Rock am Ring, Nürburgring/Eifel


In diesem Jahr feierte Rock am Ring sein 25-jähriges Jubiläum. Wer als Musiker etwas auf sich hielt, ging diesmal in die Luft. Tat so, als käme er vom Mars. Oder ließ sich von UFOs besuchen.

Es ist Donnerstagabend, und Paul Stanley erklimmt eine Seilwinde, zum tausendsten Mal in seinem Leben. Nach seiner Standard- bzw. „klassischen“ Ansage („I’m coming to see you“) lässt er sich in die Mitte des Publikums abseilen, wo er auf einem Podest „I Was Made For Loving You“ anstimmt. Später spuckt Gene Simmons Blut. Und Tommy Thayer lässt seine Gitarre fliegen. Eine Kiss-Show bleibt eine Kiss-Show, eine Abfolge von Ritualen. Das gehört so, ist wohl auch gut so und passt auch ganz gut in die Aufwärmphase eines Riesenrockfestivals vor 85.000 Menschen. Wenn es nur nicht 2010 wäre …

Da geht Jay-Z am Freitagabend schon engagierter zur Sache: Der Ring, das stellt er mit seinem ganzen Auftreten klar, ist jetzt einfach mal für eineinhalb Stunden sein Festival. Das Publikum sieht’s genauso. Ein wogendes Meer aus Armen bis zum Horizont, auf der Leinwand die glühende Skyline Manhattans, dazu „Empire State Of Mind“. Jay-Zs Melodien verweben sich mit denen von „Sunday Bloody Sunday“ und „Diamonds Are Forever“, er improvisiert, er wogt mit den Massen – perfekte Kommunikation mit dem Publikum. Seine Beyoncé, tatsächlich mitgereist, sieht den Auftritt vom V.I.P.-Balkon aus.

Dann die Headliner: Der aufsteigende rote Stern auf der Leinwand kündigt das grandioseste Soundinferno des Festivalwochenendes an. Rage Against The Machine spielen so gut, dass man sich einmal mehr fragt, warum diese Band nicht endlich eine neue Platte aufnimmt – muss man doch fürchten, dass die sich irgendwann mit dem Material ihrer bis zum Jahr 2000 aufgenommenen Alben langweilen werden. Die übliche und einzige Live-Schwäche der Band, nämlich das vorzeitige Verbraten eines Großteils ihrer besten Songs („Bombtrack“, „People Of The Sun“, „Testify“, „Bulls On Parade“) bereits im vorderen Set-Drittel, wird von der von Musikern und Menge gemeinsam an den Start gebrachten Energie einfach weggedrückt. Im Publikum brennt eine US-Flagge.

Am Samstagnachmittag am Ring aufzutreten, als zweiter Act um halb vier, kann so ziemlich die undankbarste Aufgabe überhaupt sein. Die Sonne knallt auf den Asphalt, und die meisten der wenigen schon anwesenden Zuschauer spüren die Nacht noch in den Gliedern und haben gar keine Lust auf Musik. Da scheint es wie Luxus, aber doch auch schlau, Dizzee Rascal quasi als Promi-Warm-Up zu buchen. Nur von einem Gast-Rapper und einem DJ begleitet, lockt Rascal ein paar glühende Fans und auch immer mehr Laufkundschaft vor die Center Stage und bringt so den dritten Festivaltag ins Rollen. Er, der in den vergangenen zwei Jahren alles Kindliche, alles Schelmenhafte von sich abgestreift hat, stellt die Beatmaschine auf Durchlauf und hinterlässt nach einem furiosen Set ein paar Tausend, die sich dazu beglückwünschen können, nicht erst gegen Abend aufs Gelände gelatscht zu sein. Der frühe Vogel fängt den Wurm. Dennoch leise Zweifel, ob Dizzee Rascal nicht auch eine Abendshow verdient hätte wie etwa Jay-Z.

Danach 30 Seconds To Mars, eine Art US-Version der Kostümband Tokio Hotel. Jared Leto trägt einen pinken Iro, was in L.A.-Clubs momentan sicher für wahnsinnig europäisch gehalten wird. Er holt – ganz down to earth – Fans auf die Bühne, hält sie dann aber auf Sicherheitsabstand. Die Musik klingt geklont, die Sprüche sind beliebig („Jump!“, „Let me see your hands!“, „You can do better than that!“ etcetera). Ausgerechnet Leto, der Hollywood-Edelpunker, pöbelt wohlfeil gegen die Leute oben auf der V.I.P.-Tribüne. Das geht recht hart an die Grenze des Erträglichen.

Es folgen – dankenswerterweise – Muse. Ein aufblasbares Ufo schwebt über der Menge. Eine Seilakrobatin schwingt sich heraus, während Matt Bellamy melancholisch dazu jodelt. Die Botschaft? Vielleicht so: Muse bieten uns ein Ufo an, mit dem wir uns in eine bessere Welt flüchten könnten – und zeigen dann mit dem seiltanzenden Menschen, dass alles Schöne doch längst unter uns ist. Die Untertasse ist jedenfalls so groß und kompliziert verkabelt, dass sie MTVs Sendesignal stört und das parallel auf der Alternastage stattfindende Slayer-Konzert nicht übertragen werden kann. Das können selbst die finalen Headliner Rammstein in puncto Show-Popanz am Sonntag nicht toppen. Und das will bekanntlich was heißen.

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