Album Der Woche

Isolation Berlin

Und Aus Den Wolken Tropft Die Zeit

Staatsakt/Universal

Die beste Band der Hauptstadt schickt sich an, mit ihrem Power-Pop/Post-Punk-Debüt auch die beste Band des Landes zu werden.

Man muss als Neuankömmling im Musikzirkus schon wissen, dass man auf verdammt gutem Material sitzt, wenn man auf seinem Debütalbum sämtliche hochgelobte Songs der ersten Singles weglässt. Aber es ist nun mal so: Isolation Berlin können sich das erlauben. Wann zuletzt ist eine junge Band hierzulande auf den Plan getreten, die so reichhaltig Hits im Angebot hatte?

Während auf der am selben Tag erscheinenden Songsammlung Berliner Schule/Protopop nun der Jingle-Jangle-Pop und schroffe Postpunk der ersten beiden Isolation-Berlin-EPs „Körper“ (März 2015) und „Aquarium“ (Oktober 2015) versammelt ist, sind auf dem richtigen Debütalbum Und aus den Wolken tropft die Zeit zwölf komplett neue Stücke enthalten, die die Klangfarben der beiden EPs aufgreifen, aber die stilistische Palette noch einmal deutlich erweitern. Neben Power-Pop und Postpunk kann man nun auch eine große „Motorcycle Emptiness“ –Gitarre in „Fahr weg“ entdecken. „Herz aus Stein“ wäre bestens dafür geeignet, die Abenteuer des Franz Biberkopf aus Alfred Döblins Jahrhundertwerk „Berlin Alexanderplatz“ zu untermalen. Seit ihren ersten Songs werden Isolation Berlin – wie auch die Kölner von AnnenMayKantereit – von Rio-Reiser-Vergleichen verfolgt und so sehr sich die Jungs auch dagegen wehren, ist es tatsächlich nicht einmal nur Tobias Bamborschkes Stimme, die vor allem in den ruhigeren Songs unweigerlich an den alten König von Deutschland erinnert, es sind gerade auch seine Lyrics. Ihm gelingt das seltene, seit Reiser eben kaum mehr gesehene Kunststück, einen Drama-Queen-Ansatz mit der notwendigen Schnoddrigkeit zu verbinden, was bei aller Cleverness der Texte jede Verkopftheit vermeidet, aber nie ins Gefühlsduselige abrutscht. „Über Sehnsucht kann man nur schlechte Lieder schreiben“ und „über Frauen kann man schlecht im Deutschen fluchen“, sang Dirk von Lowtzow in den mittleren 90er-Jahren voller Überzeugung, aber da kannte er eben auch Isolation Berlin noch nicht und wie meisterhaft man Sehnsucht und ein saftiges Fuck You! in einem Song wie „Schlachtensee“ verbinden kann: „Es ist so schwer, dir in die Augen zu sehen, wenn man weiß, es wird der letzte Abschied sein. Es rauscht in meinen Ohren und es fällt schon wieder Schnee. Der Schlachtensee ist lang und auch ohne dich ganz schön“, heißt es da.

Bamborschke pflegt mit einer Doherty’schen Abgefucktheit zu spielen, was ihm sicher nicht nur Freunde bringen wird, aber im asepti-schen deutschen Indie-Rock wie ein dringend benötig­ter Schuss Adrenalin wirkt. Programmatisch für die freche Selbstverständlichkeit und ihre gesunde Arroganz, mit der uns die so gesehen den Stone Roses nicht unähnlichen Isolation Berlin begrüßen, ist dabei gleich das brillante Eröffnungsstück „Produkt“: „Im grellen Rampenlicht fühle ich mich geliebt und dass es auch für mich noch etwas Gnade gibt. Ich bin ein Produkt, ich will, dass ihr mich schluckt. Dass ihr mich konsumiert, euch in mir verliert. Ich will, dass ihr mich liebt und auch die ganze Welt. Ich lebe für Applaus bis der Vorhang fällt.“ I wanna, I wanna, I gotta be adored.

Diesen Applaus spenden wir gerne, ist Isolation Berlin doch eine Band, die den Soundtrack für die drei wichtigsten Dinge im Leben liefert: eine alte Liebe zu vergessen, eine neue zu finden und das allerletzte Bier leerzutrinken. Es mag erst Februar sein, aber man kann sich kaum vorstellen, dass 2016 noch ein besseres deutschsprachiges Album veröffentlicht werden wird. Harte Liebe für Isolation Berlin!