Sie werden ewig leben


Einleitung: Vor zwölf Jahren ließ eine neue britische Hype-Band mit ihrer dritten Single „Live Forever" auch in Deutschland mehr und mehr Rockfans aufhorchen. Da waren Oasis längst dabei, sich als Könige von Cool Britannia in die Rockgeschichte einzumeißeln. Jetzt erscheint das Best-Of-Album STOP THE CLOCKS. Wir wagen den Rückblick (und haben bei den Gallaghers nach Dem Rechten gesehen).

Am 4. Dezember 1993 publiziert die englische Musik-Wochenzeitung Melody Maker ihre erste Story über eine neue Band aus Manchester. „Viele Leutescheinen heute Platten aufzunehmen, einfach, weil sie sich die Zeit vertreiben wollen“, moniert deren laut MM „charismatisch traurig dreinblickender Sänger“ Liam Gallagher und stellt klar: „Uns geht’s darum, Klassiker zu schreiben. „Schon bald wird die Boulevardpresse auf die Band aufmerksam, die da so große Töne spuckt und im Februar 1994 auf einer Fähre nach Holland eine Schlägerei anzettelt und prompt des Landes verwiesen wird. Der „Buzz“, den dieser Haufen Arbeiterklasse-Typen um das Brüderpaar Noel und Liam Gallagher jetzt innerhalb weniger Wochen aufwühlt, ist selbst für die gern hyperventilierende britische Szene ungewöhnlich intensiv. Die trendige BBC-Sendung „The Word“ lässt Oasis noch vor Veröffentlichung ihrer ersten Single auftreten, einzig aufgrund ihres Rufes als explosive Live-Band. Am 2. April 1994, neun Tage vor dem Erscheinen der Debüt-Single „Supersonic“, stellt das andere Musik-Weekly, der NME, die Band in seiner Newcomer-Sektion vor. Im Interview legen die Gebrüder Gallagher jenes durch nichts zu trübende Selbstbewusstsein an den Tag, das zu ihrem Markenzeichen werden wird. Ob man keine Angst habe, die drückenden Erwartungen nicht erfüllen zu können, fragt das Blatt. „Ach wo , antwortet Noel. „Wenn .Supersonic erscheint, wird alles klar werden.“ Oasis seien die „Anti-Pavement„, stellt der Melody Maker den Vergleich mit der US-Indie-Hipster-Band der Stunde an: „Sie verachten unnötigen Firlefanz und Cleverness um der Cleverness Willen. Sie biegen ein in eine Tradition von Bands wie T-Rex, The Kinks, den Pistols, The La ’s und den Yardbirds, die Songs geschrieben haben, die sich im kollektiven Bewusstsein der Popwelt festgezurrt haben.“ Noel erklärt dem Magazin die Marschrichtung: „Neun von zehn Bands, die im Melody Maker interviewt werden, sagen: .Naja, wir machen Musik zu allererst uns selber, und wenn jemand die CDs kauft, ist das ein Bonus.‘ Schwachsinn! WIR machen Musik für den Typ, der jeden Tag die Straße runtergeht, um seinen scheiß Daily Mirror und seine Zigaretten zu kaufen, und in seinem Leben läuft nichts, und Knete hat er erst recht keine. Nachher ist er wieder daheim, und weil er keine Platten kaufen kann, schaltet er das Radio an, und plötzlich pfeift er mit, und als der Song zu Ende ist, sagt er sich: ,Fucking hell, hast du den Song gehört?‘ DARUM geht’s uns.“ Die Ausgabe mit dieser Story ist mit dem 9. April 1994 datiert – nach englischen Gepflogenheiten liegt sie schon am Dienstag, den 5. April in den Läden – dem Tag, an dem sich Kurt Cobain das Leben nimmt. Eine Koinzidenz von Symbolwert; die Wachablösung für Grunge ist unterwegs.

Wir schlagen den NME vom 23. April 1994 auf. Während die Leserbriefseite mit den Ergüssen trauernder Cobain-Fans angefüllt ist, genießen die Gallaghers, die gerade auf UK-Tour sind, das Privileg ihrer ersten großen NME-Story. Der Reporter protokolliert einen mit saftigen Worten geführten Streit der beiden – ebenfalls bald ein Markenzeichen der Band. „Ich hasse den Scheisskerl!“, schnauzt Liam in Richtung Noel. „Genau deswegen werden wir die beste Band auf der ganzen Welt sein: weil ich die blöde Sau so hasse!“

So sahen in der Woche die NME-Singles-Charts aus: 1) Erasure, 2) Prince, 3) Take That, 4) Tony Di Bart, 5) Crash Test Dummies. Aber dann gab es da auch noch die NME-Indie-Charts, und das waren die einzigen Charts, die in den Augen der wahren Musikliebhaber zählten. Die Nummer eins: „Supersonic“ von Oasis.

