Pop ohne Politik – Fukushima, Arabellion, Occupy-Bewegung – die Welt brennt, nur dem Pop fällt dazu nichts ein.
These 5: Fukushima, Arabellion, Occupy-Bewegung - die Welt brennt, nur dem Pop fällt dazu nichts ein. Ist das vielleicht ein gutes Zeichen?
Die Jugend des Westens geht wieder auf die Straße. Es geht nicht um den riskanten Kampf gegen brutale Despoten wie in den arabischen Ländern. Vielmehr ist der Drang, dem Kapitalismus eine Generalabsage zu erteilen, übermächtig. Nur: Welcher Beat treibt diese Demonstranten an? Wo bleibt das „We Shall Overcome“ der Friedensbewegung, das „Sonne statt Reagan“ der Anti-Pershing-Märsche? Dem aktuellen Pop in unseren Breiten scheint zum Thema Protest nichts einzufallen. Das spricht für seine Reife.
Schon in den 1960ern bekam die Allianz von Pop und Politik einen Knacks. Als Bob Dylan aufhörte, mit „Blowin‘ In The Wind“ zum Protestschunkeln einzuladen und lieber seine abstrakten Wortkaskaden flocht, verlor der Protestsong seine Unschuld. Seine Einsicht gilt immer noch: Pop kann keine Realpolitik. Wenn Pop sich in den Politik-Diskurs einklinken will, gerät er in die Rolle eines naiven Bittstellers, so wie der Neffe, der dem Onkel am Rockzipfel zieht: „Bitte, bitte mach das Kaninchen nicht tot.“ Dylans Zeitgenosse Phil Ochs stilisierte sich aus Frust über die Irrelevanz seiner Protestlieder zum Las-Vegas-Glamstar. Das direkte Anprangern von Missständen ist eine zahnlose Gutmenschen-Geste ohne politische Kraft, bestenfalls geeignet zum Befindlichkeitskuscheln auf der nächsten revolutionären 1.-Mai-Demo. Der politisch engagierte Popsong ist der Schlager für die WG-Küche. Wenn das Politische in der Musik gerade mal wieder in Mode ist, schreibt sogar eine Kokser-Truppe wie Guns N‘ Roses einen Anti-Kriegs-Song. Einmal noch fanden Pop und Politik zusammen. Nach dem Ende der großen Friedensbewegungen differenzierte sich die Absage an „Schweinesystem“ und „Establishment“ aus in die Mikropolitiken von Class, Race und Gender. Social Studies statt Marx und Mao.
Dazu fielen Pop mit Riot Grrl und Queer Folk adäquate Ästhetiken ein. ME-Liebling Scott Matthew etwa tanzt auf dem Gender-Drahtseil, wenn er als verzärtelter Barde den Macho-Vollbart der USA-Pioniere trägt. Aber 2011 geht’s im Westen wieder ums Ganze, ums Schweinesystem. Occupy and destroy! Und Pop bleibt sprachlos.
Ein Musiker wie Peter Licht versucht im Geiste von Andreas Dorau („Demokratie, langweilig wird sie nie“) mit satirischer Distanz das Politische als Thema zu retten, Gustav probierte es bei „Rettet die Wale“ mit entwaffnender Niedlichkeit. Beide Versuche sind eher ein Eingeständnis der Politikunfähigkeit von Pop als dessen Repolitisierung. Pop kämpft mit Haltungen, nicht mit Argumenten. Die zerschlagene Gitarre von Pete Townsend und die magenzerrüttelnde Bassbox im Dubstep sind schärfere Statements als „Give Peace A Chance“ zur Wandergitarre.
Wenn Künstler über das symbolische Engagement hinaus aktiv werden, wird es meist besonders traurig oder peinlich. Madonnas Investitionsruine einer Mädchenschule in Malawi oder Bonos Modelabel Edun, das afrikanische Fair-Trade-Produktionsstätten zu unterstützen versprach, längst aber auch in China herstellen lässt, sind das Ergebnis solcher Selbstüberschätzungen. Pop kann kurze Signale setzen, nachhaltiges, verantwortungsbewusstes Wirtschaften gehört nicht zu seinen Tugenden.
Das lauteste symbolische Statement kam 2011 nicht von dezidiert politischen Musikern, sondern von Bands, die lieber diffus ästhetisch zündeln, Nachfahren der Böhsen Onkelz: Der männerbündlerische, kolossale Blut- und-Eisen-Sound von Schwarze-Peter-Bands wie Frei.Wild und Haudegen zielt auf das Gefühl einer stummen Basis, die glaubt, in der Falle zu sitzen. Der heisere Hardrock baut ihren dumpfen Wutstau ab.
Damit will sich die engagierte Occupy-Bewegung natürlich nicht zufriedengeben. Gegen solche Stiernacken-Hymnen setzt sie eine musikalische Praxis, die vom Radar der Musikindustrie nicht erfasst wird: In allen südeuropäischen Städten sah man im Sommer abends in den Demonstrationscamps das gleiche sympathische Bild: jazzig-weltmusikalische, spontane Jamsessions von fünf bis fünfzehn Musikern. In deren kollektivem Aufeinander-Hören, in deren Gemeinsam-frei-Sein artikulierte sich schemenhaft eine Art Zusammenlebensutopie, die dem Programm der Occupy-Bewegung ansonsten fehlt. Wenn es eine aktuelle Antwort auf „We Shall Overcome“ gibt, dann findet sie sich in diesem Zusammenspiel. Keine diktierte Hymne, der man sich unterwirft, sondern ein Geflecht, an dem man gemeinsam knüpft. So intervenierte die Musik doch noch im Politischen – allerdings (noch) weitestgehend an der Popöffentlichkeit vorbei.