Schizophrene Berlinale 2014: Mit „Stereo“ triumphiert deutscher über asiatischen Genrefilm
Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu spielen und prügeln sich die Seele aus dem Leib.
Und wir haben gedacht, so etwas wie potenziell erfolgreiches deutsches Genrekino würden wir nicht mehr erleben – zumindest nicht auf der Berlinale. Weil meist doch nur filmgefördert wird, was deprimierend ist. Oder Schweiger und Schweighöfer. Weil anders als beispielsweise in Frankreich die Kunst des Thriller- oder Horrorfilms keine feuilletonistisch subventionierte Daseinsberechtigung zu haben scheint. Und tatsächlich hat der Wettbewerb der Berlinale 2014 mit „Jack“ am Freitag mal wieder genau auf die Art von Betroffenheitspornografie gesetzt, für die wir die Hauptsektion zumeist meiden wie der Teufel das Weihwasser.
Lieber schauen wir uns im „Panorama“ im Zweifelsfall etwas mutigeres deutsches Filmschaffen an. Oder aber „Stereo“, der mit der Doppelspitze Vogel/Bleibtreu nach Reißbrettkalkulation klingt – und sich doch als mutigster deutscher Ausflug in die Gefilde des Genrefilms entpuppt, den wir seit langem gesehen haben. Und das, obwohl er genau dieses Ansinnen ziemlich bewusst auf der filmzitatgeschwellten („Oldboy“, „Fight Club“) Brust vor sich herträgt.
Jürgen Vogel gibt im Film „Stereo“ einen einfachen Motorradmechaniker, der von seiner Vergangenheit in Gestalt von Moritz Bleibtreu eingeholt wird. Der – damit ist dank einer Enthüllung nach gefühlt zehn Minuten nicht zu viel verraten – ist so etwas wie Vogels „Freund Harvey“ oder Tyler Durden: Teil einer offenbar schizophrenen Persönlichkeit, die irgendwas mit Vogels Vergangenheit zu tun hat. Und die bahnt sich gerade mit aller Macht und auch in Gestalt des ultrafiesen österreichischen Gangsterbosses Keitel ihren Weg zurück in sein Leben. Die Konsequenz aber, mit der sich Vogels Filmfigur dem allem entgegenstellt, die hat man in dieser Konsequenz (und handwerklichen Perfektion) lange nicht mehr erleben dürfen. Als phasenweise ultrabrutales Genrestück, das den Vergleich mit der internationalen („Panorama“-) Konkurrenz ausnahmsweise mal nicht zu scheuen braucht.
Diese Konkurrenz kommt ausgerechnet aus Hongkong, für uns jahrelang sichere Genrezuflucht, und wandelt auf ganz ähnlichen Pfaden. Denn in Dante Lams „The Demon Within“ muss sich ein Cop seiner traumatisierten Seite stellen. Und es ist – trotz großartiger Actionsequenzen und eindrucksvoller Visuals – die Ironie dieser Geschichte, dass ausgerechnet Lam den Fehler begeht,den deutsche Filmemacher zuweilen begehen: Er verkünstelt seine Geschichte ins Surreale, lädt sie an allen Ecken mit vermeintlicher Bedeutung auf und scheitert an einer Ambition, die größer ist, als es das Genrekino normalerweise verträgt.
Aber wir wollen uns nicht beschweren: Dass wir irgendwann einmal einem deutschen Filmemacher und seinem Werk den Vorzug vor einer Genrekoryphäe wie Lam geben würden, hätten wir vor dieser Berlinale auch nicht gedacht. Und das kann für ein immer noch nicht voll etabliertes deutsches Genrekino doch nur von Vorteil sein.