Mousse T. im Interview: „Diese Magie bekommst du alleine gar nicht hin“


Mousse T.über Remixkultur, seine Karriere als Produzent und warum er einst „Nein“ zu Daft Punk sagte.

Es hat sich ja nicht nur die kommerzielle Struktur, sondern auch die produktionstechnische Struktur sehr verändert. Bedroom-Producer sind mittlerweile omnipräsent. Billie Eilish und Finneas haben ihr Grammy-Debüt mit Logic Pro in ihrem Zimmer aufgenommen. Was würdest du jungen Menschen empfehlen, die selbst Musikproduzenten werden wollen?

Natürlich ist erstmal die Essenz: Versuche, dir treu zu bleiben. Gerade durch diese Demokratisierung in der Technologie haben natürlich viel mehr Menschen die Möglichkeit, Musik zu machen oder kreativ zu werden, was eine wunderbare Sache ist. Früher ein Tonstudio zu mieten – das hat 200.000 Mark, 300.000 Euro gekostet. Heutzutage kostet es gar nichts. Wobei, wie gesagt, es gibt auch Beispiele – Daft Punk, ich weiß nicht, ob das 1997 war – ihre erste Platte ist auch eine Bedroom-Platte. Die haben mit minimalstem Equipment die geilsten Grooves gemacht.

Apropos, noch eine kleine Anekdote zwischendurch: Ich werde manchmal gefragt, welche Remixe ich abgesagt habe und später bereut habe. Da fällt mir ein: Daft Punk. Die haben mich damals gefragt, ob ich „Around the World“ remixen will. Und ich habe gesagt: „Freunde, das Ding ist so perfekt, ich wüsste nicht, was ich damit machen sollte.“ Ich bereue es nicht, aber zumindest ist es etwas, wo ich sagen würde: Okay, so ein Daft-Punk-Remix auf der CV wäre auch nicht schlecht.

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Einem jungen Produzenten würde ich heute raten: Natürlich hast du deinen Laptop mit deiner Software, da kannst du etwas machen. Aber was ich spannend finde, ist, den Prozess in einem professionellen Setup zu durchlaufen. Wir haben auch Anfragen von Leuten, die sagen: „Wir haben dich im Fernsehen gesehen oder im Radio gehört, und mein Kind möchte das Gleiche machen.“ Dann frage ich: „Was will er denn machen? Will er vor der Kamera stehen oder Radiomoderator werden?“ Die kommen dann mal vorbei und sehen, dass es bei uns Tontechniker gibt, einen Manager, Label-Mitarbeiter und so weiter.

Wir haben tatsächlich schon Leute „bekehrt“, die relativ oberflächlich gesagt haben: „Wow, du bist ja berühmt, das will ich auch.“ Dann sehen sie vielleicht: „Tontechniker, das ist ja geil, das will ich mal probieren.“ Sie verstehen den ganzen Prozess, was eigentlich dahintersteckt. Nicht nur: „Ich mache einen geilen Beat“ oder „Ich bin ein Künstler“. Sondern auch: „Was steckt eigentlich dahinter?“

Das ist mein Tipp: Bevor Leute sagen: „Ich mache jetzt eine Ausbildung“, sollten sie in Studios gehen, Praktika machen. Das ist das Beste, was euch passieren kann. Vor allem werdet ihr da auch schnell rumgereicht. Man sagt: „Ey, der ist pfiffig. Geh mal da vorbei.“ Oder: „Schüttel mal Peter Gabriel die Hand und koch ihm mal einen Kaffee.“ All das hilft.

Du hast als Keyboarder begonnen. Wie wichtig empfindest du es, als Produzent ein Instrument richtig zu beherrschen?

Da bin ich nicht so dogmatisch. Es gibt zwei Philosophien. Natürlich würde ich auch gerne viel, viel besser Klavier spielen können – Klassik hoch und runter spielen. Aber ich spiele gut genug für meine Belange. Ich kann live spielen, mit einem Orchester zusammenarbeiten und so weiter. Für meine Zwecke hat es gereicht. Es gibt ja die Philosophie: Wenn ich ein ausgebildeter klassischer Pianist wäre oder ein Jazz-Pianist, dann würde mir das wahrscheinlich irgendwo auch die Naivität rauben, die du brauchst, um Popmusik zu produzieren.

Manchmal kommst du mit Ideen hinterher, wo ein Profi mit dem Kopf schütteln würde und sagt: „Nee, das kannst du nicht machen, klingt nicht.“ Oder: „Die Frequenz ist nicht richtig.“ Und ich sage: „Wieso? Klingt geil.“ Ein Instrument hat noch nie geschadet. Wir alle wissen, was Musik mit Menschen und dem Gehirn macht. So die Verbindung: „Ich singe mal einen Ton und versuche, ihn auf dem Keyboard zu treffen“, das bringt schon was.

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Da würde ich mal gerne den Namen Quincy Jones reinbringen – einerseits, du einen Remix für ihn gemacht hast, andererseits, weil er ja ein Gegenbeispiel für das ist, was du eben meintest: Ein ausgebildeter Trompeter, ein Typ mit Jazz-Background, der aber trotzdem extrem visionäre Pop-Produktionen gemacht hat und das ohne ins Dogmatische zu gehen.

