M.I.A.
A.I.M.
Interscope/Universal
M.I.A.s Agitpop erfindet sich zwischen HipHop, EDM und Worldbeat nicht neu und ist trotzdem die Wutmusik zur Zeit.
Man hatte sich über die merkwürdige Stille gewundert. Darüber, dass man – obwohl die Wut über bestehende Verhältnisse ja in der Popmusik eine lange Tradition hat – in diesen finsteren Tagen vergebens nach dezidiert politischen Songs suchte. Und dann: Auftritt Maya Arulpragasam. Natürlich kann man sagen, dass der von ihr fast im Alleingang erfundene Global-Ghetto-Sound an Dringlichkeit verloren hat, aber eines macht A.I.M. authentischer als jede andere aktuelle Platte: Hier tummeln sich Flüchtlinge und Grenzpolizisten, Billigarbeiter und Ausgegrenzte, „Broke People“ und „Boat People“. Hier brennt die Welt: „Looking in the mirror, mood emoji fire“, wie M.I.A. einmal singt.
Immer noch gibt sie den Störenfried der westlichen Wellnessgesellschaft. Sie ist „here to shine a light on the matter“. Der Sound ist typisch M.I.A.: ein Mash-up aus South-London-HipHop und Dancehall, trötenden Tönen, Bhangra und Vocoder-Sprechgesang. Allerdings kehren die Songs nach dem experimentierfreudigerem MAYA und dem spirituell angehauchtem MATANGI zu einer Einfachheit zurück, „clean“ nennt sie das. Was sie sagen will, ist womöglich: clear. Der Sound soll der Message nicht im Weg stehen. Und die ist bereits im Eröffnungsstück „Borders“ bestechend simpel wie wirkungsvoll: Zu HipHop-Beats und verträumt dudelndem Flöten-Sample gleicht M.I.A. Stichworte politischer Realität mit oberflächlichen Internet-Mantras („killing it“,„breaking Internet“) ab.
In „Jump In“, das wie ein Demo klingt, singt sie im Duett mit federnden Computer-Hallstimmen über die Aufbruchsstimmung von illegalen Flüchtlingen, die abwechselnd in Vans und Boote springen. Zwei Nummern und ein paar launige Wortspiele später („the people’s republic of swagger-stan“) sind ihre Protagonisten dann bereits in der europäischen Diaspora angekommen und träumen vom neuen Leben als „Foreign Friend“: „Then we get a Benz, flat screen TV. Then we pay rent. Then we think we made it. Then we be your foreign friend.“
Das ist alles weder neu noch ein konkreter Lösungsansatz für den globalen Problemberg. Manchmal klingt es sogar einen Tick zu sehr nach Stadion-Rave (die Skrillex-Kooperation „Go Off“) oder Kaugummi-Ballade („Survivor“). Aber umso länger die Platte läuft, desto öfter denkt man: Irgendwer muss es ja sagen. A.I.M. ist kein Meisterwerk wie es KALA war, aber auch hier gibt es sie noch: diese überdreht polternden Pop-Nummern, in denen mehr Ideen stecken als in manch anderen Alben.
Einer davon ist „Ali R U Ok“, ein mitreißender, von polyrhythmischem Getrommel angeheizter Migranten-Love-Song. „All work and no play“, beklagt sich hier eine verzweifelte Geliebte. M.I.A.s Musik ist immer noch beides: Work and Play, die eigentlich unmögliche Verschmelzung von Substanz und Style. Vielleicht haben wir ihre Musik niemals so sehr gebraucht wie jetzt.