Paulas Popwoche: Was wir 2025 noch klären müssen
Paula Irmschler über die Erfahrungssucht der Fans, TikTok- und Alters-Angst-Wahn.
2024 war wie so viele Jahre davor politisch eine absolute Vollkatastrophe. Umso mehr stürzt man sich in Popkultur, vergräbt sich in ihr, verschanzt sich hinter ihr, lenkt sich mit ihr ab, braucht sie zur Katharsis, als Ventil und als Mittel um auf diesem herrlichen Planeten das Ruder nochmal rumzureißen. Behämmerterweise halte ich nämlich immer noch an dem Glauben daran fest, dass Pop progressiv sein kann, dass wir auch nach dem Kapitalismus noch Pop haben werden und dass es sich lohnt wegen ihm, um ihn zu streiten. Das geht aber eben nur wenn man sich immer wieder anguckt, wo Kultur kapitalisiert und wo Künstler*innen und Fans ausgebeutet werden. Oder, um es mit den Worten des am meisten gestreamten Songs des Jahres 2024 zu sagen: Pop, „I’ll love you ‚til the day that I die“.
… das mit den Algorithmen
Der völlig starre Durchmarsch der Trends von TikTok zur Tagesschau muss aufhören. Früher war man mit eierpackender Pose gehypter Popkultur gegenüber ignorant, heute rennen auch die coolsten Kulturheinis den vielgeklickten Phänomenen verzweifelt hinterher. Seit einer Weile schon wird TikTok mit Subkultur verwechselt, dabei handelt es sich bei dem, was dort passiert, natürlich lange nicht um natürliche Jugendbewegungen. Dort gibt es nicht nur organische Enwticklungen, sondern genauso finanzielle Unterstützungen, wie es damals in den großen Radios oder bei VIVA lief. Dass alle es schaffen können, dass jede*r ein Star werden kann – ein Blick auf die meist gestreamten Artists reicht, um zu sehen, dass das eben nicht aufgeht. Den Mythos, dass alle es über die Plattformen schaffen können, gibt es schon seit MySpace und sorgt dafür, dass alle bereitwillig ihr Zeug hergeben und die Plattform wächst und wächst.
Besser als früher ist Vieles natürlich schon, Künstler*innen haben mehr Gestaltungsmöglichkeiten, die Musiklandschaft ist vielfältiger geworden. Umso weniger nötig ist es eigentlich, dass man sich den eigenen Geschmack noch von Algorithmen vorgeben lässt, man muss halt nur ein bisschen aktiver suchen, wird aber sehr viel schneller fündig als noch vor 20 Jahren. 2025 will ich auf jeden Fall nicht mehr, dass hunderte Medien einem das „Phänomen Swift“ erklären (wobei uns das vermutlich mit Chappell Roan bevorsteht), will nicht, dass alles zwanghaft „BRAT“ sein muss, will nicht, dass ihr euch plötzlich alles über Musicals anlest weil ihr von der „Wicked“-Promo malade gemacht wurdet, will keine Selbsterfahrungsreportagen über Stanley-Cups mehr lesen.
Chillt einfach. Ihr müsst nicht mögen, was ihr mögen sollt. Mögt wieder mehr, was ihr wirklich mögen wollt, rennt nicht dem Pop hinterher, sondern lasst euch von ihm erwischen.
Ach, und die einzigen, die es auf MySpace und TikTok geschafft haben, sind die hier. Keine Ahnung, ob das so cool ist:
… das mit dem Altern
Im Film „The Substance“ gibt es diese Szene, in der die jüngere Elisabeth auf ihr älteres Ich immer wieder brutal einschlägt – so fühlt sich auf Instagram sein schon lange an. Neben Anti-Ageing-Produktwerbungen sieht man da auch, wie Promis – allen voran weibliche – immer wieder dafür, dass sie vermeintlich total jung aussehen, ganz viel Applaus bekommen. Ausgeblendet wird nicht nur, dass diese Promis natürlich Filter (auf Fotos und bei Bewegtbild) nutzen, so wie allerlei Eingriffe haben machen lassen, sondern überhaupt, dass unser Verhältnis zum Altern mittlerweile komplett verkorkst ist. Frauen in ihren 30ern wird gesagt, sie würden altern wie „fine wine“, weil man wohl vergessen hat, wie Frauen in ihren 30ern halt aussehen – natürlich noch jung, weil sie es halt sind. So wird mit allen Mitteln auf das Älterwerden eingedroschen – auch auf das eigene.
Aber: Den Kampf gegen das Altern werden wir nicht gewinnen, den gegen Misogynie vielleicht schon. Dafür brauchen wir (auch prominente) Mitstreiter*innen, mit denen wir uns gegenseitig darin bestärken, dem Wahn nicht auf den Leim zu gehen und Frauenkörper Körper sein lassen zu können. Natürlich wird man so schnell, keine Einzelnen davor bewahren können, aber was man bitte als erstes abschaffen muss, sind diese Filter über Frauengesichtern, die man in den letzten Jahren in Serien und Filmen aus Hollywood („Grace and Frankie“, „The Morning Show“, „The Idea Of You“) sehen kann. Falls das nicht passiert, muss zumindest ich bald wieder auf die illegalen, verpixelten Streamingseiten zurückgreifen, weil ich das nicht ertrage. Willst du das, Filmindustrie?
