Die Ärzte
Hell
Hot Action/Universal (VÖ: 23.10.)
Zwischen Punkrock, Zappa Frank und Bierzeltinfiltrierung passt immer noch ein ganzer altmodischer Fan-glücklich-Macher von einem Album – und eine Kraft, der selbst dunkelste Mächte für mindestens 60 Minuten nicht gewachsen sind: Melodien!
Sollte dich einer fragen von den anderen faltigen Leuten, warum das neue DÄ-Album besser ist als sein Vorgänger, dann sag: Das liegt am Songwriting. Sicherlich auch daran, dass es mehr Drive hat, nicht so viel fragt nach dem Rock, sondern rockt. Womit wir ja schon wieder beim Thema Songwriting wären, oder – siehe die eher Judas-Priest- als Dead-Kennedys-verdächtige Vorabsingle „Morgens pauken“ –, besser noch: Riff-Writing!
AmazonUrlaub-Songs wie „Plan B“, „Wer verliert, hat schon verloren“ oder „Warum spricht niemand über Gitarristen?“ tun zwar so, als hätte sich seit den (US-)Punkrock-90s kaum mehr was bewegt, sind aber eben auch Musterstücke ihrer Gattung. (Wobei sich die „Gitarristen“ final in Theaterrock-Eskapaden zwischen Zappa, Die Prinzen und Brian May entladen, deren genauere Erläuterung das Format sprengen würde.)
Noch bessere Melodien und Erfüllung alt(modisch)er Pop-Sehnsüchte folgen in Songs wie dem unironischen Liebeslied „Leben vor dem Tod“, zu dem Farin von „Ich weiß nicht (ob es Liebe ist)“ (1985) über „Wie es geht“ (2000) erst mal hinreifen musste, und „Ich, am Strand“, das einen, gerade weil es Holiday-Latin-Pop mit einer unsentimental-empathischen, kunstvoll gereimten Story vom Am-Leben-Zerbrechen kreuzt, an einer Stelle berührt, von der die von der Radiopopliedmacherschule gar nicht wussten, dass es sie gibt.
Selten haben sich Belas Bemühungen, nicht zu bemüht zu klingen, so ausgezahlt
HELL zeigt Farin in sehr guter Form, da sei ihm ein eskapistisches „Westerland“-Eigenplagiat wie „Das letzte Lied des Sommers“ verziehen, auch weil meckern und mitsingen gleichzeitig ja nicht geht. Aber auch Bela streut im für ihn typischen Storyteller-Stil Songs dazwischen, die gerade kompositorisch zu seinen interessantesten Sachen überhaupt gehören. Das erfreuliche Geschrappel der Müßiggänger-Hymne „Achtung: Bielefeld“, das altmeisterlich ausarrangierte „Clown aus dem Hospiz“, vor allem aber das Kleinst-Juwel „Einmal ein Bier“, das Surrealismus, Grandezza und einen wie aus dem offenen Hahn getexteten Fluss in ein einziges Glas bringt – selten haben sich seine Bemühungen, nicht zu bemüht zu klingen, so ausgezahlt.
Letzteres Stück beweist gleich noch, dass den Ärzten auch ihre Quatschsongs wieder besser gelingen: „Thor“ („Chris Hemsworth hat meinen Körper geklaut“) ist auf dem Textblatt Daddy-uncooler Teenager-Pop-Unsinn, klaut dir aber während der zweieinhalbminütigen praktischen Ausführung jede Kritikfähigkeit. Belas „Alle auf Brille“ gelingt genau dadurch, dass es mindestens so sehr Oi!-Hymne sein möchte wie Persiflage. Und „Liebe gegen rechts“ ist wieder so alberne Bierzelt- und Resthirn-Infiltrierungsmusik alter DÄ-Schule – diesmal mit Cowboyhut –, aber welche Kartoffel bleibt ungegart bei diesem Refrain?
Einer Band, die der AfD so in den A*** f***, sollte man das Bundesverdienstkreuz zu verleihen versuchen
Eine Aleppo-Analogie und ein Verschwörungstheoretiker-Walzer zu viel, eine etwas selbstverliebte Stilübung ausgerechnet als zweite Single („True Romance“) und ein Rodscher Song-Sog („Polyester“), der etwas in der Luft hängt, zeigen, dass sich zwangsläufig vergaloppiert, wer versucht, gleichzeitig mit Sporen und Wheelie dem Treck anständiger Menschen voran Ohrwürmer pfeifend in den Sonnenuntergang eines besseren Morgens zu reiten. Doch andererseits beherrschen Die Ärzte sogar ein unglaubliches Monster wie „Woodbürger“ am Ende der Platte.
Es soll darüber nicht zu viel verraten werden, jeder MUSS es selber einmal hören! Nur so viel: Einer Band, die der AfD auf solch lustige, heißgebutterte und in einem wahnsinnigen Spacejam auch noch bei allen Classicrock-Fans die Backdoorscharniere frisch ölende Weise in den A*** f***, sollte man das Bundesverdienstkreuz zu verleihen versuchen, so lange sie sich dem selbst noch erwehren kann!