Norah Jones & Danger Mouse – Das Traum-Duo
Sie war DIE Stimme der Nullerjahre und verkaufte Platten wie geschnitten Brot. Doch dann hatte Norah Jones keine Lust mehr auf feinfühlige Jazz-Balladen und zog um die Häuser. Dabei traf sie Superproducer Danger Mouse und machte mehr aus ihrem Typ. Das Resultat ist eine musikalische Allianz auf gleicher Augenhöhe.
Er muss ein empfindsamer Typ sein, dieser Danger Mouse. Ein echter Seelendoktor für suchende Superstars. „Wir kommen ja aus ganz unterschiedlichen Welten und er hat mir beim ersten Arbeitstreffen Musik vorgespielt, die ich nicht kannte“, berichtet Norah Jones. „Ich hatte aber schnell begriffen, worauf er hinaus wollte. Schon nach ein paar Stunden gab es konkrete Ideen. Und dann waren wir ganz schnell bei den Instrumenten.“ Auf seine ruhige, kompetente Art scheint der „Superproduzent“ („Süddeutsche Zeitung“) auch die menschliche Dimension des Jobs zu verstehen. Brian Burton alias Danger Mouse ist jedenfalls keine vierschrötige Hitmaschine mit goldenem Händchen. Kein Mischpult-Diktator, sondern eher der Charakterkopf auf Augenhöhe. Seine aktuellen Produktionsarbeiten für U2 und Daft Punk zeigen, in welchen Dimensionen sich das Ganze mittlerweile bewegt.
Die möglicherweise lähmende Vergangenheit der Singer/Songwriterin mit ihren weltweit über 40 Millionen verkauften Platten spielt dabei keine Rolle. Es herrscht die spielerische Zwanglosigkeit einer Schlafzimmer-Produktion. Jones kauert völlig selbstverständlich im Trägerkleidchen auf dem Fußboden und singt, während Burton schräg dahinter die akustische Gitarre anschlägt. Diese im Video festgehaltene Momentaufnahme vom Soundtrack-Album Rome, bei dem sich die beiden 2008 kennengelernt hatten, mag ein bewusst gesteuertes Image vermitteln. Bemerkenswert ist jedenfalls, wie prägend dieses Nebenprojekt für die spätere künstlerische Orientierung von Norah Jones geworden ist. Danger Mouse als Karriereflüsterer.
Und so kommt es nach Rome zu einem privat eingefädelten Fünf-Tage-Treffen, bei dem die Chemie für ein Anschlussprojekt ausgetestet werden sollte. „Die Plattenfirma brauchte von dieser Kooperation erst mal nichts zu erfahren. Wir hatten schließlich keine Ahnung, was dabei herauskommen würde.“ Der Testlauf gelingt; doch es entsteht eine große Arbeitspause von zwei Jahren, bedingt durch die Welttour von Jones zu ihrem letzten Album The Fall sowie Burtons Engagement bei den Broken Bells und anderen Studiojobs. Erst im Herbst 2011 finden die beiden dann endlich für zwei ganz offizielle Arbeitsmonate in Los Angeles zusammen. „Vielleicht sind wir ja deshalb so gut zurechtgekommen, weil wir uns mit den Violent Femmes zumindest auf eine Platte unserer Jugend einigen konnten“, sagt Jones mit einem ironischen Grinsen. Ein Pakt der Mittdreißiger-Generation – Jones ist 32, Brian Burton wird in diesem Juli 35 -, an dessen Ende zwölf gemeinsame Songs des fünften Albums von Norah Jones, Little Broken Hearts, stehen. „Klar, hatte ich dabei das letzte Wort“, sagt sie. „Aber es gab keine dramatischen Kämpfe, denn Brian versteht sich in der Kunst der Inspiration und Zusammenarbeit.“
Norah Jones sitzt im bequemen Interview-Look (schwarze Leggins, flauschiger Strickpullover) in ihrem Ledersessel und blickt auf das Kölner Rheinpanorama. Sie ist gekommen, um einiges zu erläutern. Etwa das Albumcover, das dem Plakat des Russ-Meyer-Films „Mudhoney“ nachempfunden ist. „Brian hat eine Sammlung dieser Poster im Studio hängen“, erzählt Jones. „Und ich schaute Dutzende Male genau auf dieses Gesicht, bis ich irgendwann genauso einen durchdringenden Blick haben wollte wie diese Schauspielerin. Für mich ist es das perfekte Bild zu diesem Album.“ Schon die Coveroptik vermittelt eine ganz andere Ansprache als die weich gezeichneten Motive der Vorläufer. Und so ist es kein Wunder, dass die „Los Angeles Times“ zur Album-Veröffentlichung spekulierte: „Can Danger Mouse make Norah Jones cool?“ Nicht gerade eine Frage, auf die sie gewartet hat.
