Niemand hat die Absicht, ein Matriarchat zu errichten: Was Linus Volkmann über „Punk As F*ck“ und K.I.Z-Frauenkonzerte zu sagen hat
Es ist Herbst, diesen Downer muss man auch erstmal verstoffwechseln. Linus Volkmann sitzt auf einer Wärmflasche, knabbert Spekulatius und seine Fingernägel und präsentiert in der neue Popkolumne feministische Bücher mit Punk- beziehungsweise Humorhintergrund, einen Podcast (Die Sterne) und einen ganz besonderen Videoclip (Jens Friebe). Setzt Euch zur Ruhe und lest mit.
Nichts ist schöner als ein helles, befreiendes Männerlachen. Nee, ich muss anders anfangen. Also, ein prägendes Erlebnis hinsichtlich der Unterrepräsentation von Frauen im Humorbetrieb stellte für mich einst der Besuch in der „Caricatura – Museum für komische Kunst“ in Frankfurt dar. Es muss zur Jahrtausendwende gewesen sein, ich genoss vor allem den exzellent sortierten Gift Shop, Regalmeter um Regalmeter voll mit Büchern von all den Satirikern und Cartoonisten, die ich so gern las. Wow, was für eine Auswahl. Ein bisschen wie im „Titanic“-Wunderland konnte man sich fühlen.
Weiß gar nicht, wie es in dieser Satire-Idylle dazu kam, aber unter diesen aberhunderten von Büchern fiel mir irgendwann auf: Es handelte sich ausschließlich um Männer. Das konnte doch nicht sein? Ich begann die Autorinnen zu zählen. Die Quote war grotesk. Genau zwei Bücher kamen auf, einmal Elke Heidenreich in einem gemeinsamen Buch mit dem Maler Michael Sowa und dann noch „Frau Rettig, die Czerni und ich“ von Simon Borowiak, der dieses Buch noch unter dem Namen Simone veröffentlichte.
Was für eine coolere, utopischere, bessere, witzigere Welt sollte das eigentlich sein, wenn sie so einen Ausschluss produzierte? Und sich dessen offenbar überhaupt nicht bewusst war? Seitdem schaute ich skeptischer auf die einst von mir so heftig bewunderte Frankfurter Schule – und auch auf das ganze Satire-Brimborium drumherum.
Heute, 20 Jahre später kann man vorsichtig konstatieren: So beschissen sieht es von der Bücherquote nun nicht mehr aus und die „Titanic“ beschäftigt aktuell erstmals mehr Frauen als Männer in der Redaktion, aber bis zu paritätischen Verhältnissen ist es noch ein langer Weg. Damit man nicht schwermütig wird, wenn man jenen entlang stapft, empfehle ich die Anthologie „Niemand hat die Absicht, ein Matriarchat zu errichten – Komische Texte und Cartoons von Frauen“ (Satyr Verlang) von „Titanic“-Mitherausgeberin Ella Carina Werner und Katinka Buddenkotte. Wer gern auch mal privat lacht, kann sich hier freuen: Eimerweise Jokes, lustige Zeichnungen, überraschende Pointen, skurrile Wendungen und geiler Quatsch. Mit dabei Stefanie Sargnagel, Miriam Wurster, Katharina Greve, Teresa Habild, Dorthe Landschulz, Dagmar Schönleber, die brandgefährliche Musikexpress-Kolumnistin Paula Irmschler und ganz viele andere.
Hoffentlich scannt meine Mutter diesen Text hier nicht: Das schenke ich ihr nämlich auf jeden Fall zu Weihnachten. Und zwar nicht weil sie eine Frau ist, sondern weil sie gern sehr gute Sachen liest.
Punk As F*ck
Diese Anthologie wiegt gefühlt soviel wie ein halbvoller Umzugskarton und erscheint ohne großes Werbebudget bei einem kleinen Verlag. Dennoch sah sich die erste Auflage noch vor der Auslieferung ausverkauft. Was ist hier bitte los?
