Album der Woche

Idles

Joy As An Act Of Resistance

Partisan/[PIAS] Coop/Rough Trade 

Hochemotionaler, eloquenter, rasiermesserscharfer, treibender, niederschmetternder, lebens- und liebesbejahender Punk. 

Auf der einen Seite: der britische Langstreckenläufer und Sohn somaliländischer Eltern Sir Mohamed „Mo“ Farrah, der Wrestler „Stone Cold“ Steve Austin, der 2014 verstorbene Sozialist und Labour-Abgeordnete Tony Benn, Freundschaft, Solidarität und Liebe. Auf der anderen: Faschisten, Homophobie, zugekokste Schlägertypen, James Bond („ein mörderischer Schnösel“) und Brexit. Die Idles zeigen die Fronten klar auf, und es besteht kein Zweifel, auf welcher Seite sie selbst stehen.

BRUTALISM (2017) hieß das erste Album der (Post-) Punkband aus Bristol, und es klang, wie es sich anfühlen muss, ein verhasstes Gebäude mit einem Vorschlaghammer in Stücke zu schlagen: glorreich, und auch ein bisschen beängstigend. Nur anderthalb Jahre später erscheint der Nachfolger, und während die Musik nichts – gar nichts – von ihrer Schlagkraft verloren hat, sind doch die Feindbilder klarer definiert, die Höhen noch triumphierender und die Tiefen noch niederschmetternder. Eine „Parade aus Glitter und Gewalt“, wie es Sänger Joe Talbot im Pressetext beschreibt. Talbot war bereits auf dem ersten Idles-Album als einfühlsamer Texter mit Sinn für extrem zitierbare Slogans aufgefallen („Always poor, never bored!“ aus „White Privilege“), und liefert auch auf JOY… ein Dutzend Zeilen für die Ewigkeit oder zumindest für die Tattoo-Nadeln. Egal ob er in „June“, einer tieftraurigen Ballade über seine tot geborene Tochter, Hemingway zitiert, oder in dem beklemmenden Brecher „Never Fight A Man With A Perm“ sein Gegenüber mit hörbarem Genuss lyrisch zerlegt („You are a catalogue plastic Sinatra, a try-hard. Should have tried harder“), man hört ihm gebannt zu.

Dass er eigentlich nicht wirklich singen kann, fällt überhaupt nicht ins Gewicht – dazu ist der Sog, den die Band erzeugt, zu mächtig. Die Gitarren klingen mal wie heulende Sirenen, mal wie zerberstendes Glas, manchmal wie eine Lawine aus Geröll, stoisch wummernde Bassläufe und seine gebrüllten Backing Vocals geben den Songs Struktur. Der straighteste dieser Songs ist „Danny Nedelko“, benannt nach einem Bristoler Freund, dessen Refrain Fußball-Schlachtruf-Qualitäten hat, aber eigentlich ein inniger Appell an Solidarität mit Einwanderern ist – in der Welt, in der wir leben, ist das kein selbstverständlicher Move. Und deswegen, genau wie dieses Album, absolut unverzichtbar.

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