Safari in Sachsen
Im Westen der Boom, im Osten der Ruin? Fury In The Slaughterhouse checken die Lage der Rock 'n' Roll-Nation: Zwi- schen Fertigstellung und Veröffentlichung des neuen Albums ging die rockende Rasselbande aus Hannover auf Low- Budget-Tour durch die tristen Treuhand- liegenschaften jenseits der Elbe.
Leider sind die FhL noch immer konzertmüßige Entwicklungsländer“, pflegt das Leipziger Stadtmagazin „Blitz“ seine Leser schonend auf den monatlichen Konzerttermin-Kalender vorzubereiten. Denn der ist eher als Lektion in politischer Geografie von Nutzen, als daß er zur Information erlebnishungriger Nachtschwärmer taugt. Auch zweieinhalb Jahre nach dem Vollzug der deutschen Einheit empfiehlt „Blitz“ seiner Leserschaft „mangels Alternativen“ Tourdates aus Bayreuth, Hannover und Kassel. Denn während sich das derzeitige Traumland des Rock „n“ Roll 200 Kilometer weiter westlich zu immer neuen Superlativen beamt, bröckelt in Leipzig, Gera und Schwerin noch immer der Putz von den Wänden ungenutzter Hallen.
„Nee, nee, nee“, wundert sich Kai Wingenfelder, Sänger bei Furv In The Slaughterhouse, „ich versieh das nicht — hier stehen soviele schöne große Häuser leer — da würden sich unsere Promoler drüben alle zehn Finger nach ablecken. “ Aber der Osten ist anders. Hier heißen die holprigen Straßen da und dort noch hartnäckig nach „Klassenkämpfern und Arbeiterdichtern“, wie sich Patti Unwin, Furys temperamentvolle englische Tourleiterin, köstlich amüsiert. Hotels, auch wenn sie sich täuschend echt westlich „Triton International“ nennen, stellen sich als privatisierte .Arbeiterwohnheime“ mit geteilten Matratzen heraus und verteilen zur Überraschung von „uns verwöhnten Westrockern“, wie Kai kichert. „Frühstücksmarken und Hotelausweise.“
Die Konzerthallen schließlich tragen weihevolle Ehrennamen wie „Haus der Einheit“, „Volkspark“ oder „Haus der Jungen Talente“: Im letzteren, gelegen im rockprovinziellen Magdeburg, hängen Mitte Januar noch die Girlanden von Silvester.
„Zwischendurch scheint hier überhaupt nichts losgewesen zu sein“, schüttelt Gitarrist Thorsten, „66“ genannter Bruder von Sänger Kai, nachdenklich den Kopf, während er eine Kiste Fury-Technik aus der Caravelle in die Halle wuchtet. Das „Talente“, ein bröckligprunkvoller Bau im Stalin-Stil der frühen 50er Jahre, ist ziemlich schmutzig und vollkommen ungeheizt. „Der Typ, der das hier angemietet hat“, vermutet Patti mit britischem Understatement, „muß wohl ein ganz klein bissei sparen. „
Doch die Furys lassen sich die gute Laune auch von zwölf Grad Hallentemperatur nicht vermiesen. Überraschenderweise ist das erste Konzert ihrer Low-Budget-Tour durch die fünf neuen Länder trotz bescheidener Öffentlichkeitsarbeit seit Tagen ausverkauft. „Ganze sieben Karten haben die noch an der Abendkasse“, freut sich Ralf Meißner, ein ortsansässiger Jungunternehmer, der zwei Stunden vorm Konzert mit Malerleiter, Stricken und Klebeband beginnt, eine Art Bühnen-Lichtanlage aus den an der Decke installierten Disco-Scheinwerferbatterien zu basteln. Die Band, die die Arbeit an ihrem vierten Studio-Album „Mono“ erst ein paar Tage zuvor beendet hat, ist vor dem ersten Gig der einwöchigen ¿
Tournee in Hochstimmung. Zwar sind statt des sonst üblichen 30köpfigen Tourtrosses nur Backliner Gerrit. Tonmann Andreas und Bandmutter Paiti dabei; zwar ist die Lichtanlage (die am Abend der Einfachheit halber gleich von Existenzgründer Meißner bedient werden wird) ebenso wie die Tontechnik für Fury-Normalverhältnisse kräftig unterdimensioniert. „Aber genau so wollten wir es ja“, grinst Gitarrist Christof Stein unter verschwitzten roten Locken hervor, „möglichst kleine Hallen, möglichst wenig Klimbim und möglichst niedrige Kartenpreise. „
13 Mark nehmen die Furys im Tourdurchschnitt — „den Realitäten Rechnung tragen“ heißt das bei den sechs Rockern von der Leine. „Wir wollten nicht hierher kommen, wo die Leute keine Kohle in der Tasche haben“, erklärt Christof auf dem Weg zum „überraschend guten“ Italiener nebenan, „und mit Riesentruck und Mammut-Lichtanlage ßr 30 Mark Eintritt die Rock ’n Roll-Krösusse aus dem goldenen Westen raushängen lassen.“ Die Fans im Osten wollen, hat Klampfenkollege Thorsten bei früheren Fury-Gastspielen in der Ex-DDR beobachtet. „daß du auf sie eingehst.“ Also nahmen sich Fury nach Fertigstellung von „Mono“ kurzentschlossen vier Tage für Proben frei, packten anschließend Verstärker und Mischpult in zwei Autos und zogen los für „eine Woche Erlebnisurlaub mit Gitarren, so eine Art Safari in Sachsen „, wie Kai es nennt.
