auf deinem Kindle lesen, aber da hast du kein Cover, kannst das Buch nicht riechen. Für mich persönlich ist es der Geruch. Ich liebe den Geruch von Vinyl. Ich liebe den Moment, in dem die Kisten ankommen und wir sie öffnen.
Noch immer wie am ersten Tag?
Ich mache das jetzt seit 30 Jahren, aber das hat sich nicht geändert. Der Geruch des Vinyls, der Geruch des Papiers! Das Gefühl, wenn man es berührt, mit einer schönen Prägung, den schönen Papieren! Wenn ich mir Schallplatten anhöre, kann ich nicht stundenlang dasitzen und sie im Loop laufen lassen, ohne mich an das zu erinnern, was ich gehört habe. Nach 20 oder 25 Minuten muss ich meinen Arsch hochheben und die Schallplatte umdrehen, die Nadel anheben, eine weitere Schallplatte herausnehmen und die Nadel platzieren. Das macht den Unterschied für mich aus, und ich glaube für viele andere auch.
Erzähle uns doch mal von besonders verrückten Kunden. Die gewöhnlichen haben ja oft nicht die spannendste Geschichte im Gepäck.
Wir hatten einige davon, aber die wirklich verrückteste Geschichte und der Kunde, über den wir noch heute sprechen, ist ein Typ, der zu uns gekommen ist, nachdem er die Nacht in einem Club verbracht hat. Wir saßen alle zusammen in einem 150 Quadratmeter großen Loft. Er kam mit seinen riesigen Drogenaugen herein, stand in der Tür und hielt eine Blutkonserve in der Hand. Ich habe keine Ahnung, wie er da ran gekommen ist. Blut für eine Transfusion. Er war sehr, sehr nervös. „Ich möchte eine Schallplatte drucken“, sagte er. Er faselte etwas von Puff Daddy, der seinen Vinyls immer einen Tropfen Blut hinzufüge. Ich und meine Kollegen waren verblüfft. „Bist du noch bei Trost?“, fragten wir. „Das hier ist Deutschland!“ Die Pressmaschinen waren sowieso nicht im Loft und das Presswerk würde so etwas niemals zulassen. Ein großer amerikanischer Künstler hat vielleicht eigene Pressmaschinen. Wir nicht. Es gab zwar eine Zeit, in der wir CDs mit Parfum-, Schokoladen- oder Blumengeruch drucken konnten. Bei Schallplatten ging das nicht.
Das war hoffentlich die verrückteste Story?
Besonders nach den Wochenenden kommen die Leute ständig mit verrückten Ideen zu uns. Eine andere Geschichte: Es gab einen Typ, der in Raten zahlen wollte. Ich schlug vor, einen kleinen Vertrag auszuarbeiten. Er stimmte zu, holte Stift und Messer heraus, schlitzte seinen Finger auf und unterschrieb mit Blut. Das sei die einzig wahre Unterschrift, behauptete er.
Was war Deine allererste Schallplatte?
In Bezug auf die Herstellung? Als ich nach Berlin kam, wusste ich nicht, ob meine Firmenidee funktionieren würde. Ich fing ganz klein an. In meiner Wohnung, von meinem Schreibtisch aus. Mit ein wenig finanzieller Hilfe von meinen Eltern. Mein Vater war Geschäftsmann. Er weigerte sich, mir Geld einfach so zu geben. Er dachte, ich würde die ganze Nacht in Berlin feiern. Er hat einen Vertrag aufgesetzt. Wenn dein Unternehmen erfolgreich ist, sagte er, zahlst du mir das Geld zurück. Die Schallplatten meines ersten Kunden habe ich ihm persönlich nach Hause geliefert. Heute sind wir groß und die Platten gehen an die Vertriebe. Ich kann mich noch erinnern, wo er wohnte und wie ich damals mit 200 oder 300 Platten die Treppe hinauf gestiegen
bin.
Die guten alten Neunziger.
