Reggae Sunsplash ’83 – Montego Bay, Jamaica


Das „Reggae Sunsplash“ auf Jamaica droht allmählich über sich hinauszuwachsen Der diesjährige Aufwand war imposant, der äußere Rahmen – im frisch eingeweihten „Bob Marley Performing Centre“, ein gutes Dutzend Meilen von Montego Bay entfernt – mehr als ideal Daß einem bei dieser Mammut-Show ein mittlerer Kraftakt abverlangt wird, um auf das am Meer gelegene Gelände vorzudringen, war von vornherein klar, zunächst passiert man mehrere Sperren, zwängt sich durch einen unüberschaubaren Korridor aus Feldküchen und Andenkenständen und arbeitet sich dann über ein steiniges und schwachbeleuchtetes Gelände bis zur Bühne vor Alle vorherigen Rekorde hat „Reggae Sunsplash“ 83 auf jeden Fall gesprenqt 30 000 bis 40 000 Besucher bei 12 bis 16 Stunden Musik pro Nacht – und ein dermaßen dichtgestaffeltes Programm, daß am vierten und letzten Abend die Grenzen der Aufnahmefähigkeit überschritten wurden Wenn man sich im nachhinein für die Nacht der Nächte zu entscheiden hätte, dann war es wohl die zweite, bei der sich ein Highlight ans, andere reihte Gegen Mitternacht zunächst einmal Marcia Griffiths, die das allmählich eintrudelnde Publikum mit „Electric Boogie“ aufrüttelte (ihrem Top-Hit, der sich bis in den Sommer hinein auf jedem Plattenteller in Jamaica drehte, obwohl wochenlang kein einziges Exemplar auf der Insel aufzutreiben war!)

Massive Dread, ein schmächtiger Youngster aus Rema (Kingstons allerhärtestem Ghetto), hat sich im Verlauf der letzten Monate mit seinem stockenden und lethargischen Gesangsstil ganz nach vorn gesungen, er gehörte zu den wichtigsten Newcomem des Festivals – ebenso wie Triston „Joker Smoker“ Palmer und der ganz in schneeweiße Seide verpackte Barrington Levy. Vor allem Levy zeigte eine erinnerungswürdige Performance, mit all den sirenenartig geschluchzten „woohoos“, die seinen Gesangsstil so unverkennbar und sympathisch machen. Die folgende Dreiviertelstunde gehörte Michigan & Srmleys salomonischem und sozialkritischem DJ-ing – und was danach kam hab ich vorher und nachher nicht mehr erlebt Jamaicas Superstar Yellowman. von den Brillengläsern bis zu den Ringelsöckchen ganz in Gelb, und sein neuer Sparringspartner, der baumlange Peter Metro, der den Platz des gefeuerten Fathead über nommen hat Yellowmans Popularität läßt höchstens noch Vergleiche mit dem späten Bob Marley zu, und was Metro angeht nun, es reicht zu wissen, daß sein mobiles Sound-System „Metro-Media“ das gegenwärtig überlaufenste in Kingston ist Vor der Bühne wird es jetzt so eng, daß einem die Luft wegbleibt, die Stimmung ist etwa so als ob Jamaicas (Unabhängigkeitsfeier und das Kricket-Endspiel auf einen Tag zusammenfallen, jeder gereimte Vers geht in einem tosenden Muuuuunrdaaah unter dem in Jamaica gängigen Begeisterungsschrei. Die andere große Show dieses Abends, oder besser – Morgens (es war längst wieder hell) bot fraglos Gregory Isaacs. Sein cooles Auftreten ist ein Anblick für sich, er rührt sich während des gesamten Sets kaum von der Stelle, swingt dabei fast unmerklich in den Hüften und singt mit geschlossenen Augen alles, was Jamaica von ihm hören will: „Top Ten“, „Night Nurse“, „What A Feeling“.