Der erste Abend scheint die Theorien der Furys zu bestätigen. Anger 77, eine auch im Osten noch völlig unbekannte Kapelle aus Erfurt, haben den Saal mit ihrer Mischung aus druckvollem Rock, scharfen Breaks und ehrgeizigen deutschen Texten heiß auf den Hauptact aus Hannover gemacht. Danach haben die Furys, die mit „Dead & Gone“ und dem neuen Stück „Waiting For The Paradise“ furios starten, leichtes Spiel. Zwei Stunden lang toben sich Kai & Co. den Streß von drei Monaten Studioarbeit aus den Knochen. Obwohl sie nach eigener Einschätzung „noch ziemlich Scheiße spielen, weil wir einfach nicht genug geübt haben“
(Kai), sind die 700 in der Halle hingerissen. Die Konversation zwischen Bühne und Publikum klappt auf Anhieb, die Band hat trotz einiger technischer Probleme ihren Spaß — und am Ende läuft das Schwitzwasser in Strömen von den Wänden.
Eine goldene Nase läßt sich bei solchen Nice Price-Gigs natürlich nicht verdienen. „Das dürfen die Veranstalter im Westen gar nicht wissen, daß die Jungs hier ßr ein Bett, ein paar Bier und ein paar Butterbrote auf die Bühne gehen“, winkt Patti ab. Allerdings: Fury, die seit fünf Jahren auf einer permanent anschwellenden Erfolgswoge schwimmen, können es sich leisten, „mal eine Woche ßr Essen und Unterkunft zu spielen, damit uns auch die Leute mal sehen können, die das sonst nicht bezahlen könnten“, erklärt Bassist Hannes. „Wir sind ja zum Glück in der privilegierten Situation, daß wir hier kein Geld verdienen müssen“, zuckt Trommler Rainer die Achseln, „normalerweise würden wir jetzt ja auch bloß zu Hause hocken und warten, daß die richtige Tour losgeht.“
Der echte Rock n Roller aber braucht die Straße. Und möglichst bucklig, möglichst hucklig muß sie sein. Meint jedenfalls Überzeugungs-Rocker Christof, der der Fahrt über die Autobahn allemal einen Turn entlang schlaglöchriger Landstraßen vorzieht, weil man „nur so was vom echten Osten mitkriegt“. Mittags wird „Broiler‘ 1 gegessen und im Radio, so Christofs Co-Pilot Gerrit, „lief die ganze Zeit Kultsender DT 64. “ Auch wenn der leider nur noch auf Mittelwelle zu empfangen ist und mehr quietscht und pfeift als rockt und rollt.
400 sind es, die sich am Abend im „Kraftwerk“ Chemnitz drängen und auf die sechs singenden Solidarpaktler aus Niedersachsen warten. Sänger Sigi und Anger 77 spielen ihr Vorprogramm einmal mehr überzeugend, trotzdem zündet ihr Deutschpop-Metal vor den skeptischen Sachsen schwerer. Mit demselben Problem kämpfen anschließend auch Fury, die im Vergleich zu Magdeburg um Längen besser klingen, auch weit weniger verkrampft wirken, aber anfangs doch eher gegen das als mit dem wie festgenagelt im Saal stehenden Publikum spielen. Das taut erst auf, als Christof in der Ansage zu „Radio Orchid“ das definitive Fury-Statement zum Politikerstreit um DT 64 rausläßt, und Kai, DT-Fan seit verträumten Vorwendezeiten, die Halle geschlossen zum Unterschreiben auf der DT-Solidaritätsliste schickt, mit der ein paar Enthusiasten kurz vorm Auftritt in der Garderobe der Furys aufgetaucht waren.