Ein entscheidendes frühes Datum in der Oasis-Geschichtsschreibungistder27. Mai 1990. An diesem Sonntag pilgerte der 17-jährige Liam Gallagher mit 30.000 anderen Fans zum längst legendär gewordenen Open-Air- Konzert der Stone Roses auf der einstigen Chemiemüllabladeinsel Spike Island im Mersey River bei Manchester. An der Pforte in ein neues Pop-Jahrzehnt waren die Roses Manchesters ganzer Stolz und die Band, die zusammen mit den Happy Mondays den lndie-Kids das Tanzen beigebracht hatte. Frühere Bands aus der Industriestadt in den Midlands – Magazine, Buzzcocks, New Order, Smiths etc. – hatten ä ebenfalls als „typisch Manchester“ gegolten. Aber sie i hatten für das Manchester der Kunsthochschulen gestanden, mit einer Ästhetik, die auf einer Wellenlänge war mit der „in-crowd“ Londoner Hipster-Zirkel. Den Roses und den Happy Mondays war nun der Trick gelungen, aus der lokaltypischen Figur des Flachland-Prolls in Kangol-Polo und Schlotterhosen samt Vorliebe für Billigdrogen und „Fuck-the-middle-class“-Attitüde eine landesweite Trendfigur zu machen. Klein Gallagher war bis vor Kurzem Hip-Hop-Fan gewesen, seine Breakdance-Moves hatte er standesbewusst vor dem billigsten Laden seines Heimatviertels Burnage geübt. Selbst den Job als Parkwächter hatte er bald verloren – er soll den Schlitten von Fußballstar Eric Cantona beschädigt haben, der für Manchester United anstatt für Liams Herzensverein Manchester City kickte. Spike Island nun gab dem Teenager eine neue Perspektive. Im vor selbstbewusster Arroganz vibrierenden Bühnengebaren von Roses-Frontmann Ian Brown sah er sich – oder zumindest eine Zukunftsvision von sich. Das Konzert veränderte sein Leben. Er wollte Rockstar werden, begann seine Stimme zu entdecken. Da traf es sich gut, dass The Rain, eine lokale Kellerband unter Führung des Gitarristen Paul „Bonehead“ Arthurs, der auch Bassist Paul McGuigan und Drummer Tony McCarroll angehörten, ihren Sänger rausgeschmissen hatte und Ersatz suchte. Rauchkumpel Liam wurde zum Vorsingen gebeten; der Befund von Boneheads Freundin: eine Nachtigall! Liam hatte den Job.

Der rauschhafte Tag von Spike Island war als Startschuss für den Welteroberungsfeldzug der Stone Roses imaginiert worden. Stattdessen markierte er auch schon dessen Höhepunkt und half mit, das britische Rock’n’Roll-Vakuum zu schaffen, von dem Oasis wenig später mit so viel Gusto profitieren sollten.

Im April 1989 war das Debüt der Roses erschienen, im November die Maxi „Fool’s Gold“, die die Nation vollends davon überzeugte, einmal mehr die beste Band des Planeten hervorgebracht zu haben. Für das Spike-Island-Konzert wurden Journalisten aus aller Welt eingeflogen. Doch sollten die Roses außerhalb Englands nie so recht einen Fuß auf den Boden bekommen. In den ersten Jahren der 90er geriet die Band zunehmend aus dem Tritt; zu viele Drogen, zu große Egos, man zerfleischte sich selbst; bandinterner Frust führte zur kreativen Krise, und als vier Jahre später endlich das zweite Album erschien, krähten nur vereinzelte Hähne danach. Gleichzeitig hatten sich auch die Happy Mondays im Drogenrausch aufgerieben. Die britische Gitarrenszene war gerade auf dem Weg in eine tiefere Krise, als Liam Gallagher sich im Sommer 1991 als Rocksänger zu entdecken begann.

Inzwischen ging es anderswo vorwärts. Im Juni 1991 war Massive Attacks Debüt blue lines erschienen. Mit seiner samplefreudigen Fusion von Acid House, Reggae, Soul, Hip-Hop, Rock, Pop reflektierte das Album ein neues, multikulturell-urbanes Großbritannien und legte den Grundstein für Trip-Hop. Aus den USA war ein neues Schlagwort nach England geschwappt – Grunge, im Herbst ’91 von Nirvanas nevermind perfekt auf den Punkt gebracht. Und im Fahrwasser von Take That gab es nun auch die erste Welle von Euro-Boy-Bands aus der Retorte. Der Kontrast zwischen diesen Frisurständern und den Rotznasen aus Burnage hätte nicht größer sein können.