Der Stimmungs-Umschwung im Park ist phänomenal: Während sich bei Metro & Yellowman 30 000 gebärdeten, als ob sie dem Finale im Superschweigewicht beiwohnten, so hat Isaacs‘ Auftritt ein Stadium kollektiver Bewegtheit zur Folge, das einen nur schwer wieder losläßt. Die dritte Nacht stand – nach einer kurzen und angenehm selbstironischen Show von Gil Scott Heron – ganz im Zeichen von „Tuff Gong“, Rita Marleys eigenem Label. Vor allem ihre vier Kinder, die Melody Makers, erwischten einen großen Tag: Ihre Show ist ein wenig im Stil alter Motown-Revues choreographiert, Cedella und Sharon, die beiden Mädchen, tänzeln im Gleichschritt in der Mitte, flankiert von Little Stevie, der sich immer wieder auf die Zehenspitzen stellen muß, um ans Mikro heranzukommen und Ziggy, der – wahrscheinlich nicht ganz unbeabsichtigt – in derselben Tonhöhe singt wie sein Vater.

Rita selbst war wohl nie in besserer Verfassung: In ihrem weit ausgestellten Kleid wirkt sie wie eine rotgrün-goldene Flamenco-Tänzenn. sie strahlt übers ganze Gesicht, läßt sich viel Zeit bei ihren Ansprachen zwischen den Songs und beendet ihren Set mit den voll ausgespielten Versionen von „There Will Always Be Music“ und „One Draw“

Obwohl Rita den lautesten Beifall dieses Abends einstreichen kann, war doch der Poet Mutabaruka die eigentliche Sensation des Festivals Er bringt zwei Schwestern auf die Bühne, die seine Musik mit afrikanischen Tänzen visuahsieren, stampft mit zusammengeketteten Händen auf und ab und verliest die zehn erschütternden Gedichte seines ersten Albums CHECK IT.

Mutas Auftritt war eigentlich nur noch der von Judy Mowatt am letzten Abend gewachsen. Judy beginnt mit einem enorm aggressiven Medley ihrer BLACK WOMEN-LP, tanzt dazu mit fliegenden Schritten und wendet sich in beinahe ]edem ihrer neuen Songs an die Schwestern: „Travelling Woman“, „Hush Baby Mother“, „Only A Woman“.. Deutschlands Beitrag zum diesjähnaen „Sunsplash“. Kurt Hauensteins Supermax, hatte als erste Gruppe des vierten Abends nicht nur mit Sound-Problemen zu kämpfen, sondern auch mit einem desinteressierten Publikum. Mehr als ein lauwarmer Beifall war nicht drin, Musical Youth hatten es bei ihrer ersten Show in Jamaica ebenfalls nicht leicht. Ob es an der eigenen Nervosität, am verwöhnten, übermäßig distanzierten Publikum oder einfach nur daran lag, daß die fünf ihre Songs dem jamaicanischen Tempo anzupassen suchten – jedenfalls wachten die 40 000 erst auf, als Kevin mit seinen slangbang-biddledi-bing-Wortspielen begann.

Danach kamen Ras Karbi, die zauberhaften Jones-Girls. Big Youths Monsterjam und Third World, die trotz der Schwierigkeiten mit einer allmählich kapitulierenden Verstärkeranlage ihr volles Programm durchspielten, bei dem „Roots With Quality“, ihre demnächst erscheinende Single, herausragte Rootsman Fraddie McGregor waren anschließend ganze 20 Minuten vergönnt, ansonsten hätte Black Uhurus Darryl Thompson nämlich seine Maschine nach Chicago verpaßt.

Also Black Uhuru: Sie hatten das Privileg, den „Sunsplash“ ’83 zu beenden. Die Sonne stand im Zenit, als es endlich soweit war, im Park hatten sich die Reihen ein wenig gelichtet, von den Journalisten weit und breit keine Spur mehr, die äußeren Bedingungen waren mörderisch (was Michael Rose nicht davon abhielt, in kompletter Ledermontur auf die Bühne zu kommen) – und trotzdem: Black Uhuru gehörten zu den ganz großen Gewinnern dieses Marathons. Um drei Uhr nachmittags ging die letzte Nacht zu Ende.