Danke, dass du mich auf den Boden der Tatsachen geholt hast mit Quincy Jones. Er ist natürlich ein Beispiel, bei dem man sagen muss: „Okay, besser geht es nicht.“ Genau wie du sagst: Er ist von Trompeter über Arrangeur, Bandleader, Filmproduzent, Musikproduzent – hat die meistverkauften Platten überhaupt produziert. Aber für mich auch die besten, weil sie einfach meiner musikalischen DNA entsprechen – nicht nur seine eigenen Platten, sondern auch die Michael-Jackson-Platten, die er produziert hat.

Das sind natürlich Leute, zu denen man aufschaut und über sie staunt. Das öffnet einem auch die Augen. Gerade wenn man jung ist und anfängt, ist man ja relativ eindimensional. Was ganz gut ist, weil du durch diesen schmalen Pfad relativ schnell zu deinem Ergebnis kommst. Aber du verstehst die ganze Bandbreite gar nicht, die es gibt.

Wenn du so einen Quincy siehst – der arrangiert Händel auf Jazz, macht eine coole Pop-Platte oder einen großartigen Groove mit Michael Jackson – wie geht denn das zusammen? Dann begreift man, was überhaupt möglich ist in der Kunst oder auch in der Musik.

Das sind Künstler und Idole, zu denen man aufschaut. Und es ist auch schön, wenn man sie irgendwann mal trifft. Ich durfte damals, ich glaube, das war 1996, für ihn remixen. Wir haben danach auch telefoniert. Das musste damals per DAT-Kassette und Kurier nach Paris, wo er sich aufhielt.

Ich habe ihn dann getroffen und durfte ihm die Hand schütteln und zwei Minuten mit ihm reden. Da merkst du: Die Augen blitzen, und der Typ ist einfach nur Musik. Da sagst du dir: „Okay, wenn du in dem Alter auch noch so bist, dann hast du alles richtig gemacht.“

Dein Label Peppermint Records wurde vor kurzem 30 Jahre alt, dein Studio 25. Wie würdest du sagen, hat sich das Ganze im Laufe der Jahre verändert? Wohin geht die Reise?

Natürlich ändern sich die Gegebenheiten. Als wir das Studio gemacht haben, war es ein ziemlich großer Komplex, der viel mit Livebands und Musikern arbeitete. Das sind Geschichten, die weniger geworden sind. Wir haben bei uns Leute wie Kaiser Chiefs, Tom Jones, Simply Red, Alicia Keys gehabt – die haben alle bei uns aufgenommen. Manchmal wollen sie nur den Flügel, manchmal die komplette Band reinballern. Das gibt es auch noch, aber es ist weniger geworden.

Was schön ist: Es gibt auch eine demokratische Entwicklung. Vielleicht war es bei mir genauso. Du fängst als junger Mensch an, Musik zu machen, und guckst: „Was gibt es da eigentlich noch?“ Vielleicht hörst du Musik per MP3, entdeckst aber irgendwann: „Es gibt ja auch Tidal, klingt ein bisschen besser. Was wäre, wenn ich meine Platte im echten Studio aufnehme?“

Wir haben unser Setup angepasst. Es gibt mehrere Räume für kleinere Produktionen, aber auch die großen Aufnahmeräume. Die werden noch genutzt – manchmal auch visuell inszeniert, was mittlerweile ein wichtiges Thema ist.

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Merkt man auch, dass es genremäßig changiert? Zum Beispiel: Ein Elektronikalbum zu Hause aufzunehmen, ist definitiv leichter, als ein akustisches Album, wo der Raum eine große Rolle spielt, die richtigen Mikros et cetra. Merkst du da Unterschiede bei den Leuten, die das Studio mieten?

Ja, definitiv. Es ist genreabhängig, was für eine Struktur du benutzt für deine Aufnahme. Aber manchmal ist genau das der Charme, dass man sich bewusst entscheidet: „Ich brauche jetzt hier die perfekte Kirchen-Ambience für mein Ding.“

Manchmal macht man das im kleinen Backroom, und dadurch hat es dann wieder etwas Spezielles. Im Prinzip ist es spannend, wenn du Demos oder Ansätze hörst, bei denen du denkst: „Das musst du so lassen und gar nicht versuchen, es noch professioneller aufzunehmen.“ Auf der anderen Seite ist es dann natürlich auch echt bewusstseinserweiternd, wenn Leute ins Studio kommen und du ihnen zeigen kannst, was mit der richtigen Technik möglich ist. Wenn du ein Schlagzeug richtig mikrofonierst und die Leute die Unterschiede hören – das ist ganz schön.

Aber auch da ist mir wichtig: Ich gehe nicht mit erhobenem Zeigefinger ran. Die Leute dürfen das selbst entdecken. Natürlich darf man auch ein bisschen Marketing machen und sagen: „Guck mal, was es alles so gibt.“ Das ruft dann schon. Aber wie die Leute Musik aufnehmen – keine Ahnung.

