Sarah Kuttner über Angst
Sarah Kuttner hat ihren ersten Roman geschrieben. "Mängelexemplar' ist nicht autobiografisch, wie sie betont, sondern greift generationstypische Themen auf: Psychoprobleme, Depressionen, Angst.
Karo, die Protagonistin von „Mängelexemplar“, leidet nach dem Verlust ihres Jobs an Depressionen und Angstattacken. Wie autobiografisch ist dein Roman?
Gar nicht. Viele Leute weisen mich immer besonders spitzfindig darauf hin, dass ich ja selbst schon mal einen Job verloren habe, dass es also unübersehbare Parallelen gäbe. Aber diese Gemeinsamkeit haben Karo und ich mit Millionen Menschen. Karos Depression ist außerdem ja die Folge von einem Rattenschwanz von Scheiße, den sie ihr ganzes Leben lang mit sich geschleift hat. Der Verlust des Jobs ist, neben der Trennung von ihrem Freund, nur der Auslöser, der das stinkende Fass zum Überlaufen bringt.
Gibt es überhaupt keine Gemeinsamkeiten zwischen dir und Karo?
Natürlich steckt einiges von mir in ihr. Vor allem, was so Charakterzüge und Befindlichkeiten angeht. Ich bin dann doch nicht kreativ genug, um aus der Sicht eines 50-jährigen Mannes zu schreiben. Karos Meinungen zum Leben, ihren Humor und kleinere Macken habe ich mir schon bei mir abgekuckt, man darf aber deshalb nicht sofort auf einen autobiografischen Aspekt schließen. Karos Geschichte ist mir nicht passiert.
Als du 2006 deinen Job bei MTV verloren hast, hattest du da keine Zukunftsängste?
Nein, nicht im großen Stil. Ich war in erster Linie traurig, weil mir die Sendung so viel bedeutet hat und weil ich mit ihr meine Redaktion verlor, die über zwei Jahre wie eine anstrengende, laute, aber liebenswürdige Familie zusammengewachsen war. Ich hätte damals bei MTV ja weiterhin arbeiten können, dafür war ich dann aber in meiner jugendlichen Frische zu stolz, oder besser: zu eingeschnappt. Ich wollte auf MTV nichts machen, das weniger Wert als „Kuttner“ hatte, also bin ich gegangen. Im Grunde ging ja damals alles nahtlos weiter; ich bin auf Lesetour gegangen, habe einen Film synchronisiert und hatte auch sonst ausreichend zu tun. Hinzu kommt, dass ich kein besonders ehrgeiziger, karriereorientierter Mensch bin. Ich neige zu Faulheit, also machte mir der Gedanke, nicht mehr jeden Tag zu MTV zu gehen, auch nicht wirklich Sorgen.
Wie bist du auf das Thema Angst gekommen?
In den letzten Jahren ist mir aufgefallen, dass viele Menschen in meinem Umfeld in irgendeiner Form psychische Problemehaben. Depressionen, Angststörungen und andere Kopfwehwehchen schmuggelten sich in unsere Gespräche. Es ist nicht so, dass ich nur von Freaks umgeben bin, im Grunde genommen sind das alles tolle und total normale Menschen wie du und ich. Und trotzdem erreichen viele augenscheinlich irgendwann einen Punkt, an dem sie ohne Hilfe nicht weiter kommen. Ich hatte selbst vor ein paar Jahren mal eine kurze Zeit, in der ich leichte Panikanfälle hatte, so was zieht einem schon die Schuhe aus. Man ist ja allen möglichen Kram gewohnt, aber eine Erkrankung der Psyche verbindet man immer noch mit verrückt sein, sabbern und Elvis Presley bei Lidl sehen. Also dachte ich, ich versuche mal zu erzählen, wie es ist, wenn man nicht verrückt ist und trotzdem zum Psvchiater muss.
Warst du selbst mal beim Psychiater?
