Mißtöne bei Venus Weltklang


Diskussionen gab es am Rande des Venus Wehklang Festivals im Berliner Tempodrom. Als sich vom 19. bis zum 21. Juni hier die Frauen ah Musiker präsentierten, fühlten sich einige durch mitspielende Männer gestört Die Berliner Agentur Albatross und Sonja Schwarz-Ahrend hatten als Veranstalter bei der Auswahl der Mitwirkenden jedoch von vornherein keine einseitig feministische Linie festgelegt Die Emanzipation dokumentierte sich bei diesem Festival vielmehr in der kreativen gleichberechtigten Zusammenarbeit zwischen Musikern beiderlei Geschlechts.

Die Szenerie ist fast idyllisch. Es ist früher Nachmittag, und staubige Sonnenstrahlen fallen in das grüne Zirkuszelt am Potsdamer Platz. Das „Tempodrom“ liegt auf einem verlassenen Gelände dicht an der Berliner Mauer. Davor abrissreife Häuser, hinter denen eine Ziege grast und ein Schwein seelenruhig sein Wasser lässt Glückliches Tier! Denn für die mehr als 1000 Zuschauer, die beim „Venus ¿Weltklang-Festival“ erwartet werden, steht nur ein (!) Toilettenwagen zur Verfügung …

40 Minuten, nachdem dieses Festival der Frauenbands beginnen sollte, ist die Hamburger Lesbengruppe, Bitchband No. 1, noch immer mit dem Soundcheck beschäftigt. Kaum haben sie die ersten Töne gespielt, gibt es schon Ärger. Angesichts einer nackten und noch dazu im Drahtkäfig präsentierten Tänzerin kommen wütende Zwischenrufe. Ungeachtet dessen, was sich die Bitchband dabei gedacht haben mag, stellt es sich für das Publikum als eine Vorstellung dar, die man woanders fünf Minuten lang für ’ne Mark beäugen kann. Die Musik der Bitchband kommt hart und aggressiv; die amerikanische Sängerin fegt über die Bühne wie ein Derwisch, die Keyboard-Frau tobt sich mit den Füßen an ihrem Instrument aus.

Die nächsten 40 Minuten gehören der Kandeggia Band aus Mailand, die nur deswegen als Besonderheit gilt weil sie in Italien die erste von insgesamt drei Frauenbands ist. Die drei Musikerinnen, 16 und 19 Jahre alt, sind Schülerinnen und spielen seit zwei Jahren. Sympathie-Beifall für naive Texte und geringen musikalischen Aufwand Inzwischen hat sich das Zirkuszelt zu etwa einem Drittel gefüllt Es sind die gleichen Leute, die sich auch sonst bei derartigen Gelegenheiten sehen lassen. Vielleicht sind diesmal im Gegensatz zu anderen Anlässen mehr Frauen vertreten – der selbstbewusste Typ, der inzwischen immer häufiger ohne männliche Begleitung in Plattenläden und ähnlichen Lokalitäten auftaucht Ansonsten viel buntes Volk, Leder, Glimmer und lila Pumphosen…

Die erste Überraschung kommt mit Malaria aus Berlin ehemals Mania D. mit neuer Tastenfrau, Susanne, und einer zweiten Schlagzeugerin, Christina (die gelegentlich auch Gitarre spielt). Fünf wirklich hübsche Frauen machen originelle, avantgardistische Musik und präsentieren sich darüber hinaus in einer sehenswerten Show. Das frei inspirierte Saxophon testet die Dehnbarkeit der Nervenstränge; die ungewöhnlichen Vokal-Variationen machen aus einer einfachen Melodie ein extravagantes Erlebnis, was bei „Mädels Sind Toll“ vom Publikum dann auch mit dem angemessenen Jubel honoriert wird.

Kurze Umbaupause. Mittlerweile nieselt es, wie es sich bei einem zünftigen Festival gehört. Mit Lili Drop aus Paris tritt die interessanteste Gruppe des Abends auf die Bühne. Eine zierliche Frau unter blonden Engelhaaren arbeitet am Schlagzeug voller Energie und Gefühl: Violaine. Korin spielt Bass.