„Das ist der komplett falsche Ansatz, denn in solchen Kategorien denke ich gar nicht erst“, sagt sie resolut. „Cool!? Lass mich damit bloß in Ruhe. Wer sich danach ausrichtet, kann eigentlich sofort von der Brücke springen. Ich jedenfalls habe mich nie darum gekümmert. Das spielt für meine Art Musik nicht die geringste Rolle.“
Andererseits hat sie sich den Megaerfolgen der beiden ersten Alben Come Away With Me (2002) und Feels Like Home (2004) immer weiter entzogen. Unter der Regie des mittlerweile verstorbenen Altmeisters Arif Marden, der schon die große Zeit von Aretha Franklin, Diana Ross oder den Bee Gees begleitet hatte, wurde sie damals zur gefeierten Königin der melancholischen Qualitäts-Ballade. Eine Art Adele der Nullerjahre, die im Zeichen des Traditionshauses Blue Note zur Lichtgestalt einer Retro-Jazz-Renaissance geriet. „Dabei habe ich mich nie als Genre-Künstlerin gesehen, genauso wenig wie man Brian auf HipHop oder Elektronik festlegen kann.“ Nachdem man sie 2003 mit fünf Grammys überschüttet hatte, demontierte sie immer stärker ihre Aura des pflegeleichten Jazzwunders. In diversen Kooperationen, etwa mit Dave Grohl, Q-Tip oder Talib Kweli, setzte sie sich bewusst zwischen alle Stühle.
Nicht alles saß auf Anhieb, aber man spürte ihre Unrast. Ansonsten konnte sie es genießen, die ökonomischen Erwartungen ihres Labels auf ewige Zeiten (über)erfüllt zu haben. Da sie weder einen überzogenen Lebensstil pflegte noch überdimensionierte Produktionskosten verursachte, konnte sie in allen künstlerischen Fragen weitgehend autonom agieren. Freiheit durch Bauch-Entscheidungen. Seit 2006 existiert etwa ihre Country-Band The Little Willies, mit der sie durch kleine und mittlere Clubs tourt. Auch sonst steht sie gerne mit Kumpels und Kollegen irgendwo auf der Bühne, was ein angenehmes Umfeld ohne lästigen VIP-Rummel bedeutet. „Wenn wir in kleinen Läden spielen, taucht mein Name gar nicht in der Werbung auf. Alles ist viel einfacher und wir müssen nicht lange proben. Mit den Little Willies bin ich seit Jahren eingespielt. Ich liebe diese sehr direkten Country-Texte. Es ist zwar ein anderer Gesangsstil, doch ich muss meinen Kopf dafür nicht umprogrammieren.“
Freundin Sarah Oda etwa, die ansonsten in ihrer Pressecrew arbeitet, hat die Frauen-HipHop-Crew White On Rice ins Leben gerufen, die mit ihrem Song „Dealbreaker“ zu YouTube-Lieblingen wurde. Jones mischt hier als Gast-Vokalistin mit; und selbst der kapriziöse Style-Blogger Perez Hilton konnte sich für die überdrehte Bollerbeat-Kooperation begeistern. Norah sucht sich das Beste aus allen Welten. Eine Musikerin des gehobenen Weltformates, die, wann immer sie möchte, ansatzlos in den Underground hinabsteigen kann. Und an dieser Stelle kommt wiederum Brian Burton ins Spiel, der sie auf Little Broken Hearts auf einer eklektischen Reise durch Country-Sphären („Travelin‘ On“), Highway-Americana („Out On The Road“), verhaltene Breakbeats („Say Goodbye“) und sphärischen Dream Pop („After The Fall“) begleitet. Er hat ihre Freude an Stilbrüchen herausgefordert, statt eine modernistische Soundsoße über alles zu kippen. Wie ein eingespieltes Duo sind Jones und Burton beim Schreiben und Einspielen der Songs durch den Instrumentenpark gewechselt. Via Multitracking entstand der Großteil der Platte in einem minimalen Verfahren, bevor für die finalen Aufnahmen die Backing-Band hinzu gerufen wurde. „Das verlief alles recht fließend. Wo ich die bessere Instrumentalistin bin und mehr Präzision einfordere, hat Brian darauf geachtet, dass der Vibe stimmt.“ Norah Jones mag dabei den Coolness-Faktor in den Wind schießen; für den großen, amerikanischen Popsong legt sie sich dennoch schwer ins Zeug.
Dazu gehört auch ihr multiples Erscheinen auf dem diesjährigen Musikfestival „South By Southwest“ (SXSW) in Austin/Texas. Hier stellte sie Little Broken Hearts erstmals live im „La Zona Rosa“ vor, nicht unbedingt ein Ort für Superstars. Auch der Shop-Auftritt bei „Waterloo Records“ gilt eher als Härtetest für aufstrebende Nachwuchskräfte. Grund genug für Jones, dort mit The Little Willies aufzutreten. „Ich stamme ja aus Dallas, doch Austin ist meine gefühlte Heimatstadt. Ein Umfeld also, das genau zu meiner aktuellen Stimmung passt. Ich werde dort immer auf eine sehr herzliche Art begrüßt. Nach Hause kommen mit einem neuen Album und alten Freunden“, sagt Jones. „Dreimal kurz hintereinander in drei verschiedenen Formaten auf der Bühne. Das gefällt mir, das bin ich!“
Albumkritik S. 85