Übermäßig komplex ist die Antwort nicht, die ich anzubieten habe: Die Herausgeberinnen Ronja Schwikowski und Diana Ringelsiep haben einfach einen Nerv getroffen. In der breiigen Masse von okayen, guten wie schlechten Büchern über Punk haben die beiden ein verdammt wichtiges aufgestellt. Der Untertitel von „Punk As F*ck“ lautet dabei: „Die Szene aus FLINTA*-Perspektive“.
Der aktuelle Hype um diese Veröffentlichung beim Mainzer Ventil Verlag macht deutlich, wie überfällig dieser Blickwinkel gewesen ist. Die an so vielen Stellen cis-männerzentrierte Erzählung von Punk lässt seit Jahrzehnten den Fakt vermissen, dass in dieser Szene eben auch FLINTA* agieren. Nur sind die abseits von männlichem Love Interest und all den Einzelkämpfer*innen in Bands (die schon Glück haben, wenn sie nicht ständig sexualisiert werden) irgendwie nie wirklich Thema.
Dieses Buch nun gibt einfach mal anderen Personen der Punkbewegung eine Bühne und der Rummel um das Ergebnis den Herausgeberinnen recht. Das hier muss erzählt und aufgearbeitet werden, sonst verreckt das Genre in seiner selbstgewählten Herrengruft noch, in der zu jeder vollen Stunde immer Die Kassierer laufen.
Die gesammelten Storys in „Punk As F*ck“ sind durchweg sehr persönlich, sehr unterschiedlich, aber es zeichnen sich schnell auch Muster ab – und die sind nicht nur schmeichelhaft für die so vermeintlich emanzipierte Szene. Wir erfahren hier viel über Punksozialisation – von zum Beispiel der Bundestagsabgeordneten Tessa Ganserer oder der NDW-Punk-Ikone Annette Benjamin (Hans-A-Plast), von Liz Dork (Die Dorks), Atti Attilerie (Bluttat), FaulenzA, Fini (Black Square), Veronika Kracher und Rina V. Drängler. Aber man muss hier nicht nach Namen scannen, denn die Storys selbst sind der Star. Es gibt soviel zu entdecken und zu checken – „Punk As F*ck“ stellt eines der zentralen Kulturprojekte des Jahres dar. Eine bunte Tüte Empowerment.
Rebecca räumt auf
Es kommen immer neue Podcasts auf den Markt, aber wie weit sind bitte die verdammten Forscher*innen, die daran arbeiten, dass wir alle bitte mindestens 20 Jahre länger leben können im Schnitt? Nicht wegen uns oder unseren Lieben, nein, einfach damit man diese ganzen Podcasts schafft.
Ich habe aktuell einen gehört in meiner normalen Lebensspanne und dachte deshalb natürlich: You better be geil. Ich hatte Glück – und soviel Spaß, dass ich das Projekt hier mal highlighten möchte. Der Podcast heißt „Rebecca räumt auf“. Rebecca Spilker ist verheiratet mit Frank Spilker von Die Sterne und der ist gleich auch ihr erster Talkgast. Klingt bisschen arg naheliegend? Ist es auch. Aber das ist ja irgendwie der Zauber dieses Mediums, die persönliche Verquickung wird Teil des Mehrwerts. Zumindest hier. Denn – da lege ich mich fest – so offen hat man den Storyrunner von Die Sterne noch nie reden gehört. Rebecca entlockt ihm interessante Ausführungen zum Ende der alten Besetzung genau wie zu finanziellen Fallstricken einer alternativen Band im Hier und Jetzt. Wer nun zurecht fürchtet, die Konstellation müsse allzu unkritisch ausfallen, kennt die Spilkers nicht. Frank erwehrt sich gegen das „Framing“ als ewiger Hamburger-Schule-Stichwortgeber, wird nicht nur in Watte gepackt und Rebecca hat smarte Fragen drauf, die hätten mir mal in einem meiner Sterne-Interviews einfallen sollen. Hört rein.