Ich war mit Freunden als Begleitung und ein paar Mal zur Recherche bei Psychiatern. Es ist schon verrückt, wie man als ach so aufgeklärter moderner Mensch, für den ich mich doch eigentlich halte, rote Ohren im Wartezimmer bekommt. Ich bemühte mich sehr, irgendwie zu vermitteln, dass ich nur Begleitung bin. Ich glaube, ich hatte sogar vom Wartezimmer aus irgendwen angerufen und recht laut erzählt, dass ich aus Recherchegründen grad beim Psychiater sitze. Das ist natürlich irre armselig, aber da merkt man erstmal, wie merkwürdig tabu dieses Thema doch noch ist.
Wovor hast du Angst?
Klassische Giulia-Siegel-Phobien wie Flug- oder Höhenangst oder Angst vor engen Räumen hatte ich nie. Natürlich kann ich, wie jedes Mädchen, das was auf sich hält, nicht besonders viel mit Spinnen und Schlangen und Mäusen anfangen, aber so richtig aufregende Ängste sind das nicht. Ich habe natürlich Angst vor schlimmen, unheilbaren Krankheiten, vor unerwiderter Liebe und sonstigem Unglück, aber generell lebe ich eher sorgenfrei. Ich gehe einfach immer davon aus, dass schon nichts Schlimmes passieren wird. Das ist natürlich ein bisschen Hans-kuck-in-die-Luf t-esk, aber was soll ich machen …
Die „Angst vor der Angst“
führt die entwicklungsgeschichtliche Intention der Angst ad absurdum. Sind solche Angststörungen typische Zivilisationskrankheiten?
Ich weiß natürlich nicht, wie traurig oder panisch damals die Jäger und Sammler waren, Fakt ist, dass Angststörungen und Depressionen jedem Menschen passieren können und mindestens jedem Zehnten definitiv passieren werden. Ich glaube, dass man früher einfach weniger darüber gesprochen hat als heute. Mit Angstanfällen sagt einem der Kopf mit Hilfe des Körpers, dass etwas nicht stimmt. Dass es hier etwas zu klären gibt, dass etwas im Ungleichgewicht ist – eine praktische, aber unangenehme Alarmglocke. Diese Alarmglocke wurde früher einfach ignoriert oder weggesoffen, weil man damit nichts anfangen konnte oder Angst hatte, als verrückt zu gelten und mit Stromstößen behandelt zu werden. Insofern glaube ich, dass unsere neue, schöne, enorm befindliche Generation vielleicht eine Generation von Weicheiern ist, aber wenigstens eine, die sich helfen lässt. Zumindest wäre das ein winziger Anstoß, den die Mutter Teresa in mir mit dem Buch geben möchte: Liebe Weicheigeneration! Lass dir helfen, wenn der Kopf aufmuckt, und tu nicht so, als wärest du Bruce Willis in Röhrenjeans!
Hast du Angst davor, dass man dir nachsagt, du würdest nach dem Erfolg von Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ auf den fahrenden Zug aufspringen?
Nein. Auf diesen Zug ist Heinz Strunk mit „Fleckenteufel“ ja schon erfolgreicher aufgesprungen, als ich es je könnte. Charlottes Buch und meins haben ja im Grunde keinerlei Gemeinsamkeiten, also mache ich mir da keine Sorgen. Der Erfolg von „Feuchtgebiete“ ist einzigartig und war für niemanden vorhersehbar, Charlotte fährt also auf ihrem sehr schnellen Zug, ich sehe zu, dass ich eine eigene Bahn nehme. Vermutlich wird es eher ein Regionalexpress.
Hast du Angst vor schlechten Kritiken für deinen Roman?
Nicht wirklich, nein. Zum Teil liegt das daran, dass ich versuche, Kritiken, egal ob positiv oder negativ, nicht zu lesen,
weil sie mich wahnsinniger
machen, als sie es verdient hätten, und zum anderen befinde ich mich noch in diesem zarten und sehr naiven Zustand, in dem ich mein Buch so mag, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es jemand hassen könnte. Man wird mich sicher recht zeitnah eines Besseren belehren.
www.sarahkuttner.de