Rammsteins Erfolg ist ein Symptom der Abstumpfung unserer Gesellschaft
Ist es Zeit für eine Alien-Invasion und welche Bands (und Politiker:innen) würden sie im Zweifel wohl überleben?
Einen kleiiinen Moment, ich bin gleich bei Ihnen, ich muss hier nur noch schnell was wegklicken. Eine Spammail fragt – etwas rätselhaft und nach meinem Dafürhalten anlasslos –, welche Schauspieler wohl am ehesten eine Alien-Invasion überleben könnten. Hm. Puh. Eigentlich doch nur Sigourney Weaver und Will Smith, oder? Na, egal. Wie unser alter Kunstdirektor zu sagen pflegte: We’ll cross that bridge when we get there. Eine Alien-Invasion steht ja gottlob grad nicht an – als tatsächlich eines der wenigen geläufigen Großkatastrophenszenarien, von denen wir noch nicht akut betroffen oder wenigstens bedroht sind. Wobei aber eh erst abzuwarten wäre, ob so eine Alien-Invasion dann zwingend feindlich und zerstörerisch sein muss.
Klarer Vorzug von Alien-Invasion gegenüber Klimawandel, Artensterben, Atomkrieg, Zusammenbruch der weltweiten Ökosysteme etc.: Bei einer Alien-Invasion besteht zumindest noch die theoretische Möglichkeit, dass sie im Fall des Falles gut ausgeht und statt mordenden und brandschatzenden Kolonisatoren (man soll ja nicht von sich auf andere schließen) so kommode Leut’ vorbeikommen wie in den Spielberg-Filmen, die uns dann mit ihrem überlegenen Intellekt, makellosen Musikgeschmack und fantastischen technischen Möglichkeiten vielleicht sogar ein Stück aus dem deep shit heraushelfen, in den wir uns als Zivilisation hineingeritten haben, indem sie zum Beispiel … sagen wir: überschüssiges CO2 aus der Atmosphäre absaugen. Oder die FDP-Spitze nebst -Bundesministern in ferne Galaxien entführen! Damit wär ja auch schon viel geholfen. Hach!
Der Elefant ist natürlich Till Lindemann
Aber klar, bei dem, was wir hier über die Jahrhunderte an üblem Karma angehäuft haben und wie uns grad zuletzt die Kacke am Schuh klebt, sollten wir uns da wohl keine allzu großen Illusionen machen. Sie sehen schon, ich drücke mich ein wenig davor, über den Elefanten im Raum zu sprechen. Der Elefant ist natürlich Till Lindemann, wobei ich keinem Elefanten zu nahe treten möchte. „Glaubst du das mit dem Lindemann?“, fragte eine Bekannte ziemlich am Anfang der „Affäre“, als schon klar war, dass das jedenfalls nicht gerade kontraintuitiv klang, was man so hörte.
Ich habe nie verstanden – oder jedenfalls nie verwunden –, dass Rammstein über die ersten paar Jahre ihrer Existenz als Novelty-Band hinaus dann zu einer Institution und zum weltweiten Aushängeschild für „deutschen Rock“ wurden und habe ihr Wirken und ihren anhaltenden Erfolg in den letzten 20 Jahren vorrangig als Symptom der fortschreitenden Abstumpfung und Verrohung unserer Gesellschaft(en) wahrgenommen. „Wir finden die Musik halt einfach supercool!“, hört man jetzt Fans quietschen, die „trotzdem“ auf den Konzerten waren (es gab aber auch verbesserte Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Fans … VOR der Band!) und fragt sich: Wo fing das an? Was ist passiert? Was hat uns bloß so ruiniert? Und welche Bands würden wohl am ehesten eine Alien-Invasion überleben?
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 08/2023.