Ilgen-Nur
IT’S ALL HAPENNING
Power Nap Records/Membran (VÖ: 13.10.)
Kalifornien in Berlin: Ilgen-Nur rettet wieder deutschen Indie-Rock.
Wie würde es klingen, wenn Berlin in Kalifornien liegen würde? Na, wie bei Ilgen-Nur. Oder besser gesagt: bei Ilgen-Nur 2.0. Aber der Reihe nach: Was war das für eine Freude, als Ilgen-Nur mit ihrem wunderbar lethargisch-lakonischen POWER NAP 2019 bewies, dass Gitarrenmusik sehr wohl noch ihre Berechtigung hat. Statt schwitziger Boys aber, die von toxischen Beziehungen singen, ging es bei İlgen Nur Boralı um alles und um nichts, um diesen Schwebezustand irgendwo zwischen 20 und 30, um Wut, um Antriebslosigkeit, um Begehren und Langeweile.
AmazonUnd das alles mit einer Attitüde, die die Softness der Songs mit einem Herz aus Punk kreuzte. Easy wäre es gewesen, genau da weiterzumachen. Aber warum einfach, wenn’s auch aufregend geht? Sie verliebte sich in L.A., wo sie aufgrund des globalen Lockdowns auf dem Weg zum SXSW gestrandet war, kehrte mit einer Künstler:innenresidenz in die Stadt zurück und ließ die kalifornische Sonne genauso in ihre Songs hineinstrahlen, wie auch die inhärente Düsternis des Molochs.
Das zeigt sich etwa besonders schön auf „Dream Of Hell“, das die Spannung zwischen den beiden Polen, zwischen Hässlichkeit und Schönheit, nicht nur einfängt, sondern auch auszuhalten weiß. Oder geradezu theatralischen „Lookout Mountain“, eine Ode an die Stadt der Engel. Um Berlin geht es wiederum recht deutlich auf „Momentary Bliss“, einer Auseinandersetzung mit den Lebenslügen im Nachtleben, die klingt wie ein verschrobenes Schlaflied, das die falsche Ausfahrt in Richtung Spiegelwelt genommen hat. IT‘S ALL HAPPENING: Ilgen Nur fasst die Überforderung von der Gegenwart in selbstbewussten Sound. Und wir verlieren uns nur zu gern in ihren Songs zwischen Traum und Albtraum.