Queen

The Miracle (Collector’s Edition)

Universal (VÖ: 18.11.)

Geschichtsumschreibung mit schwerem Geschütz: Das gerne ignorierte 80er-Album der Artrock-Königinnen verdient unser Gehör!

Abgesehen vom zentral in den Setlists der Konzerte mit Adam Lambert gelegenen „I Want It All“ ist THE MIRACLE das gemeinhin übersehene 80er-Album Queens, zwischen der Radiopop-Schleuder A KIND OF MAGIC und der Drama-Queen INNUENDO. Besser gesagt ist es eher das überhörte Album, was man dank schwachen Yuppie-Sounds à la „Rain Must Fall“ oder „My Baby Does Me“ auch niemandem verdenken kann. Doch gesehen wird es durchaus häufig in Online-Galerien mit misslungenen Album-Covers. Tatsächlich wirkt das Artwork für heutige Augen (für Fans dieses Organs wartet das Backcover mit einem regelrechten Augenschmaus auf) etwas creepy – 1989 ließ es die Augenbrauen hochschnellen.

May und Taylor haben Archive durchforscht

Symbolisieren sollte das Gesichtsamalgam die neue Policy, bei allen Songwriting-Credits fortan die ganze Band auszuweisen (ausnahmsweise war dies zuvor schon bei „One Vision“ der Fall). Viel zu oft war die Vergangenheit der Bombastrocker von Zasterzoff gekennzeichnet gewesen. Nun hatte Mercury seine Kollegen während eines Restaurantbesuchs kurz und knapp in seine HIV-Infektion eingeweiht und wollte in Frieden seine letzten Jahre verbringen – vor allem mit Arbeit. Davon zeugt die Wiederveröffentlichung von THE MIRACLE, während dessen Aufnahmen nicht nur viele Songs des keine zwei Jahre darauf erschienen INNUENDO entstanden sind, sondern noch derart viel Material, dass man dieses als Zwischenalbum „Another Miracle“ auf den Markt bringen wollte. Damals fehlte die Zeit, heute steht sie dem übriggebliebenen Rest der Band, Gitarrist Brian May und Drummer Roger Taylor, ausreichend zur Verfügung. Gründlich haben sie ihre Archive durchforscht und alte Demos aufpoliert und ergänzt, sodass man wie schon bei MADE IN HEAVEN (1995) und zuletzt bei der Compilation FOREVER (2014) „neue“ Queen-Songs anbieten kann. Sie stehen selbstredend im Fokus des Interesses dieses gewaltigen, acht Discs umfassenden Sets.

„Face It Alone“ als düstere Konfrontation Mercurys mit seinem unausweichlichen Tod

Zusätzlich zum Originalalbum auf LP, das wie ursprünglich vorgesehen das sowohl spätere May-Solostück als auch danach für MADE IN HEAVEN aufgemotzte „Too Much Love Will Kill You“ in die reguläre Tracklist aufgenommen hat, sowie als 2011er-Remaster auf CD, hören wir erstmals Mercurys „When Love Breaks Up“ – eine Skizze, die man in verkürzter Form namens „A New Life Is Born“ als Intro zu Taylors „Breakthru“ kennt. Dazu kommt das schleppende Mercury-Taylor-Duett „Dog With A Bone“, das bisher nur ein einziges Mal öffentlich aufgeführt wurde, beim Fanclub-Treffen 1988. Die damals eingearbeiteten individuellen Grußbotschaften der Band, ähnlich denen der Beatles-Weihnachtssingles, ließ man aber aus. Möglicherweise, um einem Aufreger zu entgehen. Denn ausgerechnet der sonst so blasse Bassist John Deacon schäkerte hier sexistisch in Richtung Fanclub-Leiterin Jacky Smith: „And Jacky, in return for us doing this musical offering for you, is, after we’ve finished, she’s going to come on and do a strip for you.” Dessen „I Guess We’re Falling Out“ ist ein radiofreundlicher Popsong mit 70er-Harmoniegesang im Refrain. Seit Jahrzehnten kursiert er auf Bootlegs. Mays Synthie-Experiment „Water“ und die Akustiknummer „You Belong To Me“ dürften dagegen selbst Hardcore-Fans überraschen. „Face It Alone“ wurde wohl deshalb als Vorab-Single ausgewählt, da man es als düstere Konfrontation Mercurys mit seinem unausweichlichen Tod vermarkten kann, ebenso wie das arg auf diesen Zweck hinkonstruierte MADE IN HEAVEN.

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Stundenlang erleben wir hier kleine Wunder

Im Gegensatz zu einer holprig „Miracu-Mentals“ benannten CD mit Instrumentals (für die Karaoke-Party?), sind die zahlreichen Demos hoch interessant. Neben teilweise völlig anderen Lyrics – „Kashoggi’s Ship“ etwa weicht dramatisch von der geläufigen Fassung ab, „Breakthru“ wartet gar mit einer ganzen alternativen Strophe auf – ist es vor allem verblüffend, mit welcher Entschlossenheit Mercury den Ton angibt und seine Band mit detaillierten Ratschlägen leitet. Des Weiteren versammelt die Box durchwegs kurzweilige Promo-Interviews aus der Zeit mit einem bestens gelaunten Mercury, sämtliche B-Seiten und extended 12’’-Versionen, sowie eine DVD und Blu-Ray mit den Videos der Phase und Making-ofs. Diese Box lässt wahrlich keine Wünsche offen und wird dem Namen des Albums gerecht. Stundenlang erleben wir hier kleine Wunder.

Hoffen wir also auf ähnliche erkenntnisreiche Re-Releases von Alben wie THE WORKS und INNUENDO, von denen ebenfalls noch einige halbfertige Songs wie das Hi-Speed-Instrumental „Back To Storm“, das Aerosmith-artige „Self Made Man“ und und das Kinks-y „Robbery“ herumliegen müssten. Das nächste Weihnachten kommt bestimmt… also, davon gehen wir jetzt einfach mal aus.

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