„Shine on, you crazy diamond!“
Diesen Song widmeten Pink Floyd ihrem ehemaligen Sänger und Gitarristen Syd Barrett. Mit dessen erzwungenem Ausscheiden 1968 verflachte für unzählige Fans die Kreativität dieser Band. Seit Jahren galt Barrett als verschollen – Versuche, ihn zu finden, blieben erfolglos.
Die Tatsache, daß Roger I Waters die treibende Kraft des Unternehmens Pink Floyd ist, mag für die Gegenwart zutreffen. Den musikalischen Charakter der Band sowie ihr Bild in der Öffentlichkeit aber prägte vor 16 Jahren ein anderer: Roger Keith („Syd“) Barrett.
London, 1966. Beat und Rhythm & Blues sind verblaßt, mit der Flower Power-Bewegung hält „psychedelische“ Pop-Musik Einzug: „Underground“ lautet das neue Schlagwort. Unangepaßte, stilistisches Neuland betretende Bands prägen die Szene – The Nice, Family und eben Pink Floyd. Im inzwischen legendären „UFO“-Club sind sie die Attraktion, ihre Kreationen aus Licht und Ton revolutionieren alles bislang Gehörte.
Der ehemalige Kunststudent Syd Barrett ist der Schöpfer jener Kompositionen: „Arnold Layne“, „See Emily Play“, „Apples And Oranges sowie sieben Songs des Pink Floyd-Debütalbums THE PIPER AT THE GATES OF DAWN – unsterbliche Klassiker bis heute.
Der als labil geltende Barrett jedoch wird mit dem „goldenen Dreieck“ Streß/Ruhm/Drogen nicht fertig. Seine Unzuverlässigkeit gerät zur Regel, immer öfter versagt er auf der Bühne, verweigert sich, kollabiert im Rausch. Die Sucht-Probleme verstärken sich zunehmend – und im März 1968 kommt das Aus: David Gilmour tritt an seine Stelle.
Solo-Projekte scheitern, erst 1970 erscheinen die LPs THE MADCAP LAUGHS und BARRETT (noch immer als EMI-Importe erhältlich), die einmal mehr Barretts großartiges Talent offenbaren. Weitere Projekte fallen dem sich weiter verschlechternden Zustand Syds zum Opfer.
Pink Floyd avancieren zu Mega-Stars, ihr einstiger Lenker verschwindet in der Anonymität. Eine „Syd Barrett Appreciation Society“ veröffentlicht über Jahre ihr „Terrapin“-Fanzine, das aber auch kein Licht in das Dunkel bringt: Die Gerüchte reichen von „Irrenanstalt“ über „Gehirnoperationen“ bis zum angeblichen Tod. Und auch bei der Single „I Know Where Syd Barrett Lives“ von der englischen Underground-Band TV Personalities war nur der Wunsch Vater des Gedankens …
Erst jetzt schafften es die Journalisten Michka Assayas und Thomas Johnson, Syd Barrett aufzuspüren, der – völlig zurückgezogen – bei seiner Mutter in Cambridge lebt.
Die Journalisten fanden Barrett über einen Londoner Häusermakler, mit dem er früher mal zu tun hatte. Der Interviewer benutzt als Vorwand, Syd zu besuchen, ein Bündel alter Kleider, die der einmal in einer früheren Wohnung zurückgelassen hatte.
Ich habe nach dir gesucht und bin in Chelsea gewesen. Dort hat man mir erzählt, daß sie noch Wäsche von dir haben und daß du bei deiner Mutter lebst.
“ Vielen Dank. Bekommst du Geld dafür? Hat man dich schon bezahlt?“ Nein, ist schon okay. Was treibst du so? Malst du?
„Nein. Ich habe gerade eine Operation hinter mir, aber nichts Ernsthaftes. Ich will dort bald wieder hin, aber ich muß noch warten, ist gerade Eisenbahner-Streik. “ Aber der ist doch schon seit Wochen vorbei.
“ Oh, fein! Vielen Dank …“ Was hast du in deinem Londoner Appartement gemacht? Spielst du Gitarre?
„Nein…, nein, ich sehe fern, das ist alles …“ Möchtest du jemals wieder spielen?
„Nein, eigentlich nicht. Ich habe keine Zeit, um viel zu machen. Ich muß mir eine Wohnung in London suchen. Aber das ist schwierig. Ich muß warten …“ (Von Zeit zu Zeit schaut er auf die Wäschestücke, all den Plunder. Er lächelt.) „Ich hätte nicht geglaubt, daß ich die Sachen zurückbekomme. Und ich wußte, daß ich nicht hätte hinschreiben können. Ich hätte mich nicht melden unddie Sachen holen können. Nicht mit dem Zug fahren und all das… Aber jetzt… Ich habe nichtmal hingeschrieben… Mama hat gesagt, sie würde sich beim Fundbüro melden… Wirklich, vielen Dank.“ (Er bemüht sich ständig, die Unterhaltung zu beenden. Er schaut mehrmals zum Garten, wo seine Mutter ist.) Erinnerst du dich an Duggie?
„Hm…, ja,… ich hob‘ ihn nie wiedergesehen. Ich möchte in London auch niemanden sehen.“ Alle deine Freunde lassen dich grüßen.
„Oh, danke schön, das ist nett…“ (Er spricht und reagiert wie all – die psychisch Kranken, die ich kenne. Warten ist zu seiner Hauptbeschäftigung geworden, Fensehen hilft ihm, die Zeit zu überbrücken.) Darf ich ein Foto von dir machen?
Ja, natürlich.“ (Er lächelt, wird nervös und knöpft seinen Kragen zu.) „Schön, aber nun ist es genug. Das bereitet mir alles sehr viel Mühe… Vielen Dank nochmal …“ (Er blickt auf den Baum vor dem Haus. Ich weiß nicht, was ich ihn noch fragen soll.) Das ist ein schöner Baum.
„Ja, aber früher war er viel schöner. Vor kurzem haben sie ihn abgeschnitten. Vorher habe ich ihn sehr gerne gemocht“.
(Aus dem Haus ruft seine Mutter.) „Roger, komm‘ eine Tasse Tee trinken und sag‘ meinen Freunden guten Tag.“ (Roger Barrett dreht sich verschreckt zu mir um.) “ Gottseidank …du bist noch da… Vielleicht werden wir uns in London wiedersehen. Mach ’s gut …“ Ja, bis dann… mach’s gut… Shine on, you crazy diamond.