Ranking: Die wichtigsten Alben und Bücher von Patti Smith
Eine Kaufanleitung: Die besten Alben und Bücher der Poetin Patti Smith.

Jesus sei für irgendjemandes Sünden gestorben, ließ Patti Smith die Welt auf ihrem Debüt wissen – aber nicht für ihre. Weihevoll und widerständig lud die Chicagoer Dichterin Lyrik mit der Unmittelbarkeit des Rock’n’Roll auf. Ihr mal wüstes, mal elegisches Werk ist bahnbrechend. Es war aber nie frei von Ausfällen. Auf eines ist aber immer Verlass: die wundervoll sentimentale Buchautorin Patti Smith.
Patti Smith: MUSS MAN HÖREN
HORSES (1975)
Das über die Schulter geworfene Jackett, die Pose und der fordernde Blick: Alles am Cover von HORSES war mehrdeutig und irritierend, die Rhapsodin im weißen Hemd ein Wesen aus einer Welt, in der nicht nur Rock’n’Roll, sondern auch „Rock’n’Rimbaud“ möglich ist. Als der Produzent Sandy Pearlman Patti Smith Anfang der 70er antrug, Bandleaderin zu werden, hat sie ihn noch ausgelacht: Sie sah sich als Dichterin. Auf ihrem Debüt, produziert von John Cale, gab sie die Autodidaktin mit großen Träumen, der Virtuosität egal, Jim Morrison dafür aber so heilig war wie Baudelaire und der Allmächtige selbst. Smith sang den lesbischen Liebenden am REDONDO BEACH eine Moritat zum Reggae-Beat und verwob Thems Klassiker „Gloria“ mit ihrem eigenen Gedicht OATH zum Song GLORIA, eröffnet von den magischen Worten: „Jesus died for somebody’s sins but not mine“. Obwohl die Begrifflichkeit der „Godmother of Punk“ immer eine seltsame Auszeichnung war, weil Smith nie nihilistisch gewesen ist, inspirierte HORSES viele spätere Punk-Protagonist*innen, Rock nicht als Spielwiese für brünstige Gitarrenmänner zu begreifen – sondern als das, was Smith in ihrer Song-Trilogie LAND so gut beschreibt: eine „sea of possibilities“.
★★★★★★
RADIO ETHIOPIA (1976)
Der „sea of possibilities“ ist zum Mahlstrom geworden, der Smiths wilde, lyrische Kaskaden trägt, aber auch den Schnodder der noch jungen Rockgeschichte mit sich führt. Die Band, auf dem Cover gleichberechtigt als „Patti Smith Group“ angekündigt, steht im Zentrum von RADIO ETHIOPIA. Als archetypische Rockformation lässt sie das „schwierige zweite Album“ weniger luftdurchlässig als HORSES klingen. Wer mag, erkennt darin heute eine Blaupause für den Alternative Rock der 80er- und 90er-Jahre. Enttäuschten Fans des Vorgängers hingegen galt das Album als zermürbender Riesenjam.
★★★★
EASTER (1978)
Smith feierte ihr EASTER-Fest als große Auferstehung – nach dem Misserfolg, den ihr RADIO ETHIOPIA beschert hatte, und nach einem schweren Bühnenunfall im Jahr 1977, der sie wochenlang ans Bett fesselte. Smiths dritte LP hatte endlich, worauf ihr Majorlabel Arista gewartet hatte: gewaltige Songs. Zwar sollte die Leidenschaftsbekundung BECAUSE THE NIGHT , geschrieben von Bruce Springsteen, bis heute Smiths größter Erfolg bleiben – die Ehre, einen Love(rock)song so hingebungsvoll, eigenwillig und auch ein wenig garstig gesungen zu haben wie niemand zuvor, gebührt aber ihr ganz allein. Auf EASTER klingt Smith zugleich nach Schamanin (GHOST DANCE) und den Doors (SPACE MONKEY) , nach Rockstar und Poetin mit wehenden Ärmeln.
★★★★★1/2
Patti Smith: NICE TO HAVE
WAVE (1979)
Auf ihrem letzten Album vor dem Rückzug ist die Revolutionärin zwar nicht leise geworden – aber vielleicht ein wenig zahm. WAVE ist zugänglich wie der Vorgänger EASTER, erreicht aber nicht die Wucht ihres Hit-Albums, wenn auch FREDERICK eine Art beflügelnde Neuauflage von BECAUSE THE NIGHT ist. Und Shakespears Sister Patti Smith für DANCING BAREFOOT eigentlich ein paar Inspirationstantiemen schulden.
