Mouse On Mars
Dimensional People
Thrill Jockey/Rough Trade
Kaum zu fassen: Die Konzept-Elektroniker geben den Raum frei, die rund 50 Gastmusiker – darunter Justin Vernon und die Dessners – nutzen das aus.
Es wird für Jan St. Werner und Andi Toma ein wunderbares Gefühl sein, nach so vielen Jahren „im game“ immer wieder neue Mitspieler zu finden, die sofort wissen, worum es den beiden geht. Und dann handelt es sich auch noch um die amtierenden Könige der Indie-Welt: Justin Vernon von Bon Iver, die Dessners von The National, Zach Condon von Beirut. Genau an diese Szene wollte die elektronische Musik von Mouse On Mars schon immer Anschluss finden. Nicht, um dabei zu sein. Sondern, um Synergien zu nutzen und Energiequellen außerhalb der elektronischen Daseinsform ihrer Musik zu finden.
Ein Jahr lang hielten Mouse On Mars in ihrem Studio im „Funkhaus Berlin“ die Türen offen, mittendrin buchte man einen Flug nach Wisconsin und besuchte Justin Vernon in seinen „April Base“-Studios. Schritt für Schritt entstand DIMENSIONAL PEOPLE, das abenteuerlichste Werk dieser an Abenteuern reichen Diskografie. Der Anspruch des ursprünglich Köln/Düsseldorfer-Duos war von Beginn an die Entdeckung der Menschlichkeit im Elektroniksound, ein im besten Sinne sehr deutsches Thema – an dieser Stelle ein Verweis auf den gerade wiederentdeckten Elektronik-Veteranen Klaus Schulze, dessen frühen Alben eine Art Primärquelle für diese Musik sind.
DIMENSIONAL PEOPLE nimmt den Indie-Gedanken ernst
Mouse On Mars waren immer auch Indie-Typen, die Platten erschienen erst auf Too Pure, nun auf Thrill Jockey, als Von Südenfed nahmen sie das beste Mark-E.-Smith-Album auf, das nicht das Label The Fall trägt. Auch DIMENSIONAL PEOPLE nimmt den Indie-Gedanken ernst, wenn man darunter kollektive Musikerfahrung versteht. Zugrunde liegt dem Album die Idee eines „konstruktivistischen Sozialismus“ (ja, das nachdenkliche Stirnrunzeln gehört bei Mouse On Mars seit jeher dazu), die Grundannahme: Jeder Track ist ein freier Raum. Die Gäste legen die Koordinaten fest, statten den Raum aus, bespielen ihn. Jan St. Werner und Andi Toma geben damit immer wieder komplett die Kontrolle ab, haben aber hörbar viel Freude daran, den Laden mithilfe ihrer Zaubertricks schließlich doch noch zusammenzuhalten.Die ersten beiden Teile des Titelstücks besitzen einen kräftigen Afro-Beat-Jazz-Puls, bevor Vernon im dritten Part die Fläche gestaltet, mit Vocoderstimme und flächigen Sounds, ganz in seinem Element. Mit der Debatte, welches Bon-Iver-Feature besser ist, das auf der neuen DJ Koze ober eben dieses hier, überbrücken wir die Zeit bis zum Sommer. „Foul Mouth“ schwirrt erst torkelnd wie eine betrunkene Libelle, bekommt dann Zug durch Amanda Blanks Robo-Raps und pendelt als Lounge-Ambient-Song aus, die Texturen dafür stammen von Condon. Der Trip dauert nur drei Minuten, zusammengehalten wird das Stück von einem gespenstischen Sprachsample – eine sich dermaßen organisch entwickelnde elektronische Musik hört man nur sehr selten.
Unfassbarkeit ist das Ziel dieser Musik
Noch wundersamer ist „Parliament Of Aliens Part I“, das als Industrial-Avantgarde beginnt und sich in Richtung Folk mit Fiddle dreht. Und es geht noch eine Ebene weiter, „Résumé“ ist ein Bio-Track mit und über Swamp Dogg, einer schillernden Persönlichkeit des US-Soul, der immer dann, wenn er besonders gut war, so viel albernen Quatsch zuließ, dass seine Karriere stets versandete.
Seine Lebensbeichte vertonen Mouse On Mars und die Musiker um Aaron Dessner zunächst als sphärischen Track, der sich in einen alligatorenhaften Marsch zwischen Tom Waits und Mardi Gras wandelt, digital zusammenbricht und in das Schlussstück „Sidney In A Cup“ mündet, das auf einer Yacht in Softrockgefilde verschwindet.
Höchstwahrscheinlich haben wir es hier mit unbegreiflicher Genialität zu tun.
Rund 50 Musiker haben St. Werner und Toma für dieses Projekt zusammengetrommelt: Bläser, Streicher, Stimmen. Auch die Warschauer Straße in Berlin erhält einen Credit, als Lärmgeber. Der Aufwand hat sich gelohnt, DIMENSIONAL PEOPLE ist ein großes Album, das man ein Dutzend Mal hören kann, ohne annähernd alle Dimensionen zu erfassen. Genau diese Unfassbarkeit ist das Ziel dieser Musik, die nur entstehen konnte, weil sich die Musiker der Schwerelosigkeit ihres Tuns ergaben. Wie es St. Werner und Toma gelungen ist, aus dem kreativen Wabern dieses geschlossene Werk zu machen, bleibt ein Rätsel. Höchstwahrscheinlich haben wir es hier mit unbegreiflicher Genialität zu tun.
Die fünf besten Songs: 1. Résumé 2. Foul Mouth 3. Daylight 4. Dimensional People Part III 5. Sidney In A Cup
Klingt wie: Klaus Schulze: X (1978) / Bon Iver: 22, A Million (2016) / Floating Points: Reflections – Mojave Desert (2017)