Charli XCX
Number 1 Angel
Atlantic
Die Frau aus der zweiten Reihe macht in der ersten Reihe Postmoderne mit Betonung auf Moderne. Und auf Pop.
Wer Radio hört, gerne auch den Dudelfunk, kennt diese Frau. Auch dann, wenn er den Namen Charlotte Aitchison noch nie gehört hat. Als Charli XCX arbeitet die synästhetisch vorbelastete Britin seit Jahren in der Zulieferindustrie für die Charts, schrieb Hits und Hooks für Gwen Stefani, Iggy Azalea, Selena Gomez oder Britney Spears. Ins Rampenlicht der ersten Reihe schaffte sie es trotz zweier Soloalben noch nicht. Der Grund wird schon deutlich nach den ersten Takten von NUMBER 1 ANGEL – ein während der stockenden Arbeit am dritten Album und unter Umgehung vertraglicher Verpflichtungen digital veröffentlichtes „Mixtape“ von 37 Minuten.
Wie schon der direkte Vorgänger, die experimentelle EP VROOM VROOM, lässt auch NUMBER 1 ANGEL den vorhersehbaren Electropop zugunsten cyberkultureller Avantgardismen weit hinter sich. Wie muss Pop nicht 2017, sondern 2018 oder 2019 klingen? Es muss eine erotische Stimme mit expliziten Texten über einem wirbelnden Chaos aus hüpfenden Beats und schlingernden Keyboards thronen, eckig und verwinkelt, aber immer den hymnischen Chorus im Sinn und die Charts im Blick. Avantpopmoderne, sozusagen. Was Charli XCX hier in zehn Songs angeblich aus der Hüfte schießt, ist dem Dudelfunk nicht völlig fremd – nur ein bis zwei Jahre voraus.