Musik für das Jahr 2010
Can inspirierten Generationen von Musikern. Eine Würdigung von ARNO FRANK.
rockmusik? Aus Deutschland? Deutsche Rockmusik, die auch jenseits des Kanals, vielleicht sogar jenseits des Ozeans fanatische Freunde hat? Wenn sich das herzliche Gelächter gelegt hat, werden manchmal ein paar Namen in die Runde geworfen: Neu! Kraftwerk! Oder eben Can. Dabei bleibt der Verweis auf dieses deutsche Kulturgut immer seltsam unverwandt. Klar kennt jeder Goethe und Schiller. Aber wer hat’s gelesen? Freiwillig? Ähnlich verhält es sich mit Can, einer Gruppe mit eingebauter Hemmschwelle. Kann sich jemand an einen Top-Ten-Hit erinnern? An „Spoon“?
Vor 33 Jahren Schafften es Can mit der Titelmelodie zum TV-Krimi „Das Messer“ auf den achten Platz der deutschen Hitparade, mit einem obskuren japanischen Sänger namens Kenji „Damo“ Suzuki – und einer Musik, die all die Hippie-Blumen im Haar verwelken lassen konnte: kühl und gewagt, ruhig und treibend. Und dabei .gesegnet mit einem Rhythmus, den englische und amerikanische Space-Musik-Gruppen nicht besitzen“, wie das britische Fachblatt MelodyMaker staunend konstatierte. 1972 rangierte Can in einer Beliebtheitsumfrage des Musikexpress auf Platz 5 in den Kategorien „Pop“ und „Underground“. Ihr Album TAGO M AGO landete in Sounds auf Platz 2 der besten LPs des Jahres. Can galten als „avancierteste Rockformation des Planeten „, und das zu einer Zeit, als mit Pink Floyd oder Yes auch andere experimentelle Gruppen unterwegs waren. Nicht schlecht für eine Band, deren Mitglieder an neutönenden Komponisten wie Karlheinz Stockhausen geschult waren und deren Musik zunächst im Schloss Nörvenich, später in einem umgebauten Kino in Weilerswist bei Köln entstand. Eine Band, die sich kurzerhand nach der Dose benannte, in die sie ihre gemeinsam erwirtschafteten Einkünfte warfen, „the can“. Eine Band, deren ursprüngliche Besetzung schon kurios genug war: ein Bassist (Holger Czukay), ein klassischer Flötist (David Johnson), ein Dirigent und Pianist (Irmin Schmidt), ein Gitarrist mit ausgeprägter Leidenschaft für Beat (Michael Karoli) und ein Freejazz-Schlagzeuger, der „endlich mal keinen Jazz spielen“ wollte: Jaki Liebezeit.
Die Sänger – oder besser: Vokalisten – wechselten in den Folgejahren ständig. Da war zunächst der amerikanische Bildhauer Malcolm Mooney, mit dem monster movie (1969) und teilweise die Soundtracks (1970) eingespielt wurden, und der nach einem Nervenzusammenbruch nach New York zurückkehrte, wo er heute als Erzieher arbeitet. Die Suche nach einem Nachfolger gestaltete sich schwierig, weil alle Kandidaten ein Problem hatten: „Ihr Fehler war“, sagte Irmin Schmidt später, „dasssie alle singen konnten. „Eine Fähigkeit, die dem globetrottenden Straßenmusikanten Damo Suzuki hörbar abging; Liebezeit und Czukay hatten den Japaner, der „weniger singt als Worte ins Mikro atmet“ (Melody Maker) auf der Münchner Leopoldstraße aufgelesen. Auf TAGO MAGO (1970) ist zu hören, wie perfekt sich sein alles andere als perfekter Gesang in das Konzept einfügte, skurrile Experimente, simple Melodien und Tonbandaufnahmen zu einem komplexen, hypnotischen Ganzen zu gießen – immer auf der Grundlage einer Rhythmusgruppe, wie sie die Welt noch nicht gehört hatte: Liebezeit galt als maschinenhaftester Schlagzeuger vor der Zeit der Maschinen. Und Czukay verwendete als erster einen primitiven Vorläufer des Drum-Computers, auf der Bühne ergänzte er die wilden Jams mit live eingespielten, verfremdeten Radiosignalen.
Aus dem Wechselspiel von Zufall und Berechnung, Improvisation und Disziplin, Schamanismus und Vernunft entstand so spannende Musik, dass das zunächst abfällig gemeinte englische Wort für deutsche Musikhald als Lob gedeutet wurde, denn: Kraut rockte. „Ich dachte damals immer, wir wären alleine , erinnert sich Holger Czukay. „Faust hatten mich damals nicht überzeugt. Ich dachte, die wären zu intellektuell -und ich vermisste die Rhythmusgruppe.“ Can rockten nachdem Damo Suzuki 1973 sein Herz für die Zeugen Jehovas entdeckt und seinen Hut genommen hatte – erst europaweit, dann weltweit, während die Propheten im eigenen Land immer seltener gehört wurden. Vielleicht lag’s daran, dass sich Can nie das interstellare Esoterik-Brimborium ausliehen, mit dem andere Gruppen damals erfolgreich waren. Noch heute beharrt Czukay, wenn man ihn nach dem inneren Wesen der Musik fragt, auf der Logik als treibende Kraft.
Dabei waren Can immer ein leicht bekifftes, stets aber akademisch kühles Projekt. Jeder von unskonntenur ein paar Noten spielen, also blieb es simpel“, erinnert sich Jaki Liebezeit. Cans Klangkunst speiste sich aus so irrwitzig unterschiedlichen Einflüssen, dass sie wiederum irrwitzig unterschiedliche Bands beinflusste. Manche schätzten das Repetitive (Joy Division, Depeche Mode), andere das Klangmalerische (Brian Eno, Radiohead). Die „viktorianische Dampfmaschine“ John Bonham von Led Zeppelin verbeugte sich mit „Bonzo s Montreux“ vor der trockenen Präzision des Jaki Liebezeit. Und Michael Karoli lieferte mit seinem rotzig-robusten Gitarrenspiel die Blaupause für Generationen von Punk-Gitarristen (von Chili Pepper John Frusciante ganz zu schweigen). „Punk, was ist Punk?“, fragt Holger Czukay. Und gibt sich selbst die Antwort: „Eine Bewegungfür Kinder aus Familien, in denen sich niemand um sie kümmerte. Also fahren sie ihre Ellbogen aus und schlagen sich alleine durch. Das Gleiche passiert im Elektronik-Underground, es sind exakt die gleichen Leute.“
Spätestens mit Techno und der elektronischen Revolution der 90er Jahre waren Can plötzlich wieder aktuell. 1970 staunte der New Musical Express, Can seien ihrer Zeit „40 Jahre voraus“. Demnach wären es heute noch sechs Jahre. Wer wissen will, wie Rock dann klingen wird, der kann das jetzt auf den wieder aufgelegten ersten vier Alben monster movie, Soundtracks, tago mago und ege bamyasi nachhören. Umso bedauerlicher, dass es Neues von Can nicht mehr geben wird: „Can war das Beste, das mir je passiert ist“, resümierte Jaki Liebezeit im Gespräch mit der BBC. „Wir sind alle noch befreundet, aber seit Michael Karoli gestorben ist, ist auch die Möglichkeit einer Reunion gestorben. Wir haben alle unsere eigenen Projekte.“