Hast du – egal ob als Komponist, Produzent, Remixer oder was auch immer – eine spezielle Arbeitsweise? Also wie du anfängst, an Ideen zu arbeiten? Gehst du immer ins Studio, oder skizzierst du auch mal mit einem MacBook im Zug?

Auch da: Alles geht. Nenn es Glück oder Unglück: als Mensch gehst du ja nie mit geschlossenen Ohren durch die Welt. Alles, was du mitnimmst, hörst, auch unser Gespräch jetzt – das bleibt irgendwo hängen und inspiriert dich vielleicht.

Es gibt ganz klassische Beispiele. „Sexbomb“ zum Beispiel: Da saß ich am Piano, hab gespielt. Mein Songwriting-Partner kam rein, wir haben ein bisschen angefangen zu jammen. Der hatte so eine Idee und sagte: „Ey, Nachfolgesingle zu ‚Horny‘. Wir haben doch gerade Tom Jones’ Sohn kennengelernt, der managt ihn doch. Lass uns doch mal gucken.“ Ich dachte: Für mich ist Tom Jones ja ein Sexsymbol. Er sagte: „Ja, Sexsymbol, komisches Wort. Wie wär’s mit ‚Sexbomb‘?“ Und dann geht sowas ganz schnell los.

Manchmal sitze ich am Rechner, hab einen Bass-Drum-Groove oder irgendetwas einprägsames, und dann entwickelt sich das. Das sind die Vorzeichen, dass du sagst: „Okay, das ist was Cooles.“ Natürlich passiert auch mal was am Laptop. Das ist ja der gängige Weg, gerade auf Reisen. Aber ich mag es, im Studio zu sein und nerdig Sounds und Keyboards auszuprobieren. Am liebsten arbeite ich mit Leuten zusammen im Studio – diese Magie bekommst du alleine gar nicht hin.

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Wie sieht es bei dir mit neuen Sachen aus?

Letztes Jahr war das große dreißigjährige Firmenjubiläum. Da ist uns nochmal klar geworden, was für einen tollen Musikkatalog wir über diese letzten 30 Jahre aufgebaut haben. Das ist eine gute Chance, diesen Katalog neuen Hörern zugänglich zu machen. Da habe ich festgestellt, dass ich relativ wenig in den letzten Jahren auf meinem eigenen Label herausgebracht habe. Ich habe für andere produziert, für andere Labels. Das ändere ich gerade.

Ich habe bis Ende des Jahres eine saftige Club-Nummer gemacht, die heißt „All I Want Is the Bass“. Die blüht gerade weltweit auf, das macht total Spaß. Dann habe ich ein ganz tolles Disco-Ding mit Kathy Sledge – der Hauptsängerin von Sister Sledge. Der Song ist schon fertig, ich produziere ihn gerade final.

Ich bin auch in ein Projekt in London involviert, das heißt „Revival House Project“. Da haben wir unsere Lieblingssongs gecovert und als tanzbare Version produziert – High-Class, mit Gospel-Chor, Geigen und so weiter. Eine Coverversion davon ist „Like a Prayer“ von Madonna. Wir hatten die besten Sänger, aber nichts hat funktioniert. Madonna klingt halt wie Madonna. Letztendlich habe ich zu Warner gesagt: „Freunde, ich frage das Ding jetzt offiziell an.“ Ein Jahr Arbeit, und die Queen hat den Daumen gehoben. Das Ding müsste jetzt im Januar oder Februar rauskommen.

Es gibt vielleicht noch ein anderes Ding: Ich habe Giorgio Moroder vor einiger Zeit getroffen. Wir haben uns gut verstanden. Ich hatte ihm gesagt, dass ich all seine Arbeit respektiere, aber besonders einen Titel aus dem „Cat People“-Soundtrack liebe, den er mit David Bowie gemacht hat. Eine Woche später hat Giorgio mir die Original-Parts von der David-Bowie-Session geschickt. Jetzt muss ich von David Bowies Estate noch die Freigabe bekommen. Aber abgesehen von meinen eigenen Sachen finde ich es toll, Hand an Legenden-Songs legen zu dürfen.

Also wird das mit Moroder ein Remix, kann man sagen?

Ja, ein Remix. Oder vielleicht eine Kollaboration: David Bowie x Giorgio Moroder x Mousse T. – dann habe ich alles richtig gemacht.

Toll, das ist ja quasi die Wiedergutmachung für Daft Punk.

Haha, ja. Mit Bereuen hat das allerdings nichts zu tun. Damals war ich vielleicht eingeschüchtert. Aber ich glaube, die Entscheidung war damals okay.

Hast du für dich selbst noch Interesse am Soloalbum-Format?

Ich finde es immer noch spannend. Singles mache ich immer noch schnell, aber ein Album dauert lange. Davor habe ich Respekt. Aber das Format eines Soloalbums – auch physisch in der Hand zu halten – finde ich spannend. Vielleicht mache ich das mal wieder.