Liams fünfeinhalb Jahre älterer Bruder Noel arbeitete als Mädchen für alles bei den Inspiral Carpets, einer munteren Lokalcombo, die es zu maßvollem lndie-Ruhm gebracht hatte. Ende ’91 sah der 24-Jährige zum ersten Mal die mittlerweile auf Drängen von Liam in Oasis umbenannte Band live – wenige Wochen später übernahm er das Ruder. Bonehead &. Co. hatten länger mit dem Beitritt des begabten Songwriters und Gitarristen geliebäugelt -jetzt machte ei mit, unter der saftigen Bedingung, dass die Band sich fortan exklusiv den von ihm geschriebenen Songs widme. „If I join this band, you fucking belong to me seven days a week and we’re going for it big time“, zitiert John Harris in seiner ausgezeichneten Britpop -Abhandlung „The Last Party“ die Ansage des künftigen Chefs.

Im Mai 1993 kam ihnen etwas zur Hilfe. Oasis – ihre Auftritte hatten noch Seltenheitswert- teilte sich den Übungsraum mit der Band Sister Lovers. Diese sollten in Glasgow als Support für die bei Alan McGees trendigem Indie-Label Creation unter Vertrag stehenden 18 Wheeler auftreten. Sister Lovers luden Oasis ein, ebenfalls ein paar Songs zu spielen, vergaßen aber, dies vorab auch den Leuten vom Club mitzuteilen. Als man nach langer Fahrt im Mini-Van vor Glasgows Indie-Mekka King Tut’s Wah Wah Hut auffuhr, wollte man dort nichts von einer weiteren Supportband wissen. Zornentbrannt drohte der Legende nach einer der Gallaghers, die Hütte anzuzünden, worauf die anderen Bands vernünftigerweise Platz machten für die unbekannten Wüteriche, die nun um 21.00 Uhr die Bühne betraten – vor nur einer Handvoll Zuschauern, zu denen allerdings auch McGee gehörte, wenn auch keineswegs aus Interesse an Oasis. Vielmehr hegte er amouröse Absichten hinsichtlich eines Mitglieds der Sister Lovers und wollte sie nicht verpassen. Nur hatte er nicht mitgekriegt, dass seine potenzielle Flamme noch gar nicht dran war, sondern erst noch eine andere Vorband. Er bereute es nicht. Oasis spielten „Rock’n’Roll Star“, „Bring It On Down“, „Up In The Sky“ und „I Am The Walrus“ – McGee war platt und offerierte auf der Stelle einen Vertrag. „Wenn eine Bandes sich nicht zum Ziel nimmt, größer als die Beatles zu werden, machen sie es nur aus Hobby“, sagte Noel Gallagher. Mit Alan McGee hatte man einen Partner gefunden, der ebenfalls nicht im Geschäft war, um da nur ein wenig rumzukleckern.

„Rock’n’Roll Star‘ war unser ganzes Manifest“, erklärte Noel Gallagher dreizehn Jahre später im Musikmagazin Uncut. „Wenn ich je in einem Lied irgendetwas sagen wollte, ist es das: ,Wir werden Rockstars sein, und selbst wenn wir unser ganzes restliches Leben im Boardwalk spielen (dem ersten Auftrittsort, Anm.), werden wir uns benehmen wie verdammte Rockstars!'“ Das Oasis-Erfolgsrezept war damals so simpel wie heute – und ist heute noch genauso potent wie damals. Die Essenz: „Scheiß auf die anderen; wir tun, was wir wollen, wir wissen, dass wir die Besten sind, und wer das nicht merkt, ist selber schuld.“

