HGich.T
Therapie wirkt
Tapete/Indigo
Anti-Musik, Anti-Texte und vor allem Debilität als scharfe Waffe gegen den (einigermaßen) smarten Musik-Diskurs. Bloß wohin mit der implementierten Redundanz auf Album Nr. 4?
Das Narrativ, das um einen Musik-Act bei jeder Platte weiterwuchert, besitzt große Ähnlichkeiten mit einem Entwicklungsroman. Ein naiver, ursprünglicher Protagonist taucht kraftvoll, aber einigermaßen blind auf der Bildfläche auf – über seine Abenteuer, Erlebnisse und Erkenntnisse entwickelt er sich weiter, durchläuft einen sichtbar gemachten Reifeprozess. Diese bürgerliche Erzählung mit dem schon an Goethe geschulten „Wilhelm Meister“-Touch greifen auch Musikmedien gern auf. Die größte Leistung des Künstlerkollektivs HGich.T war es, dies alles Ende der Nullerjahre zu zertrümmern. Musik kaputt, Sinn auch, Hauptschule geschmissen.
Das Dilemma sieben Jahre später: Diese extreme Musik kann per definitionem keine Entwicklung durchmachen, sie ist der Anti-Entwicklungsroman. Die musikalischen Variationen (wie bei „Skeletor“ oder „Teddys Penis“), die halbherzig versuchen, das gruppeneigene Trademark, von Scheiße labern über billige, monotone Beats, aufzuweichen, ändern daran nichts. Live löst das Kollektiv ohnehin Band- und Songprinzip konsequent auf. Hier gibt es nur Soundbett, Chaos und irgendjemand ruft immer mal wieder jene „Hauptschule!“ ins Mikro, meist einer der vielen spontan involvierten Zuschauer.
HGich.T-Konzerte sind die räudig reale Version davon, was Deichkind-Shows simulieren: Echte Ekstase herbeigeführt über Blöd- und Wahnsinn. Auch die bescheuerten YouTube-Clips sind unbedingt zu empfehlen, „Therapie wirkt“ steht schon über ein Jahr online. Bloß das Format des Albums passt einfach nicht mehr ins Game dieser Gruppe. Sie haben trotzdem wieder eins gemacht – nach den Werken Mein Hobby: Arschloch, Lecko Grande und Megabobo. Vermutlich, weil man sonst nicht auf die nächste Tour gehen kann. So viel Zugeständnis zum trivialen Skript des Entwicklungsromans muss dann wohl doch sein.