Von dem Moment an läuft das Konzert wie am Schnürchen. Band und Publikum sind ein Herz und eine Seele. Die Furys laufen trotz der Gewißheit, erneut in einem Hotel mit geteilten Matratzen schlafen zu müssen, mit „Kick 1t Out“. „Lalalala“ und einer irrwitzigen Akustikversion von AC/DCs „Whole Lotta Rosie“ zu großer Form auf.
Soviel Enthusiasmus und Entdeckerfreude bringen nicht viele Bands auf. „Aus irgendwelchen Gründen“, ärgert sich Daniel Persch vom Thüringer Konzertbüro „Neufünfländer Promotion“, der die Fury-Kurztour betreut, „tun viele Westbands immer noch so, als wäre der Osten so eine Art Wüste.“ Persch, der seit der Währungsunion im Geschäft ist, hat „da schon die tollsten Dinger erlebt.“ Alien Sex Fiend trauten sich nicht in die neuen Länder, sagten eine ganze Tour aus „Angst vor Überfällen“ ab. Von einer 10-Stationen-Tour von Mimmis, Brieftauben und Schließmuskel blieben nach schlechten Vorverkäufen und telefonischen Drohungen am Ende zwei Konzerte. Und auch Rausch. Plan B und M. Walking On The Water sahen sich auf ihren letzten Solotouren durch den deutschen Osten von gerademal viertelvollen Hallen schnell wieder aus dem Headlinertraum auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt. „Die Leute kaufen sich halt lieber ’ne billige CD als ne teure Konzertkarte“, analysiert Fury-Multiinstrumentalist Gero Drnek, „da kannst du nichts anderes machen,
ab den Einkommensverhältnissen hier entgegenkommen.“
Der Erfolg gibt den Furys Recht: Solange die Karten erschwinglich bleiben, sind die Hallen auch im Osten knackevoll. Nur: Welcher Star arbeitet schon freiwillig unter Tarif? Wenn ihm dabei auch noch der „Arsch auf Grundeis“ geht, wie ein örtlicher Promoter von Bob Geldof und BAP, Wolf Maahn und Westernhagen sagt, die „doch alle Angst haben, von irgendwelchen Glatzen was aufs Maul zu kriegen „.
Also versuchen es viele Bands gar nicht erst. „Vor allem Kapellen, die farbige Musiker dabeihaben“, erzählt Konzertveranstalter Matthias Winkler, „haben oft Schiß.“ Dabei: Wirklich passiert ist West-Rockbands im Osten „noch niemals was“, wie Daniel Persch versichert. „Nur die Goldenen Zitronen“, erinnert er sich dunkel, „sollen mal Prügel bezogen haben.“ Das aber auch nur, platzen einige der Furys mit der Insiderversion der Geschichte heraus, „weil sie in der falschen Kneipe nach dem Weg gefragt haben. „
Das Vorurteil allerdings hält sich hartnäckig. Auch die Furys sind ihm schon begegnet. „Viele Kollegen drüben fürchten sich nicht nur vor irgendwelchen gewalttätigen Idioten“, meint Thorsten, „viele können einfach das Risiko nicht eingehen, bei Konzerten im Osten Geld zu verlieren.“ Lieber spielt man ein Konzert mehr irgendwo im reichen Rheinland-Pfalz, als daß man das als launisch und knausrig verschriene Ost-Publikum beehrt. „Nur“, findet Christof, „irgendwann muß man ja mal anfangen, sich auf einander zuzubewegen.“ Kai nickt: „Wir müssen uns das Publikum hier erspielen, und das Publikum hier muß beweisen, daß es ein Publikum ist und Konzerte haben will.“
Und Bruder Thorsten sieht sich beim Konzertieren in den Ostgebieten sogar mit einem Kulturauftrag ausgestattet: „Wenn du hier spiebt, wirst du ja von Leuten gesehen. Die sagen dann vielleicht: Hey, das ist toll, das will ich auch machen. Kaufen sich ’ne Gitarre und machen los. So hat es bei uns ja auch mal angefangen. Wenn es das nicht mehr gibt, keine Vorbilder, dann entsteht auch keine eigene kulturelle Szene — und dann brauchst du dich nicht wundern, wenn die Kids den Nazis nachlaufen-„