Oneothrix Point Never
Age Of
Warp/Rough Trade
Nächstes Electronic-Großwerk: Aus den Fäden von Vergangenheit und Gegenwart entwirft Daniel Lapotin die Popmusik der Zukunft.
2018 ist das Jahr, in dem die Elektroniker, die schon immer besonders und besonders gut waren, außer Rand und Band musizieren.
Die Folge: Meisterwerke! DJ Koze, Mouse On Mars, jetzt Daniel Lapotins Oneothrix Point Never – die Abenteuerlust ist ungebrochen, die Freude am Zusammenarbeiten grenzenlos. Vor allem gelingt es den Acts, ihren Werken ein Narrativ zu geben. Nichts klingt zerschossen, verflüssigt, diese Platten sind Erzählungen aus den digitalen Kanälen unserer Welt. Lapotin erfindet dafür einen Epochenbegriff, wir leben im AGE OF. Age of what? Das Cover zeigt drei Frauen, die nach oben blicken, während ihnen unten ein iBook erscheint. Ignorieren sie es? Und wer ist hier retro, das Gerät oder die Frauen, die illustriert sind wie Figuren aus dem 70s-Comic, aber genau so angezogen heute durch Berlin oder Böblingen spazieren? Das Bild stammt vom Künstler Jim Shaw und trägt den wunderbaren Titel „The Great Whatsit“.
Den Titeltrack hat Lapotin an einem digitalen Spinett komponiert, Dead Can Dance trifft Aphex Twin. Gegen Ende droht das Stück wegzubrechen, so wie viele Tracks auf dem irren Vorgänger GARDEN OF DELETE. Doch Lapotin hält das Gleichgewicht, auf AGE OF siegt der Wille zur Schönheit, zum Pop. „The Station“ dreht in Richtung Vocoder-R’n’B, die erste Minute hat man so schon von anderen Musikern dieser Klasse gehört, etwa von James Blake, der hier auch dabei ist. Dann schraubt Lapotin den Track in Richtung Folk, und man wundert sich, wie organisch ihm diese Verschiebungen gelingen. Aber wo bleiben die Beats des Wahnsinns? Kommen später auf „We’ll Take It“.
Dass Lapotin am Ende mit „Still Stuff That Doesn’t Happen“ noch eine Art Barmusik vom Rand des Universums erfindet (mit Gastsängerin Anohni) und das Album mit kosmischen Freejazz ausklingen lässt, zeigt: AGE OF ist eines der großen Musikabenteuer dieser Zeit.
Klingt wie: Test Dept.: Materia Prima (1990) / Aphex Twin: Selected Ambient Works 85-92 (1992) / Bon Iver: 22, A Million (2016)