… das mit den Ansprüchen ans Privatleben von Stars
Letztens habe ich das Biopic über Amy Winehouse gesehen und mal wieder vor Augen geführt bekommen, wie sehr sie belagert wurde von Paparazzi und Fans, wie sehr man glaubte, Anspruch auf ein Stück von ihr haben zu dürfen. Da dachte ich an Chappell Roan, die es ja fast schon übertreibt mit ihrer Zurechtweiserei von Leuten, die ihr auf den Senkel gehen und dann bin ich doch sehr beruhigt gewesen, wie viel sich da getan hat. Durch Social Media und die Möglichkeit für Stars sich zu äußern und zu präsentieren, wann und wie sie wollen, ist Vieles besser geworden. Die Kontrolle ist ein ganzes Stück weiter zu den Künstler*innen rübergewandert. Nicht besser geworden ist der Anspruch von Fans, alles erfahren zu dürfen.
Man kann ständig in Kontakt treten mit dem Star, zumindest indirekt – und wenn die Gruppe, die dem Star was zu sagen hat, nur groß genug ist, wird er vielleicht auch reagieren. Also wird geshitstormt und markiert und geflutet. Ganz besonders wichtig ist den Fans, ihren Star möglichst genau einordnen zu können, allen voran in Liebes- und Sexdingen. Es ist nicht nur wichtig zu wissen, wen die Person gerade datet und wie das so läuft, sondern auch zu wissen, wie sie generell TICKT, Stichwort Sexualität, Stichwort Schubladen, Stichwort Outing. So sahen sich zu viele Stars in der Vergangenheit gezwungen, sich öffentlich festzulegen.
George Michael ist ein berühmtes Beispiel, der ja regelrecht gejagt wurde, bis man Bescheid wusste. 2023 warfen Leute dem damals 18-jährigen Kit Connor wegen seiner Rolle in „Heartstopper“ so lange „Queerbaiting“ vor (wirklich einer der dümmsten Vorwürfe an reale Personen), bis er sich genötigt fühlte, sich als bisexuell zu outen. Und nun hat der Label-Wahn wieder zugeschlagen – vor über einem Monat outete sich Khalid, ebenfalls unter Druck von Fans.
Hört mal auf mit der Scheiße. Ihr kommt eh nicht mit der Person zusammen, also who cares.
… das mit Sabrina Carpenter
Es tut mir leid, aber ich muss es jetzt einfach mal ansprechen. Es hat auch mit dem ersten Punkt (Algorithmen) zu tun. Lange habe ich geschwiegen, aber nun möchte ich mich endlich äußern – zur großen Sabrina-Carpenter-Verschwörung. Es ging schon vor zwei, drei Jahren los, da habe ich plötzlich immer Sabrina Carpenter „gehört“. Erschreckend oft, nervig oft, wurden mir ihre Songs in Playlisten und Auto-Wiedergaben und Mixe geschummelt. Manchmal habe ich sie weggeklickt, manchmal war ich zu langsam, irgendwann zu schwach, eines Tages habe ich resigniert. Ich kenne mittlerweile all ihre Songs, manche sogar auswendig, obwohl ich sie nicht ein einziges Mal selbst angewählt habe, noch nie. Das Ding ist, ich habe nichts gegen Sabrina Carpenter, aber auch nichts für sie. Ich hasse ihre Songs nicht, ich mag sie aber auch nicht. Diese Lücke nutzen ihre Promotionheinis, weil sie damit bei Leuten wie mir einfach immer wieder durchrauscht. Wir könnten eigentlich prima aneinander vorbeileben, Sabrina Carpenter und ich, sie würde mich null stören oder aufregen.
Aber dass sie immer wieder in meinem Wohnzimmer erklingt, ist einfach verdächtig, ich habe sie nicht eingeladen. Was mich dazu bringt, zu vermuten, dass es vielleicht noch mehr Leuten so geht, dass womöglich sehr viele Menschen systematisch dazu gebracht wurden, Sabrina Carpenter nicht nur zu akzeptieren, sondern es hinzunehmen, dass sie jetzt ein so großer Star sein soll, ohne dass man sich aktiv dazu entschieden hat, ihr Fan zu sein. Kürzlich dann auch noch der Auftritt bei Tiny Desk, natürlich, und wir klickten einfach rein, wurden reingeklickt … Wollen wir das wirklich? Ist es überhaupt schlimm? Geht das jetzt einfach für immer so weiter? Ich glaube schon. Aber ist ja auch egal.
… das mit Ticketmaster
… zerschlagen wir in diesem Jahr, oder? Weil Konzerte für alle sein sollten und vielleicht gehen wir auch mal wieder auf zehn bis zwanzig kleine. Und zwar schön zusammen, nicht als Statussymbol, sondern weil es einfach Spaß macht.
Oder, um es schon wieder mit den Worten des meistgestreamten Songs 2024 zu sagen: „Birds of a feather, we should stick together“.
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