Eine so schnörkellos auf den Punkt gebrachte Überzeugung, dass man richtig lag, egal, was die globale Mode gerade postulieren mochte, sprach jenen britischen Kids und Spätkids aus der Seele, die weder mit Trip-Hop und Techno noch mit dem dominierenden US-Rock viel anfangen konnten. Mit „Live Forever“ nahm Noel Gallagher diesen Verstoßenen der zeitgenössischen Popkultur das Wort aus dem Mund. „Der Song ist von einem Stück auf dem zweiten Nirvana-Album inspiriert“, berichtet er Uncut. „Der Song hieß ‚l Hate Myself And l Want To Die‘. Ich dachte nur: Da sitzt dieses Arschloch in einer dicken Villa in Seattle, voll mit Heroin, die Welt liegt ihm zu Füßen, er hat alles, was er will- und er hasst sich! Er will sterben! So einen Mist zieh‘ ich mir nicht rein. Er mag ja seine Depressionen haben. Aber das ist noch langekein Grund, die auch allen anderen andrehen zu wollen.“ Der mangelnde Tiefsinn von Oasis, das fehlende Modebewusstsein, kombiniert mit der scheint’s angeborenen Überzeugung, der coolste Haufen von Kumpels im Universum zu sein, und erst recht die Absenz jeglicher Samples und Synthies in ihrem Sound wirkten im trendverliebten Britannien enorm befreiend. Auf einmal war es wieder okay, wie Vattern simple Gitarrenakkorde aneinanderzureihen, einfach, weil sie einem gefielen. Sogar die Tatsache, dass manche Songs daherkamen, als hätte Noel Gallagher zwei, drei Evergreens auseinandergeschnipselt und neu zusammengesetzt, wirkte subversiv und kreativ. Oasis erschlossen die Vergangenheit- die 60s, die 70s – als Inspirationsquelle, ähnlich, wie die Beatles und die Stones den Rhythm & Blues erschlossen hatten. Dabei war diese Elstern-Technik absolut zeitgenössisch: Es war praktisch die organische Form des Samplings. Erstaunlich, wie frisch so ein Evergreen klingen konnte, nachdem er durch den Fleischwolf der Oasis-Muse getrieben worden war. Für Oasis sprach auch der Umstand, dass sie durchaus Manchester-hafte Berufsfeindseligkeit an den Tag legen konnten. Aber für jeden Fausthieb von Liam gab es einen simplen, cleveren und bullshit-entlarvenden Spruch von Noel. Oasis waren gewappnet. Die Fehler der Stone Roses würden ihnen nicht passieren.

Oasis spielten nicht nur knackige Songs Sie genossen in guter altmodischer Tradition das Rock’n’Roll-Leben in vollen Zügen. Der NME vom 4. Juni 1994 zementierte ihren Ruf als wilde Hunde, den Oasis fortan in den Medien und sonstwo weghatten. Der Reporter des Blatts, der die Band zum Gig in Portsmouth begleitete, erlebte eine Rock’n’Roll-Zerstörungsorgie, wie sie seit Led-Zep-Tagen nicht mehr da gewesen oder zumindest nicht mehr an die große Glocke gehängt worden war. Die besoffene Band feierte die Nacht durch und beförderte einen erheblichen Teil der Möblierung ihrer Hotelzimmer in den Swimmingpool (Noel: „Auf dem Fenster stand es geschrieben: ,Bitte wirf einen Stuhl hindurch!'“). Wäre DEFENETLY MAYBE das Album von fünf bleichen Buben in Blumenblusen gewesen – der Erfolg hätte sich wohl in Grenzen gehalten. Oasis waren die richtigen Pfundskerle zur richtigen Zeit. Vor keiner Konfrontation zurückschreckend – besonders vor keiner mit verwöhnten, weichlichen Südengländern – erkämpften sie sich eine romantische Piraten-Aura und eine Glaubwürdigkeit, wie sie mit PR-Mitteln nie zu haben gewesen wäre. Besonders heiß haben die Briten immer schon diejenigen Bands geliebt, die nicht nur Hits sangen, sondern auch einen riskanten Lifestyle lebten. Oasis verkörperten eine süffige neue Art von Anti-Korrektheit, deren grundehrliche Pöbelhaftigkeit das verdruckst-verlogene politische und gesellschaftliche Klima der John-Major-Ära kontrastierte.

Eine Renaissance der Rotzigkeit lag allerdings generell in der Luft. In etwa zeitgleich mit dem ersten Oasis-Album kam in London eine neue Illustrierte auf den Markt, „Loaded“, Untertitel: „für Typen, die es eigentlich besser wissen müssten“. Das Heft, eine Art Lifestyle-Postille für den unbeschwerten Proll, präsentierte nackige Frauen, dickliche Autos und lockere Sprüche und war der erste Exponent der „lad culture“: Jungs durften, ja, mussten wieder über die Stränge schlagen, sofern sie sich dabei um ein gewisses Maß an Charme bemühten – proll is the new cool. Klar, dass die Gallaghers zur Zwillingskühlerfigur des neuen Trends erhoben wurden. Zum neuen Wir-Gefühl passten die breit dokumentierten „Skandale“ während ihrer ersten USA-Tourneen. Statt im Sinne bewährter Rockbiz-Gepflogenheiten Hände zu schütteln und Egos zu salben, tat die Band alles, um den Yankees zu zeigen, dass sie keine neuen Freunde brauchte. Kein Britenauge dürfte trocken geblieben sein bei der Lektüre des Guardian vom 22. April 1995, als beschrieben wurde, wie Noel Gallagher einen US -Plattenfirmenkapitän abfertigte, der ihm seine Ehefrau vorstellen wollte. „What the fook do I wanna meet yer wife for?“, habe er gebrummt und sei zur Bar gegangen.

