Gabriels
ANGELS & QUEENS
Parlophone/Warner (VÖ: 7.7.)
Gospel im Club: Lobpreisungen an Gott und die Nacht für das neue Jahrtausend.
Es ist kaum überraschend, dass sie sich an einem Filmset kennengelernt haben sollen: Vokalist Jacob Lusk, Komponist Ari Balouzian und Filmemacher Ryan Hope machen als Gabriels Musik, die Raum einnimmt, die ihre Hörerschaft auf eine Reise schickt, die geradezu filmisch grandios daherkommt. Das beginnt schon gleich bei dem reduzierten Einstieg im Intro zu „Offering“ mit einem Kontrabass straight outta New Orleans, weitere Streicher steigen ein, Lusk klettert ins Falsett, ein Chor gesellt sich zu ihm, plötzlich landen wir in einem Call-and-Response-Spielchen und die Sonne geht auf und strahlt auf uns alle nieder.
AmazonHoly fuck, was passiert hier gerade? Gabriels sind ein Phänomen, traditionsbewusst, aber das ganz ohne allzu retro zu wirken, ohne eine musikalische Kostümparty zu starten. Nein, ihr Sound steht fest verankert in der Geschichte von Soul, in Lusks Umarmung des Gospel, und ja, auch Dixieland Jazz, aber ist dabei ganz und gar gegenwärtig. Auch, aber nicht nur wegen dem Synthesizer oder den Samples, die mal nur kurz durchscheinen, mal wie etwa auf „The Blind“ das Gerüst des Songs bilden. Nein, es sind auch Lusks Erzählungen von queerer Liebe und Begehren, Verlust oder Substanzmissbrauch. Kirchenchorthemen sind das nicht. Das transzendente Outfit steht ihnen aber vielleicht gerade deswegen so gut, schließlich hat doch auch Jesus etwas von „die Letzten werden die Ersten sein“ erzählt, oder?
Zwischen Opernarie und Gospelchor
Seit der Veröffentlichung ihrer Debüt-EP „Love And Hate In A Different Time“ von 2021 hat es das Trio geschafft, Fans wie Elton John oder BBC-Musikjournalistinnenlegende Annie Mac zu sammeln. Das liegt vor allem an der unglaublichen Performance von Sänger Lusk, der in den frühen Zehnerjahren bei „American Idol“, dem US-Vorbild zu „DSDS“ mitgemacht hat. Schwer von den manipulativen Praktiken der Castingshow traumatisiert, besann er sich zurück auf seine Wurzeln und arbeitete unter anderem als Gospel-Chorleiter – was ihn und seine jetzigen Bandkollegen zusammenbrachte, als die auf der Suche waren nach einem Chor für Filmaufnahmen in Los Angeles.
Begeistert von Lusks Stimmgewalt irgendwo zwischen Opernarie und Gospelchor, seinem Auftritt und seinem musikalischen Talent gründeten sie Gabriels. Lusks Vokals, Songwriting und Performance werden umrahmt von Hopes und Balouzians filmreifen Kompositionen, die sich Elemente von Jazz-Balladen genauso ausborgen wie von der tiefen Melancholie des Blues, dem Drama von Opern, der Prägnanz elektronischer Musik und HipHop und dem süchtig-machenden Appeal des Pop.
So viel sollte gesagt sein: Wer auf Minimalismus Wert legt, ist hier nicht richtig aufgehoben. Die erste Hälfte dieses spektakulären Debüts erschien schon letztes Jahr, weil Lusk, wie er der BBC erzählte, „nicht warten konnte“. ANGELS & QUEENS löst das Versprechen vom zeitgenössischen Update von klassischem Gospel ein, und funktioniert genauso als postmoderne, queere Predigt wie in einem Housemix im Club zur Peaktime. Das ist ja auch eine Art Kirche, immerhin. Und Lusk, der etwa bei ihrem Glastonbury-Auftritt Tuxedo mit einer Art exzentrischem Bischofsmantel kreuzte, gibt den mitreißenden Prediger, dessen Stimme uns mitnimmt in die höchsten Höhen („Offering“, „Taboo“) und tiefsten Tiefen wie auf dem trancehaften Albumhighlight „Glory“.