Pixies: Energie Bolzen
Die Songs gerade mal zwei Minuten lang die Energie roh, die Ideen eigenwillig schräg - keine andere Indie-Band geht so konsequent ihren Weg wie die "Kobolde" aus Boston. ME/Sounds-Mitarbeiterin Martina Wimmer begleitete Kobold-Kopf Black Francis ein Stück
Black Francis heißt eigentlich Charles Michael Kitridge Thompson; wer mit ihm spricht, darf ihn Charles nennen. Und Charles ist alles andere als die Person, die einem vorschwebt, wenn man seine Gesangsexzesse, seine Tour de Force zwischen Schreien. Stöhnen und Flüstern hört. Charles ist der korpulente junge Amerikaner, der in keiner US-Klamotte fehlen darf. Doch bei den Pixies ist vieles anders, als der Markt es gewohnt ist – allem voran ihr abrupter Erfolg.
Vor kaum drei Jahren brach Charles sein Studium ab und kehrte in seine Heimat Boston zurück, um eine Band zu gründen. Er überredete seinen ehemaligen Zimmernachbarn und jetzigen Lead-Gitarristen Joey Santiago, ebenfalls die Bücher für immer zuzuklappen. Mittels einer Annonce fanden sie die Bassistin für eine Band „irgendwo zwischen Hüsker Dü und Peter, Paul und Mary“. Gemeldet hatte sich mit Kim Deal nur eine einzige Bewerberin, und die brachte gleich auch noch ihren Freund David Lovering als Schlagzeuger mit. Im Juli 1986 waren die Pixies geboren.
„Als wir anfingen, haben wir uns überhaupt keine Gedanken gemacht, was daraus werden sollte. Keiner von uns hatte in einer Band gespielt oder eine andere Band live auf der Bühne gesehen. Wir hatten nichts anderes im Hirn als unsere Musik und damit eine Platte zu machen.“
Allzu lange mußten sie darauf nicht warten. Ihr erstes Demo-Tape wurde nur acht Monate später vom englischen Indie-Label 4 A.D. prompt unfrisiert als Mini-LP „Come On Pilgrim“ veröffentlicht, nach weiteren vier Monaten kam ihr Debüt-Album SURFER ROSA auf den Markt und eroberte Platz eins der britischen Indie-Charts.
England eroberten sie spielend – bei allen Umfragen der schreibenden Zunft zum Musikjahr 1988 waren die Pixies erste Wahl von Publikum und Kritikern. NME, Sounds, Melody Maker, die Liste der Gönner ist fast so lang wie die Reaktion der Band auf all das Lob kurz: „Wir fanden das ganz nett, aber eigentlich haben wir keinen Bezug dazu. Wir wollen Platten verkaufen und vor vielen Leuten spielen.“
Schlicht und ergreifend – wie ihre Musik. Ohne jede Künstlichkeit, hart, ehrlich, schnell, Surfer Rosa war eine Explosion von Zwei-Minuten-Stücken, jedes davon eine Attacke für sich.
Doolittle klingt gemäßigter, immerhin gibt es auf dem aktuellen Album mit „Here Comes Your Man“ oder der Single-Veröffentlichung „Monkeys Go To Heaven“ Stücke, die Tempo und Lautstärke gleichmäßig durchhalten. Schöne, wilde Popsongs, mit denen die Pixies sich nicht verraten. „Unsere Musik kann sich gar nicht großartig verändern, weil wir keine besonders guten Musiker sind. Wir können nicht viel verschiedene Sachen auf unseren Instrumenten machen, aber ich finde das, was wir machen, gut. Wir haben die Dynamik von guter Musik kapiert, das ist ganz simpel: laut – leise, viel Lärm – Flüstern … Abwechslung, das macht die Leute aufmerksam. Musik braucht nicht kompliziert sein, wenn sie dramatisch ist.“
Trotz aller Simplizität hat sich bei der Musik der Pixies schon so mancher Schreiber die Zähne am Bleistift ausgebissen. Ihr naiv-genialischer Lärm entzieht sich konsequent den gängigen Kriterien. Und die „Kobolde“ sehen’s mit Vergnügen. „Es ist gut, wenn die Leute mit unserer Musik nicht klarkommen. Umso verwirrter und unsicherer sie sind, umso zufriedener bin ich, weil ich dann weiß, daß ich dem Ursprung am nächsten bin.“
Der Sinn ist zweitrangig, was zählt ist das Vergnügen: „Uns läuft es beim Spielen immer wieder kalt den Rücken runter vor Aufregung und Begeisterung.“
Auch Black Francis‘ Texte sind ein ungestümes Assoziationsfeld aus Perversion und Alltag, Alptraum und erotischer Phantasie. „Es ist sowas wie Dadaismus. Stell dir vor, du gehst in einen Film, setzt dich hin, guckst für fünf oder zehn Minuten, stehst wieder auf und gehst in einen anderen Film. Am Ende des Abends hast du deinen eigenen Film aus lauter kleinen Stücken. Wenn du versuchst, ihn jemand anderem zu erzählen, wird er dich einfach nicht verstehen, weil das Ergebnis eigentlich keine Bedeutung hat. Das ist letztlich die ganze musikalische Philosophie der Pixies.“