Billie Eilish
HAPPIER THAN EVER
Interscope/Universal
Superstarpop, der dafür eigentlich viel zu intim und zerschossen klingt.
Angenommen, eine popinteressierte Person, die im August 1987 ins Koma gefallen war (BAD von Michael Jackson erschien) oder auch im Februar 1998 (Madonnas RAY OF LIGHT) erwacht am letzten Freitag des Juli 2021, liest davon, dass der derzeit größte Popstar der Welt gerade ein neues Album veröffentlicht hat, und hört sich HAPPIER THAN EVER – seltsam genug – über ein tragbares Telefon an. Was denkt diese Person, wenn dieses Album mit den Zeilen „I’m getting older, I think I’m aging well“ beginnt, gesungen mit der Emphase einer Künstlerin, die bis eben ein Nickerchen gehalten hat? Wenn zwei Songs später der affärengeplagte „Billie Bossa Nova“ einsetzt, der auch Twee-Poppern gefällt? Wenn so also der Super-Weltstar dieser Epoche klingt, was sagt das dann über diese Zeit Ende der 10er-, Anfang der 20er-Jahre aus?
Gigantismus ist nicht angesagt. Es ist eh alles viel zu viel, daher schraubt Billie Eilish, 19 Jahre alt, ihren Superstar-Pop noch ein Stück weit nach unten, dorthin, wo die Gefühle wohnen. Retro funktioniert auch hier, aber nicht mit Glanz und Glamour, sondern mit betrübten Blick auf Julie London oder Marilyn Monroe, an deren Balladenstil sie sich auf Stücken wie „Hailey’s Comet“ oder „Everybody Dies“ nähert. Bruder Finneas hat diese Songs in seinem Studio (nicht mehr im Elternhaus) sehr intim und nur leicht verwaschen aufgenommen, sie klingen fantastisch. Wie auch das beatlastige „Oxytocin“, gewidmet dem Kuschelhormon, das für den Wohlfühleffekt sorgt, wenn uns jemand streichelt: „You know I need you for the oxytocin.“ Eilish klingt hier wie Zola Jesus, produziert von Timbaland: Modern Goth bleibt eines ihrer stärksten Metiers.
In ihren Texten verhandelt Eilish die Umstände der Prominenz und das Älterwerden, was eher langweilig ist. Dazu eine diffuse Eifersucht aufs Smartphone, was auch nicht vom Hocker haut. Aber sie singt eben auch über Einsamkeit und Sehnsucht – und im letzten Song, zur Folkgitarre, entwirft sie „Male Fantasy“: „Home alone / Trying not to eat / Distract myself with pornography.“ Knapp eine Stunde läuft die Platte, sie unterhält von der ersten bis zur letzten Minute. Das meisterliche Titelstück bietet das Album als Taschenbuch-Version, es beginnt wie ein Stück aus den 50ern, endet mit einem übersteuerten Emo-Part: „Just fucking leave me alone!“
Wenn so der Superstar klingt, hat sich die Welt dann besser oder schlechter als gedacht entwickelt? Na?