Paulas Popwoche: The Show must go – Pop muss bleiben


Über die US-Wahl, Quincy Jones und „Subways of your Mind“. Dazu ein Ratschlag an Habeck.

Guten Morgen / Gute Nacht? Habt ihr überhaupt mal geschlafen? Eure Augen sehen fertig aus, von dem ganzen dummen Rumgescrolle und Streamsgegucke. Macht die jetzt mal lieber zu – die Timelines und Streams und Augen. Und zwa ganz lange, acht Stunden Minimum. Dann könnt ihr Sachen wie diese Kolumne lesen, aber nur dann.

Popkultur ist ja gerade eh ein schwieriges Thema, an vielen Ecken wird ihre Unwirksamkeit und ihr Scheitern ausgerufen, weil Trump gewonnen hat und nicht die bunte, diverse, feminine Popwelt. NICHT MAL TAYLOR SWIFT konnte die Welt vor Trump retten. Nicht mal Charli XCX mit ihrem Popalbum des Jahres und der Ausrufung von Kamala Harris als BRAT vermochte es. Nicht mal Cardi B. Nicht mal Billie Eilish. Und what the fuck, nicht mal Beyoncé und der Bey Hive? Und selbst die alten Helden haben nicht gereicht: Bruce Springsteen schaffte es auch nicht.

Hat Pop verloren?

Pop hat verloren, hat versagt, so die Befürchtung oder Häme in den Netzwerken, je nachdem, wen man gerade fragt. Und hat Kid Rock jetzt gewonnen? Herrimhimmel.

Ich glaube das alles nicht. Pop ist weiterhin progressiv, beziehungsweise kann es sein – und kann vor allem weiter progressive Kräfte begleiten. Seine Repräsentantinnen sind es aber nicht automatisch. Love Pop, hate die Überhöhung seiner Repräsentantinnen. Und das von mir – ich habe mit 35 literally noch Poster von ein paar meiner Lieblingsstars in meiner Wohnung hängen. Aber wenn ich seit meiner Jugend etwas gelernt habe, dann dass diese Stars eben auch eine Menge Kohle mit dem machen, was sie da tun und dass sie es auch vermögen, progressive Bewegungen zu kapitalisieren um davon zu profitieren – sei es Antirassismus, Pride, oder vermeintliche Body Positivity mit denen sie ihre Fans durch seltsame Beautyprodukte, sonstigen Merch oder völlig überteuerte Konzerttickets ausnehmen.

Kamala Harris machte es auch wie ein Popstar. Sie grinste und winkte wie man auf roten Teppichen grinst, sprach in Plattitüden wie Popstars, die in Interviews zu pikanten Themen befragt werden und von ihrem Management gesagt bekommen haben, sie sollen möglichst schwammig antworten, sie setzte auf andere prominente Gesichter, wie Popstars, die grad selbst keine gute Idee haben. Natürlich hat Trump noch viel schlechter performt, aber da war ja eh alles egal.

Warum? Darum.

Über den Popstar Harris schwappte die Pophaftigkeit des Wahlkampfs dann auch bis zu uns rüber mit dem Ergebnis, dass wir die Wahl verfolgten wie ein Popspektakel, wie den Superbowl, den wir stummschalten bis die Halftime-Show kommt. Hauptsache nicht Trump, eh klar, das hätte eigentlich schon gereicht. Dann aber hier und da doch gern auch ein bisschen für den Popstar. Warum? Darum.

Das „Warum” konnten sich zu wenige beantworten, deswegen wurde sie halt nicht gewählt. Zum einen haben sich Menschen mit echten Problemen von ihr keine echten Lösungen versprochen. Zum anderen wollten andere aber einen Faschisten wählen. Dass irgendjemand keine gute Alternative ist, reicht nicht als Erklärung, warum Leute faschistisch wählen – sie wollen das oder sie wollen sich dem hingeben, was auf das Gleiche rauskommt. Worauf man hoffen muss, ist, dass sie sich schleunigst umentscheiden und dagegen kämpfen, was sie gerade noch unterstützt haben. Dazu braucht es aber immer Organisationsformen und echte Alternativen, keine Stars.

