One World One Voice: 292 Musiker für die Welt
Kevin Godley, die Video-Hälfte von Godley & Creme, hatte die Idee: das "Chain-Tape". Wochenlang zog er mit einem 24-Spur-Band um den Globus und ließ 292 Musiker miteinander jammen. Hehrer Hintergrund: eine Aktion gegen die weltweite Umweltzerstörung.
Ein wenig gefährlich blitzt es schon, das Messer, das unser Mitarbeiter Steve Lake da wetzt (Interview ab S. 14 in diesem Heft). Wenn sich zwei kommerzielle Pop-Größen wie Kevin Godley und Rupert Hine auf die Reise um die Welt machen, 292 Musiker aus vier Kontinenten aufnehmen, um deren Sessions zu einer 52-minütigen „Welt-Sinfonie“ zu verwursten, und das auch noch in einem Benefiz-Hintergrund gegen die globale Umweltzerstörung – gibt es ein prächtigeres Feindbild für alle Anhänger des Reinheitsgebotes in der Musik?
Doch allen Sound-Puritanern zum Trotz: ONE WORLD ONE VOICE ist alles andere als nur ein neuer, halbpeinlicher Versuch, mit Hilfe eines Haufens illustrer Rock- und Pop-Größen die Spendenbüchse für irgendeinen guten Zweck zu schwingen. Kevin Godley, ehemals Drummer bei l0cc, bärtige Hälfte von Godley & Creme und mehrfach prämierter Video-Regisseur, weiß aus seiner Arbeit für die britische Umwelt-Gruppe ARK (die er mitgegründet hatte) nur zu gut um die Benefiz-Müdigkeit von Stars und Publikum. Live Aid, USA For Africa, Arnnesty-Welttour, Mandela-Spektakel – nichts geht mehr ohne karitatives Mäntelchen, und sei es nur ein Konzert für die von anti-sozialistischen Unruhen aufgeschreckten westsibirischen Springmäuse.
Gemeinsam mit dem britischen BBC sollte Godley im Frühjahr den Höhepunkt einer Fernsehwoche mit Schwerpunkt „Umwelt“ konzipieren. Alles schon mal da gewesen – es sei denn, man hätte die Standard-Riege des St. Bonifazius-Rock (Sting, Gabriel, Springsteen, BAP etc.) mit der amerikanischen „Discovery“ für ein Benefiz-Konzert auf der UDSSR-Raumstation „Mir“ in den Orbit geschossen: „Die Idee, als Höhepunkt meines Engagements ein Mega-Festival zu veranstalten, war wenig erfolgversprechend – fast alle Künstler und erst recht die Fans haben diese Live-Spektakel inzwischen satt.“
Und wieder einmal waren es Kinder, die einen grübelnden Musiker auf die zündende Idee brachten: „Zwei Jungs aus meiner Nachbarschaft zeigten mir eine Zeichnung, die sie in ihrer Klasse als ‚Stille Post‘-Spiel gemacht hatten. Jedes Kind hatte an einem Tier weitergezeichnet, ohne zu wissen, was der Vorgänger gemalt halte. Und das machte Sinn!“
„Stille Post“ oder der „Kettenbrief“ – das funktioniert im Zeitalter der standardisierten Aufnahme-Prozesse weltweit auch in der Musik: „Wenn wir die Musiker nicht an einem Ort zusammenbringen wollen oder können, kommen wir einfach mit einem 24-Spur-Band zu ihnen. “ Das Konzept „Chain-Tape“ war geboren: Grundrhythmus und Bass-Groove aufnehmeri, ein paar Harmonien vorgeben und mit diesem Band dann weltweit hausieren gehen. „Ich erzählte den Leuten der BBC-Umwelt-Redaktion von meiner Idee. Drei‘ Tage später riefen sie an und meinten, ich sollte mir für die kommenden sechs Wochen nichts vornehmen …“
„Sting halte den beschissensten Job“, erinnert sich Godley, „wir hatten am Anfang nur einen Drumcomputer-Beat und vier Akkorde. Sting mußte als erster ran und die Bass-Grooves einspielen.“ Acht Wochen und mehr als 70.000 Kilometer später schloß sich Godley gemeinsam mit Produzent Rupert Hine und Tonmeister Steve Taylor in die Londoner Nomis-Studios ein, um die kilometerweise von den mittlerweile 292 beteiligten Musikern bespielten 24-Spur-Tapes zu sichten. Und es passierte, womit kein Skeptiker solcher Unternehmungen gerechnet hatte: Die musikalischen Extreme ergänzen sich perfekt, der Welt-Groove funktioniert. „Wir hatten genug Material für 50 LPs“, stöhnt Rupert Hine, schließlich waren an allen Aufnahmeorten spontan mehr und mehr Rock-Größen dazugestoßen.