Damals gab es noch die große Love Parade in Berlin. Eines Tages bekam ich einen Anruf vom berühmten DJ Hell. Gigolo war damals das größte deutsche Techno-Label. Er hatte einen Remix, den er in einer Woche an der Siegessäule spielen wollte. Dort endete die Love Parade, dort wurde laute Musik für Millionen gespielt. Er sagte: „Hey, Mädchen, wenn du diese Platte für mich fertig kriegst, ich brauche nur drei oder fünf Testpressungen, dann presse ich zukünftig nur noch bei dir!“ Es war zeitlich nicht zu schaffen. Master, Pressplatte, Pressstempel und so weiter in nur sieben Tagen. Unmöglich! Ich flehte meinen Lieferanten an. „Du musst es schaffen. Versuch‘s, versuch‘s, versuch‘s!“, bettelte ich. Das war vor 23 Jahren. E-Mails gab es nicht. Wir arbeiteten noch mit Faxgeräten und Thermopapier.
Und dann?
Am Freitagabend erhielt ich den Lieferschein mit einer UPS-Sendungsverfolgungsnummer. Die Schallplatte sollte mich am Samstag erreichen. Am Samstag der Love Parade. Ich sagte mir: Wir schaffen es! Ich sah mich bereits mit der Platte in der Hand. Ich saß im Büro und habe dann irgendwie den UPS-Fahrer verpasst. Ich weiß nicht wie. Sein Name war Stoppy. Daran erinnere ich mich noch. Als ich sein Auto am Ende der Prenzlauer Allee stehen sah, rannte ich ihm hinterher und kriegte ihn ein. Er war davon ausgegangen, dass ich an einem Samstag nicht im Büro war und wollte Montag liefern. Endlich hielt ich diese drei Vinyls in der Hand und rief Hells Management an. „Ich habe sie! Ich habe sie!“ DJ Hell spielte diese Test-Vinyls spät abends an der Siegessäule. Am nächsten Tag hatte er ein Interview mit MTV und erwähnte „Handle With Care“. Von diesem Tag an kamen sie alle zu uns.
Wie viele Platten hast Du selbst zuhause?
Ich bin kein DJ. Ich bin nicht einmal ein Sammler. Ich habe ein paar Proben unserer Arbeit aufbewahrt, die mir gefallen. Auch um zu zeigen, was wir im Laufe der Jahre getan haben. Wie zum Beispiel die Boxen von Sven Väth. Diese Boxen produzieren wir seit 15 Jahren. Einige von ihnen werden jetzt auf Discogs teuer gehandelt. Wir stellen zwei Millionen Platten pro Jahr her. Unsere Bestellungen liegen zwischen 300 bis 1000, manchmal 3000 Stück und mehr. Da kannst du dir vorstellen, wie viele Kunden wir betreuen.
Um die Du Dich umsichtig kümmerst.
Wir sind seit 22 Jahren richtig im Geschäft. Wir fühlen uns in unserer Nische sehr wohl. Die Leute kennen uns. DJs sprechen von uns. Wir sind ein Name. Ich gebe nicht einmal viele Interviews. Wir wollen Untergrund bleiben. Ich komme ja ursprünglich aus der Elektro-Szene aus Frankfurt. Heute machen wir Vinyl für die ganze Welt, auch alle Genres: Rock, HipHop, Pop, Klassiker, alles. Das hat sich im Laufe der Jahre geändert. So wie die Krugerrand-Vinyl, die du unten gesehen hast.
Welcher Moment in Deiner Karriere war der bisher beste?
Meine besten Momente sind die vergangenen 22 Jahre mit meinem Team. Jeder Tag ist ein bester Moment. Ich bin sehr glücklich. Mein Team sind meine Freunde. Der Moment, in dem ich hier reinkomme, selbst in Zeiten von Corona, in denen wir uns nicht so oft sehen, ist etwas Besonderes. Es ist kein bestimmtes Festival oder Treffen mit einem bestimmten Kunden. Ich bin froh, dass ich tun kann, was ich gerne mache. Ich bin froh, dass ich es zusammen mit so besonderen Menschen machen kann.