Oasis klopften viele derbe Sprüche, aber sie droschen keine leeren Phrasen. Die Band war nicht zu kaufen, das machte sie zu Superstars in Sachen Integrität. In einem Musikbusiness, das vollständig auf Vermarktungsstrategien getrimmt war, wirkte ihre rüde Ehrlichkeit wie Balsam. Die durch und durch englische Kombination von hausgemachter Lebensphilosophie und ebensolcher Musik beflügelte das junge Britannien. Die oft akzentuierte Geistesverwandtschaft dieses „Cool Britannia“ mit den Swinging Sixties gab dem Selbstbewusstsein weiter Aufwind. Zwei rauschende Sommer lang sorgten Oasis und Britpop-Kollegen wie Pulp, Suede, Elastica und Supergrass für Hochstimmung im Land. Britpop feierte allen Globalisierungsabsichten von MTV zum Trotz das Regionale. Und das restliche England zog mit. Es schwappte eine Erneuerungseuphorie durchs Land, die vom Kino über die Buchläden, Modeshops und Kunstgalerien bis in die Fußballstadien reichte. Dann schickten die Wähler sogar die lange unbesiegbaren Tones in die Wüste und wählten Tony Blair zum Premier. Dieser wusste, wem er das neue „Cool Britannia“ zu verdanken hatte und lud Künstler und Popkulturschaffende – darunter Noel Gallagher samt besserer Hälfte – zum Champagner in die Downing Street No. 10. Definitely Maybe hatte im September 1994 die Spitze der Brit-Charts erreicht, im Oktober 1995 erschien der endgültige Triumph (WHAT’S THE STORY) MORNING GLORY? -19 Millionen Stück sollen davon bis heute verkauft worden sein.

Das dritte Album BE HERE NOW erschien im August 1997, wurde zum schnellstverkauften britischen Album aller Zeiten (eine halbe Million am ersten Tag; ein Rekord, den erst die Arctic Monkeys 2006 brachen) – und repräsentierte die Katerstimmung, die dem Britpop-Rausch nun folgte. Mit dem Album begann eine kreative Durststrecke für Oasis. Man lebte in Saus und Braus – und darunter litt die Musik. Ein verstärkter Hang zur pompösen Humorlosigkeit war nicht zu überhören. Gleichzeitig wurde das Privatleben der einzelnen Mitglieder von Konflikten gebeutelt. Liam fetzte sich oft und öffentlich mit seiner damaligen Frau Patsy Kensit. Noels Ehe mit Meg Matthews, einer Ex-Angestellten von Creation, holperte ebenfalls ihrem Ende zu. Ur-Drummer McCarroll hatte schon Anfang 1995 dem Stress nicht mehr standgehalten und war durch Alan White ersetzt worden. 1999 suchten nun auch Bonehead und „Guigsy“ das Weite. Sie wurden durch Gern Archer (Ex-Heavy Stereo) und Andy Bell (Ex-Ride und -Hurricane Number 1) ersetzt. Die beiden waren technisch versierter als ihre Vorgänger, trotzdem wirkten die nächsten Oasis-Alben – STANDING ON THE SHOULDER OF GIANTS Und HE ATHEN CHEMISTRY – schwerfällig und verkrampft. Lange sah es in den Jahren um die Jahrtausendwende so aus, als würden ihre Popstar-Privilegien für Oasis genauso zum Schicksal wie für hunderte von anderen Ex-Superstars. Doch just in dem Moment, da eine neue Generation von Briten die Gitarren wiederentdeckte, kam 2005 don’t believe the truth. Das Album zeigt Oasis im alten Stil, aber mit neuer Frische. Liam ist friedlicher geworden. Sonst ist alles beim Alten geblieben. Angesichts der unzähligen Retortentrends, die ins Land gezogen waren, nimmt sich die monolithische Standhaftigkeit von Oasis nachgerade heldenhaft aus. Sie kommt von Herzen und bestätigt alles, was man sich einmal, vor einem dutzend Jahren, von dieser Band erhofft hat.