Was wir jetzt tun müssen

Was wir jetzt tun müssen ist an einer Welt zu arbeiten, in denen Menschen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben müssen, die erziehen und pflegen, die wohnen wollen, die medizinische Hilfe benötigen und sich ernähren müssen organisieren können – und zwar solidarisch und miteinander, nicht gegeneinander. Dafür braucht man Zeit, Geld, Räume und viele andere Ressourcen. Solange uns Popstars das nicht verschaffen, werden sie uns nicht helfen.

Wobei sie hilfreich sind, ist uns Soundtracks zu unseren Kämpfen zu liefern: „Born this way”, „Freedom”, „All Too Well”, „Born in the USA” – das sind alles Anthems, die sich lohnen, weiter flennend gegrölt zu werden, mit unseren Freunden, Familien, Schwestern, Genossinnen. Denn auch das vermag Pop immer und immer wieder – uns zusammenbringen, uns Katharsis, Eskapismus und Versöhnung verschaffen, diese tollen Sachen halt.

Und noch eine Extramessage an Robert Habeck

Und ich will gerade auch wirklich nicht wissen, welche Popstars momentan in ihren Abschottungsvillen weinen oder mit ihren Privatjets dem ganzen News-Stress entfliehen. Macht ihr eures, nämlich gute Kunst – und gebt gern eure Vermögen ab, falls ihr hier gerade mitlest.

Und noch eine Extramessage an Robert Habeck, der es gerade auch auf die Poptour versucht mit dem Ankündigungsvideo zu seiner Kanzlerkandidatur (kryptisches Getue mit Songauswahl, Swiftiebändchen, Zahlenandeutung): LASS ES!

Popkultur bleibt zum Glück Popkultur und ist weiterhin das Geilste, deswegen zum Schluss ein paarTipps, diesmal nur kurz angerissen, eure Zeit ist kostbar – wegen dem notwendigen Schlaf und so.

01. Das neue Halsey-Album „The Great Impersonator“ ist ganz wunderbar, egal, was „Pitchfork“ sagt („Pitchfork“ hat gesagt, das Album ist nicht gut!) Dafür hat sie Songs im Stile anderer Popmusiker*innen aufgenommen, wie zum Beispiel im Stile von Kate Bush, Cher, Stevie Nicks, Joni Mitchell, Björk – oder Dolores O’Riordan von den Cranberries, siehe hier:

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02. Etwas sehr Schönes zum Rein-nerden: Seit 2007 suchten zehntausende Menschen im Internet nach diesem einen mysteriösen Song aus den 80ern (unter anderem auf Youtube und Reddit ( r/TheMysteriousSong) – von dem gab es nämlich nur eine Radio-Aufnahme. Es wurde recherchiert wie verrückt, immer wieder Theorien aufgestellt, Leute belästigt – es ging durch sämtliche Medien, Hände und Ohren, die Band selbst hatte es bisher aber nicht mitbekommen. Nun aber endlich, nach 17 Jahren, die Erlösung – jemand kam ihnen auf die Schliche. Der Song heißt „Subways Of Your Mind”, die Band hieß FEX und kommt aus Kiel. Und die Mitglieder haben sogar noch immer Kontakt! Da die Aufnahme von 1983 von einer NDR-1-Sendung stammte, durften FEX nun also auch dort ihren großen Hit noch mal performen. Es ist alles so lieb. The Power of Popfans, was?

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03. Der wunderbare Musikproduzent Quincy Jones ist gestorben, wie ihr sicher alle mitbekommen habt. Und auch einen seiner größten Erfolge kennt ihr, das ist natürlich “We Are The World”, der bei mir jedes Jahr bis zum Getno zelebriert wird, samt alle Outtakes und Dokus glotzen und recherchieren, was alle Teilnehmer*innen heute so machen, insofern sie denn noch leben (auf Holz geklopft!).

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In dem Falle hier war das politische Projekt hinter dem Song (“USA for Africa”) auch ziemlich aufgeblasen und sehr fragwürdig, aber zumindest bleibt ein unglaubliches Lied und eine wahnsinnige Entstehnungsgeschichte. Außerdem wurde ja unlängst die Weihnachtszeit von der Queen of Christmas Mariah Carey eingeleitet, so be it.