Rentner an die Macht
Getrennt war die Luft raus, doch als Little Village packen die grauen Panther noch einmal den Tiger in den Tank
„Ich sehe schon die Headtines vor mir: .Ergraute Rock V Roller, reif ßrdie Rente, werden von der Plattenfirma gedrängt, sich zusammenzutun, um endlich mehr Platten zu verkaufen‘. “ Ry Cooder lacht — und der unverkrampfte Ton, mit dem er und seine Kollegen von ihrem gemeinsamen Projekt reden, spricht in der Tat Bände. Little Village ist kein Produkt von Marketing-Strategen, die im Windschatten der Travelmg Wilburys eine neue Supergroup clonen wollen. Cooder & Co. sind sich einig: So locker hat bisher noch keiner der Vier mit Kollegen zusammengearbeitet. „Wir schrieben die Titel alle gemeinsam, als wir in meinem kleinen Heimstudio zusammensaßen. Die Instrumente, das Schlagzeug und die Mikrofone waren stets aufgebaut, der Toningenieur saß auf Abruf bereit. Wir haben versucht, etwas einzufangen, ohne allzu verbissen darüber nachzudenken. “ Obwohl das Little Village-Album in traditioneller Heimarbeit entstand, lieferten bei einigen Songs High-Tech-Samples den kreativen Funken. Verantwortlich dafür ist Schlagzeug-Legende Jim Keltner, der in seinem Haus Schubladen voller Disketten mit den ausgeklügeltsten Songfragmenten hamstert — „Ich bin ihm deswegen schon jahrelang hinterhergelaufen“, berichtet Ry Cooder über seinen Leib- und Magen-Drummer. „Mir war immer klar, daß in Jim mehr steckte als nur der routinierte Session-Drummer. „
Zum ersten Mal getroffen hatte man sich anläßlich der Produktion des John Hiatt-Albums „Bring The Family“ (’87), bei dem die Herren Cooder, Keitner und Nick Löwe jedoch „reine ßegleit-Jobs“ übernahmen. „Schon als ich damals zur Tür reinkam, war mir klar, daß wir eine ganz besondere Kombination waren“, erinnert sich Löwe.
Einer der energischsten Wegbereiter des erneuten Gipfeltreffens war Lenny Waronker. Präsident von Warner Brothers und Cooders Jugendfreund. „Man braucht solche Hilfe aus dem Konzern, denn man kann dort heute nicht mehr einfach reinspazieren. Es heißt nicht zu Unrecht: Wenn Elvis heutzutage ankäme, wurde er von den A&R-Tvpen herausgeworfen. “ Cooder zitiert süffisant das Telefonat, mit dem er Waronker das Little Village-Projekt schmackhaft machte: „Endlich haben wir genau das Richtige fiir dich! Und es sind nichtmal Pygmäen mit Nasen-Flöte, von denen ich ja weiß, daß du auf sowas abfährst…“
Nick Löwe (Ex-Bnnslev Schwarz), einst einer der Eckpfeiler des Britpop, teilt den Enthusiasmus seines amerikanischen Mitstreiters. In seiner künftigen Karriere räumt er Little Village unbegrenzt Zeit ein. „Als Musiker solche Partner zu finden ist so phantastisch, daß du nicht an andere Projekte denkst. Meine nächste Solo-LP wird durch meine Arbeit mit Little Village garantiert besser als meine bisherigen.“
Ebenso wie Löwe („In den 80er Jahren hatte ich das Gefiihl. daß mich alle fiir einen ausgehrannten alten Furz hielten“) hat auch Ry Cooder Jahre des Haderns mit der Plattenindustrie hinter sich. Schuld daran war… die Digitaltechnologie: Mit Horror erinnert sich Cooder an die Erfahrungen, die er ’79 mit „Bop Til You Drop“ (gilt als erste digitale Mehrspur-Aufnahme der Rockmusik) machte. „Die Technik war damals noch völlig unausgereifi — meine Musik klang folglich vollkommen tot. Es war eine deprimierende Erfahrung. An diesem Punkt faßte ich den Entschluß, das Business zu verlassen.“
Als Retter in der Not („Ich hatte ja nichts anderes gelernt!“) bot Regisseur Walter Hill dem frustrierten Cooder seine erste Filmmusik an. „Ich griff zu, und von mir aus hätte das Platten-Business vom Erdboden verschwinden können.“ Er versuchte es dann doch noch mal mit Platten-Produktionen, als er den Ingenieur Allen Sides kennenlernte, „derein altes Röhrenpult im Kleiderschrank versteckt hatte“.
Für die Little Village-Aufnahmen lud Sides zehn Jahre später ein ganzes Arsenal alter Röhrengeräle in Cooders Heimstudio in Santa Monica ab, Jim Keltner gab das Motto „Performance geht vor Perfektion“ vor — und so bastelte sich das Quartett aus vergleichsweise vorsintflutlichem Equipment einen kraftvollen Sound zurecht.
Neben ihrem Haupt-Job bei Little Village haben die Vier auch noch Zeit für sporadische Extra-Sessions. Cooder etwa führte bei einem Song auf dem jüngsten Album von John Lee Hooker („This Is Hip“) Regie. John Lee ist wie ein lebender Buddha. Er sitzt einfach nur da, kichert, ißt sein chinesisches Essen und sieht im Bett fern, während er mit minderjährigen weißen Mädchen am Telefon quatscht. Ich hoffe, ich bin mit 73 Jahren noch genauso gut drauf …“