Nachbetrachtung

Was wir auf einer Musikkonferenz in Finnland über den Zustand des Pop gelernt haben


In Tampere findet alljährlich die „Music & Media Finland“ statt, eine der ältesten Musikkonferenzen Nordeuropas. Wir waren vor Ort für die weirdesten Business-Insights trotz schwieriger Popkultur-Zeiten – und haben außerdem wirklich gute finnische Newcomer entdeckt. Ein kleiner Einblick.

Finnland. So ein guter Ort, denn: best buddy für alles, was irgendwie skandinavisch, baltisch oder russisch ist. Seit 1989 konferieren hier Musikbusiness-Involvierte aus aller Welt. Hier, das ist in Tampere, mit knapp 230.000 Einwohnern Finnlands drittgrößte Stadt. Industriell, kitschbefreit, umsäumt von unendlichen Tannenwäldern. Und Partnerstadt von Essen.

Tampere würde im Ruhrgebiet tatsächlich kaum auffallen. So schmucklos und rough das Erscheinungsbild, so herzlich und direkt die Menschen in diesem Ort, der für wenige Ausnahmen im Jahr kurzzeitig wichtiger als Helsinki wird. „Music & Media Finland“ ist eine davon.

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Panels, Workshops, Vorträge. Klingt immer ein bisschen nach Germanistikstudium mit theaterpädagogischem Schwerpunkt, kann aber doch ganz sexy sein. Zum Beispiel, wenn ein Haufen internationaler Music Supervisor – also Menschen, die möglichst smart möglichst ansprechende Musik in Film und Werbung platzieren – über ihre größten Erfolge sprechen.

Reuben Sears kann das besonders gut. Er kommt aus Los Angeles, ist völlig fertig vom Jetlag, versucht ihn mit Dosen-Gin wegzutrinken und erzählt beinahe beiläufig davon, wie es ist, mit Tom Cruise zusammenzuarbeiten. „Klienten haben oft überhaupt keine Vorstellung, wie teuer Musik ist, um sie in ihren Filmen oder Trailern einzusetzen. Die denken dann, man könnte mal eben was von Metallica für 5000 Dollar kriegen“, sagt er. Das Publikum kichert. Songs, die man für 5000 Euro haben kann, haben im Hollywood-Game der Music Supervisor wohl einen ähnlichen Ruf wie Bier aus der Plastikflasche. Utopische Vorstellungen und Wünsche von Kunden, darüber beklagen sich alle, die hier auf der Bühne sitzen. Wie kann man dem entgegenwirken, ohne den Verstand zu verlieren oder gar unverschämt zu werden und potentielle Auftraggeber zu verprellen? Reuben setzt zum Finale an: „Ich sage meinen Klienten immer: gut, schnell, billig. Such dir zwei davon aus!“

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Im Konferenzraum nebenan sitzen Sneakers tragende Blogger neben schön einparfümierten Anzugträgern. Viele von ihnen schreiben emsig mit und sehen sich dadurch überraschend ähnlich, als Simon Raymonde zum Vortrag ansetzt. Der Auftritt des Briten wird damit beworben, es handle sich um ein ehemaliges Mitglied der Cocteau Twins. Stimmt. Dass Raymonde aber eigentlich anwesend ist, um über sein eigenes Label „Bella Union“ zu sprechen, wird erst im Nebensatz deutlich.

Tatsächlich sind seine Fähigkeiten vielfältig. Dieser Typ kann alles. Floskeln („Du lernst nur dann etwas, wenn du auch Fehler machst!“), Optimistisches („Man muss Beach House keine Ratschläge erteilen, wenn man mit ihnen zusammenarbeitet!“), Ulkiges („Hätte ich kein eigenes Label, würde ich jetzt wahrscheinlich bei Tesco an der Kasse sitzen!“). Wie genau man es allerdings schafft, im Jahr 2018 noch Geld mit Musik zu machen, bleibt offen. Die Verkaufszahlen physischer Tonträger sind lange schon rückläufig, das ist kein Geheimnis. Trotzdem, sagt Raymonde, setze er auf sie, weil ihm einzig das Streaming-Geschäft keinen Spaß bereiten könne. Fair enough. Und doch klingt es ein wenig wie das leicht piefige, in jedem Fall nerdige Hobby eines Mittfünfzigers, dessen Herz nicht aufhören will, für Indie-Rock zu schlagen.

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Es steht nicht gut um den Pop. Das Wanken der Industrie hat sich als Dauerzustand etabliert. Der Frage, die beinahe mahnend über der gesamten Konferenz schwebt, muss sich auch Raymonde stellen: Wo gibt es noch Kohle mit wirklich guter Musik zu holen? Vielleicht im Live-Business. Naheliegend. „Booking-Agenturen und Plattenfirmen müssen besser zusammenarbeiten“, fordert er und entlässt das Publikum mit gemischten Gefühlen.

So mag aber niemand ins Bett gehen. Clever also, dass „Music & Media Finland“ mit dem „Lost In Music“-Showcase-Festival einher geht. Das Konzept: tagsüber konferieren – das kann oft ernüchternd sein –, abends die besten Newcomer entdecken und alles und sich für einen kurzen Augenblick vergessen. Wen man jetzt aus Finnland kennen muss? Diese Boys und Girls:

Disco-Housiges von Onni Boi – für Fans von Hercules + Love Affair, Oscar Key Sung, Roosevelt:

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R’n’B-Poppiges von Mendi Moon – für Fans von Ariana Grande, Sigrid, Mø:

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Avantgardistisch-Futuristisches von Color Dolor – für Fans von: Fever Ray, Bon Iver, Björk:

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Die Konferenz „Music & Media Finland“ fand vom 4. – 5. Oktober 2018 in Tampere statt.