Team Scheisse schicken Platzhalter zum Preis für Popkultur
Wen es total begeistert, wie Männer auf der Bühne Preise abräumen, dem sei die 1Live-Krone empfohlen. Hier gewinnen in einem Loop der Ödnis immer wieder dieselben fünfzehn Typen. No offense, hochgeschätzte Kolleg*innen, aber die Krone ist einer der vielen öffentlich-rechtlichen Walrosskadaver, die unsteuerbar in der Strömung treiben.
Der hingegen auch schon wegen seiner Dude-Quote geschmähte Preis für Popkultur hat zuletzt sichtlich an Diversität gewonnen. Respekt dafür. Die jüngste Aufführung diese Woche hatte aber für mich noch ein anderes Highlight: Team Scheisse gewinnen den Preis für beste Newcomer. Doch offensichtlich war ihnen der Weg aus Erfurt und Bremen zu weit und sie überließen irgendwelchen laienschauspielerischen Platzhaltern ihre Bändchen. Da kaum jemand aus der Hauptstadt-Poprockblase des Preises mit der Band wirklich vertraut war, kamen die Team-Scheisse-Imitatoren damit easy durch.
Wir sind schön
„Wir sind schön“ heißt das Album, das Jens Friebe letzte Woche rausgebracht hat – und jetzt hat auch das Titelstück ein Video erhalten. Gefilmt hat Juno Meinecke (blutsverwandt mit Michaela Melián und Thomas Meinecke) dazu eine kleine Horrorshow. Ein wenig „Scream 3“, Halloween-Schminktutorial inklusive Altbauwohnungs-Charme – und wer genau hinsieht, entdeckt diverse Berliner Pop-Prominenz unter den Darstellerinnen, als da wären Julie Miess (Half Girl, Ex-Britta), Julia Meta Müller, Achan Malonda, Sarah Warren und Margarete Stokowoski.
K.I.Z.-Frauenkonzert
Ich muss ehrlich sagen, vor einigen Jahren empfand ich die K.I.Z.-Konzerte, die sie für bestimmte Gruppen abhalten, durchaus progressiv. Es gab zum Beispiel Gigs, die nur für als Frauen verkleidete Männer ausgerichtet waren. In einem Interview gab die Band an, dass es ihnen auch darum ging, für Cis-Männer erlebbar zu machen, wie (wenig sicher) man sich geschminkt und im Kleid abends in der U-Bahn fühlt. Also eine Lektion in Empathie, why not?
Diese K.I.Z.-Events haben sicher im vergangenen Jahrzehnt Denkanstöße verteilen können. Heute allerdings (ein „K.I.Z.-Frauenkonzert“ fand letzte Woche in der Kölner Lanxess Arena statt, die Bandmitglieder verkleiden sich dabei als Frauen) wirkt das alles nicht mehr so richtig weit vorn, viel mehr etwas überholt, vielleicht sogar übergriffig. Der Gender-Diskurs hat sich (zum Glück) spürbar verschoben, diese K.I.Z.-Travestie noch nicht.
Die Rapperin Liser fasst das Unwohlsein in ihrer aktuellen Instagram-Story zusammen:
„Wenn du eine Fanbase aufbaust, die wegen deiner ‚ironischen‘ funnyjoke Texte so scheiße frauenfeindlich ist, dass sich keine FLINTA-Person in diesem Space jemals sicher fühlen könnte, ist es das mindeste, einen Extraraum zu schaffen. Diesen Raum einmal im Jahr als große Marketingaktion zu schaffen, Weiblichkeit als Kostüm zu tragen, noch mehr Witze aus unbetroffener Sicht über das Leben als Frau zu machen, um am nächsten Tag die Verkleidung abzulegen und weiter dazu beizutragen, dass frauenfeindliche Rhetorik auf jedem Schulhof stattfindet, das sind absolute Ehrenmänner in eurem Buch?“
Sorry, wem diese Diskursverschiebung zu anstrengend ist, sorry an alle, die der Band für ihre grundsätzlich nicht falsche Symbolpolitik weiter uneingeschränkt auf die Schulter klopfen möchten, aber sorry not sorry. Da muss 2022 noch mehr gehen. Und das weiß eigentlich auch jede*r.
Okay, außer vielleicht Dieter Hallervorden.
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.