Ursula Bogner :: Sonne = Blackbox (CD & Buch)

Faitiche/Indigo

Fake? Fake des Fake? Hier gibt’s geniale Fragmente und formschöne Stimm- und Tonbandexperimente von Deutschlands so sehnlich herbeigewünschter Electronica-Urmutter.

Oft handelt es sich bei der Entdeckung und Veröffentlichung eines Nachlasses ja um ein One-off. Bei der im folgenden Ursula Bogner genannten Künstlerin ist vieles anders. Auf die 2008er Erstveröffentlichung Recordings 1969-1988 folgt nun eine CD- und Buchveröffentlichung, die in einem Akt lustvoller Erklärungswut Bogners lange unentdeckte Talente und deren bisherige Rezeption zum Thema macht. In 15 „neuen Schätzen“ aus den „Archiven“ („1970-1984“) und einer 126-seitigen Strecke mit Interviews, Thesen, Grafiken und Fotos. Die Gerüchte, die sich um die privatistisch experimentierende Pharmazeutin und Orgonomie-Anhängerin rankten, reichten bis zum Fake-Verdacht, der von den Blogs in die vermeintlich seriöse Kritik überschwappte und das Kunstwerk „Bogner“ verhüllte, ironischerweise zum Zwecke seiner Enttarnung. Ob der Berliner Elektromusiker Jan Jelinek, der als Entdecker Bogners ins Stammbuch eingetragen ist, sich ein weibliches Alter Ego zugelegt hat („Jelinek in drag“ schreibt Popmusiker Momus) oder Editionen seiner Identität veröffentlicht, führt vom Thema fort: Der (mögliche) Fake will uns etwas von den Gespenstern der Vergangenheit erzählen, die inmitten der von Referenzen heimgesuchten aktuellen Soundsignaturen zu den herrlichsten Spekulationen einladen und also der reinste Pop sind. Wo kommt dieser vocoderhafte Gesang im Titletrack „Sonne = Blackbox“ („1972“) her (Compiler Andrew Pekler vermutet eher den Stimmenverfremdungseffekt Sonovox dahinter)? Warum klingt die früheste Aufnahme („Trabant“, „1970“) wie eine Blaupause für den Layered Pop dieser Tage? Neu im Katalog von Ursula Bogner sind jedenfalls die Stimmexperimente, die gedoppelten, geloopten, manchmal liturgischen Gesänge, die im Verbund mit den Tonbandmanipulationen und den minimalistischen Synthie-Melodien die Sonne im Universum der Cut-ups aufgehen lassen. „Melodie, immer die Kunst anderer“, so lässt eine Karte im „Zettelkasten“ der Künstlerin uns wissen: Eine grob fahrlässige Einschätzung eigener Fähigkeiten, die mit dem Charme des Understatements spielt. Diese Frau hatte der deutschen Popkultur noch gefehlt, eine Urmutter der Electronica, locker platziert zwischen Oskar Sala, Herbert Eimert und dem großen Auftritt von Kraftwerk. Die Briten haben Delia Derbyshire und Daphne Oram, zwei geniale Dienstleisterinnen aus den Reihen des BBC Radiophonic Workshop. Wir sind mit Ursula Bogner („1946-1994“) noch rechtzeitig der schönen Sphärenmusik aus unseren Halluzinationen habhaft geworden. Und es wird wohl weitere Veröffentlichungen aus den Bogner-Archiven geben, eventuell auch von ganz anderen Musikern kuratiert. So wächst sich die Künstlerin im Spiel mit Sounds und Identitäten auf der arg wackeligen Zeitachse zum „historischen Phänomen“ aus, Bogners Aufnahme ins Weltkulturerbe der elektronischen Musik ist gesichert.

Key Tracks: „Or Dor Melanor“, „Sonne = Blackbox“, „Refrain für einen Formanten“