★★★★
TRAMPIN’ (2004)
Man muss es leider sagen: Auch in den 70ern hielt nicht jedes Album das Niveau von HORSES stand, vor allem Smiths Spätwerke aber funktioniert nach dem Prinzip „Hit and miss“. Nach den eher lahmen PEACE AND NOISE und GUNG HO war TRAMPIN’ ein zarter, wehmütiger Triumph: Die rastlose Reisende Smith trampte durch die USA der Bush-Ära – und sie findet tatsächlich ein wenig Erbauung in ihrer Findesuche und auch im soliden Rocksound ihrer Band.
★★★★
Patti Smith: MUSS MAN LESEN
JUST KIDS (2010)
Der Fotograf Robert Mapplethorpe hat nicht nur Smiths ikonischste Albumcover geschossen, sondern auch ihr Leben verändert: als Bohemien mit Engelslocken, der ihr im New York der 60er erschien wie eine Epiphanie. Schon den schmalen Band THE CORAL SEA von 1996 hatte Smith ihm gewidmet. In JUST KIDS erzählt sie die Geschichte ihrer Liebe, die später, als Mapplethorpe seine Homosexualität entdeckte, zur Freundschaft wurde, als Beatnik-Märchen – von hellen Tagen auf Coney Island bis ans Krankenhausbett, in dem Mapplethorpe 1991 an Aids starb. Auf ihrer Odyssee treffen die beiden auf Allen Ginsberg und Janis Joplin, sie kehren im Chelsea Hotel ein und krempeln die Rock- und Kunstwelt auf links. Genauso ausführlich erinnert sich Smith aber an ihre liebsten Diners und den Wandbehang in ihren kargen Buden. Ein magisches Buch über magisches Denken unter Liebenden, über New York City und Jungsein in der Großstadt.
★★★★★★
M TRAIN (2015)
Die Gespenster der Verstorbenen spuken auch durch Smiths zweites Erinnerungsbuch. Man begegnet einer gealterten Poetin, die tut, was wir alle bisweilen zu tun pflegen: Krimis gucken, sich auf dem Klo des Lieblingscafés ärgern, dass der Stammplatz besetzt ist, auch mal mit den eigenen Schnürsenkeln reden. Smith aber macht im „Mind Train“ immer wieder wundersame Umwege: Da begegnet man Fred Sonic Smith und Jean Genet, Halt gemacht wird in Tokio und im Berliner Lokal Pasternak.
★★★★★
IM JAHR DES AFFEN (2019)
Den ersten Dialog ihres jüngsten Buchs führt Patti Smith am Neujahrsmorgen 2016 mit dem Schild am Eingang eines kalifornischen Motels. Smith erzählt in DAS JAHR DES AFFEN von einem verlustreichen Jahr, vom Tod Sandy Pearlmans (ihr früher Förderer) und der Krankheit ihrer ehemaligen Liebe Sam Shepard. Schon wieder ein Requiem? Und ob. Auch Smiths Gedichtband WOOLGATHERING (1992) und der Schreibwerkstattsbericht HINGABE (2019) sind lohnenswert. Die Elegie aber ist ihre Spezialdisziplin.
★★★★★1/2
AM WEGESRAND
Albertine Sarazin – ASTRAGALUS (1966)
Die Französin Albertine Sarrazin starb 1967, mit nur 30 Jahren, nach einem Leben als Schriftstellerin und Kleinkriminelle. Sie hinterließ ein schmales Werk, der Roman ASTRAGALUS ist eines von Patti Smiths Lieblingsbüchern. Für die 2013 erschienene Neuübersetzung schrieb sie ein Nachwort. „Wäre ich mit der gleichen Lässigkeit aufgetreten, wäre ich Widrigkeiten mit solch weiblicher Entschlossenheit begegnet, ohne Albertine als meine Leitfigur?“, fragt Smith. Tatsächlich: Die Toughness und den Optimismus der Protagonistin findet man in Smiths Songs und Büchern.
★★★★★ 1/2