Doch der fertige 52-Minuten-Mix beweist, daß es weit mehr als nur ein weiterer Benefiz-Reigen von Superstars geworden ist: „Das Tolle an dem Projekt ist“, freut sich Godley, „daß es nicht wieder nur eine Inzest-Veranstaltung von Superstars wurde. Es sind viele total unbekannte Musiker dabei, weil sie ihren eigenen, unnachahmlichen Stil spielen.“
Die endgültige Künstler-Liste kam somit eher zufällig zustande. Wo immer der Godley-Treck mit seinem mobilen Studio Station machte, fragten sie die Musiker, die gerade in den Städten aufnahmen oder live gastierten. So kamen auch Leute wie Joe Strummer und Suzanne Vega – sonst für Benefiz-Sachen nicht zu begeistern – dazu. Große Überredungskunst mußte dabei aber nicht aufgebracht werden. Godley trocken: „Will man heutzutage Musiker dazu bringen, auf neue Art zusammenzuarbeiten, muß der Grund schon verdammt gut sein. Und hier geht es schlicht und ergreifend um die Zukunft unseres ganzen Planeten. „
Kevin Godley rettet die Welt – so einfach ist das Projekt nicht gestrickt, denn konkret erreicht wird mit einer LP natürlich nichts – sogar auf den peinlichen Cover-Sticker „Zwei Mark pro Platte gehen an…“ wurde verzichtet. Statt dessen bleibt es jedem Künstler selber überlassen, was er mit seinen Tantiemen macht. Jeder spendet seinen Anteil für eine Gruppe seiner Wahl. Sting zum Beispiel gibt sein Geld an die ‚Rainforest Foundation‘, mein Anteil geht an ‚ARK‘ andere spenden an ‚Greenpeace‘ oder ‚Robin Wood‘.“
Nachprüfbar ist das genauso wenig wie bei allen anderen Benefiz-Spektakeln, doch ONE VOICE ONE WORLD appelliert ohnehin mehr an den Kopf als an den Geldbeutel. Eingebettet in eine TV-Umweltwoche wurde der zweistündige Fernsehbeitrag zur Platte in 20 Ländern gesendet, in Deutschland lief er unlängst Samstag Abend auf den Dritten.
Benefiz-Müde riechen richtig – es geht mal wieder um das ziemlich ausgelatschte „Bewußtsein wecken für die Umwelt.“ Godley sieht es gelassen: „Musiker sollten vor allem gute Musik machen. Wenn sie dabei auch etwas zu sagen haben, ist das in Ordnung. Und wir haben nur versucht, wirklich gute Musiker zusammenzubringen.“
Understatement von der kühleren Sorte, bedenkt man. daß dem Godley-Team ein in der Geschichte der Rockmusik einmaliger Wurf gelungen ist. Die One-World-Kampagne, im 60-Minuten-Video (erscheint im August als Kaufcassette) ergänzt mit Umwelt-Werbespots der zehn führenden Werbeagenturen, zeigt nicht nur. daß Musik die einzige Sprache ist, die überall auf der Welt verstanden wird. Geeint sind die Musiker aus 16 Nationen vor allem durch ihr gemeinsames Engagement gegen die weltweite Umweltzerstörung, wenn auch jeder seinen ganz privaten Blickwinkel hat.
Laurie Anderson zum Beispiel, die auf dem Album die Geschichte eines Mannes erzählt, der sich mit Delphinen unterhält, hatte einen sehr aktuellen Anlaß: „Gier ist der Motor der Menschen. Ich war in Berlin, als die Mauer fiel, und sah die Gesichter der Leute aus dem Osten. Sie wollten um jeden Preis nur eines – einkaufen. Irgendwann sieht es dort so schlimm aus wie in New York.“ Eine Stadt, die „Little“ Steven Van Zandt schon heute allzu oft nicht mehr sehen kann: „Wenn man von New Jersey mich Manhattan rüberschaut, sieht man immer nur eine einzige häßliche, dicke gelb-graue Wolke.“
Bob Geldof, der geadelte Ober-Helfer und Live Aid-Initiator, der auf der Platte dafür sorgte, daß aus einem Beitrag von Kollege Howard Jones ein richtiger – Single-verdächtiger Song – wurde, weiß sogar, was zu tun ist: „Inzwischen sind alle Menschen besorgt – bis hin zu jeder kleinen Sekretärin. Aber das ist nicht genug. Wir müssen unseren Lebensstil sofort drastisch umstellen, wir im Norden müssen dem Süden der Welt endlich dafür Ausgleich leisten, daß wir Millionen Menschen dort unten mit unserem Lebensstil in die Armut getrieben haben. Es gibt einen ganz einfachen Leitsatz: Wenn wir das System der Weltwirtschaft nicht sofort ändern, sind wir alle am Arsch.“
Letzteren ärgert sich seit ein paar Jahren Pink Floyd-Chef David Gilmour ab, wenn er aus den Fenstern seines Hausbootes, in dem auch sein Heimstudio untergebracht ist, auf die Themse schaut. Nachdem sein Solo eingespielt war, nahm er Kevin Godley ein Stuck im Ruderboot mit: „Schau dir das an – in den 20er Jahren muß es hier fantastisch schön gewesen sein. Und jetzt schwimmt auf der Themse und allen anderen Flüssen Englands tonnenweise Dreck und Verpackungsmaterial – Plastik, Styropor – alles ist voll Müll. Immerhin merken immer mehr Leute, daß ein langfristiges Entsorgungs-Konzept tausend mal wichtiger ist als das schnelle Geld heute. „
Einzig der selbsternannte Regenwald-Retter Sting zeigte sich der Fragen, warum er schon wieder an einem Benefiz-Teil arbeitet, anstatt endlich seine neue LP fertigzustellen, überdrüssig. Er habe, feixt er, den One-World-Bassjob nur übernommen, „weil ich Kevin Godley noch so viel Geld schulde und er mich sonst nicht aus dieser Nummer rausgelassen hätte …“
Trotzdem – sollen die 90er Jahre das Umwelt-Jahrzehnt werden, muß irgendwer jetzt anfangen. Warum also nicht die Musiker, wo doch jetzt sogar in der Redaktion von Deutschlands führender Musik-Zeitschrift endlich ein Container für Alt-Papier aufgestellt wurde. Weiter rumzusitzen und abzuwarten, so bringt es Terence Trent D’Arby auf den Punkt, bringt jedenfalls nichts: „Wir sollten nicht darauf warten, daß Gott vom Himmel herabsteigt und hier wieder alles in Ordnung bringt. Wir haben die Welt bereits versaut, eine zweite gibt’s nicht.“