Procol Harum zwischen zwei Stühlen
Eins war schon immer wichtig für Procol Harum: die Vergangenheit. Lange bevor Nostalgie "in" war, nämlich im Sommer 1967, konnte die damals frisch gegründete Band mit ihrem von der Klassik inspirierten Titel "A Whiter Shade Of Pale" gleich einen solchen Hit landen, wie sie ihn in den darauffolgenden Jahren nie mehr schaffen sollte. Das hatte natürlich nicht viel zu bedeuten, denn zahlreiche Kritiker halten dieses von Bach-Themen durchzogene "A Whiter Shade Of Pale" noch heute für eine der gelungensten Pop-Singles der sechziger Jahre.
KLASSIK-POP
Der Millionen-Seiler ließ jedoch nicht nur die Kassen klingeln sondern leitete gleichzeitig aua einen neuen Popmusik-Trend ein: Klassik-Pop! Im Mai 1972 wurde das Live-Album „Procol Harum In Concert With The Edmonton Symphony Orchestra“ veröffentlicht Damit hatte erstmals in der Geschichte der Popmusik eine Band das Experiment gewagt, zusammen mit einem Symphonieorchester aufzutreten. Das erfolgreiche Unternehmen fand schnell Nachahmer! Es dauerte nicht lange, bis Gruppen wie die Nice, Deep Purple oder die Who ihre Erfahrungen mit Orchester-Werken machten. Ganz zu schweigen von Rick Wakeman Doch während die Nice oder Deep Purple inzwischen längst das Zeitliche gesegnet haben, erschien jetzt der neunte Longplayer von Procol Harum.
PROCOL’S „NEUNTE“
Verständlich, daß sich Gruppen Boß Gary Brooker bei der Gelegenheit nicht verkneifen konnte, wenigstens für den LP-Titel eine kleine Anleihe bei seinem längst verblichenen Kollegen Beethoven zu machen. Wenn die Platte, die jetzt also seit einigen Wochen unter dem Titel „Procol’s Ninth“ im Handel ist, den namensverwandten Beethoven-Hit vermutlich auch nicht an Unsterblichkeit übertreffen wird, so beweist sie doch immerhin‘, daß Brooker’s bereits vor acht Jahren aufgestelltes „classic-pop“-Konzept noch immer ausbaufähig ist.
Natürlich hat es in dieser langen Zeit bei Procol Harum jede Menge personeller Veränderungen gegeben. MUSIK EXPRESS berichtete erst im Juli über Robin Trower, den Gitarristen mit dem Hendrix-Soundl der eine Zeitlang dazugehörte! Momentan scharen sich um Gary Brooker der Organist Chris Copping, der Gitarrist Mick Grabham, der Bassist Alan Cartwright und der Drummer Barrie J. Wilson. Von der ursprüngliche« Formation, die seinerzeit mit „A Whiter Shade“ Furore machte, ist eigentlich nur noch Gary Brooker der Pianist und Sänger, übriggeblieben. Wenn da nicht noch Keith Reid wäre, jener wuschelköpfige Typ, der von Anfang an die Songtexte für die Gruppe geschrieben hat. Ihn lernte Brooker 1966 kennen, nachdem er gerade bei den „Paramounts“, der Begleitband von Chris Andrews, ausgestiegen war.
BEATLES AUS DER MOTTENKISTE GEHOLT
Die Teamwork-Methode, die zwischen Gary Brooker und Keith Reid bis heute reibungslos funktioniert hat, hat sich – ob Zufall oder nicht – inzwischen längst auch, der Tasten-Kollege Elton John zu eigen gemacht, der mit seinem Texter Bernie Taupin, wohl weil er auf einer ausschließlich pop-orientierten Wellenlänge schwimmt, sogar noch weit mehr Platten über die Ladentische befördern konnte. Doch das ist ein anderes Thema. Brooker hat sich da wohl eher zwischen zwei Stühle gesetzt. Zwischen die von Beethoven und Elton John beispielsweise. Und das konnte vielleicht auf die Dauer ein bißchen unbequem werden, zumal anspruchsvolle Popmusik, von Ausnahmen wie Genesis einmal abgesehen, immer weniger angesagt ist. Procol’s „Neunte“ stellt immerhin musikalisch gesehen die konsequente Fortsetzung dar von „Grand Hotel“ und „Exotic Birds And Fruit“, den beiden vorausgegangeneu LPs. Ein ganz deutliches Zugeständnis an die Popularität weniger schwerfällig klingender Popmusik machte Brooker jedoch auf dem neuen Album, indem er den Beatles-Titel „Eight Days A Week“ aus der Mottenkiste holte. Doch ob Beatles oder Beethoven, eins scheint noch immer wichtig zu sein für Procol Harum: die Vergangenheit.