Der Mann, Lili Olimao (Gitarre, Gesang) wird als Frontfigur akzeptiert. Lili Drop spielen hart in der Tradition der ehemals Neuen Welle – der Höhepunkt des Tages, unbestritten.

Die meisten Zuschauer waren allerdings wegen der Slits ins Tempodrom gekommen. Ehemals eine der ersten Frauenbands in England, treten sie jetzt mit dem früheren Pop-Group-Drummer Bruce und Steve Bearesford (Klavier, Gitarre, Bass) auf. Ari up dokumentiert ihre Hingabe an den Reggae nicht nur durch das rot-gelb-grüne Kopftuch. Drummer Bruce zeigt als Weißer ein beachtliches Gespür für den rhythmischen Puls der Reggae-Musik. Das Publikum fängt die Schwingungen auf und wippt begeistert mit.

Den Abschluss des ersten Teils bildet die New Yorker Szene-Gruppe Unknown Gender. Lynne Messinger hat die Band gegründet, schreibt die Songs und spielt eine aufregend schräge Gitarre.

Pünktlich um zehn Uhr muss Schluss sein, so wollen es Polizei und Anlieger… hinter den Kulissen sorgen die Slits derweil für Aufregung. Es hat den Anschein, als begreifen sie sich in diesem Rahmen als Star Act und fordern daher Vergünstigungen. Die Managerin setzt sich lautstark mit dem Albatross-Personal auseinander. Mach Angaben des Veranstalters hatten sich die Slits nur unter der Bedingung zu einem Auftritt bereiterklärt, wenn noch weitere Gigs auf dem Plan stünden. Als sie am nächsten Morgen um sechs Uhr aufstehen sollen, um mit zwei anderen Bands im selben Bus weiterzureisen, entschließen sie sich aber, die Gigs in Hof und Hamburg sausen zu lassen und stattdessen nach Hause zu fahren. (Eine offizielle Erklärung der Slits sowie eine Stellungnahme der Veranstalter Albatross und Sonja Schwarz-Ahrend, die sich um die Auswahl der Frauenbands bemühte, findet Ihr gesondert im Kasten.) Am zweiten Tag erscheint jemand von der Bitch Band mit einem Schild: „Ich hasse dieses Fest“. Zwei andere tragen Papierschärpen mit der Aufschrift: „Männer + Frauen = Frauenbands?“ Die befürchteten Zusammenstöße bleiben jedoch aus. Im Grunde genommen sind die meisten Bands doch froh über die bisher einmalige Gelegenheit, sich in diesem großen Rahmen als Frauen-Musiker zu präsentieren und darüber hinaus viele andere kennenzulernen. Man emanzipiert sich in erster Linie in der kreativen Zusammenarbeit zwischen Frauen und Männern, anstatt sich hinter der sturen Forderung nach Nur-Frauen-Bands zu verschanzen.

Der zweite Tag beginnt mit Strapaze, einer Frankfurter Band, über die es im Info wohl eher wohlmeinend heißt, sie spiele alles von Punk bis Tango. Die Pink Plastics & Panties, die anschließend einen lebendigen Set voller Theater-Effekte zeigen, kommen aus Holland. Danach Liliput aus der Schweiz – früher als Kleenex bekannt Dann endlich der Glanz-Auftritt in diesem doch repräsentativ besetzten Festival: die Au Pairs. Sie reißen wirklich alle, die sich bisher auf den Bankreihen herumgedrückt haben unwiderstehlich auf die Beine. Im Sägemehl, wo sonst Clowns Kobolz schlagen, drängen sich die Zuschauer vor der Bühne. Live sind die Au Pairs viel härter, viel packender als auf Platte. Gitarristin/Sängerin Lesley lasst unter schwarzer Haarrmähne Kohleaugen funkeln: “ We don’t mind it you dance!“ ‚Keine Bewegung auf der Bühne zu viel, das Gruppengefühl perfekt und die Musik so klar und hart wie die Texte. „Come Again“ handelt vom simulierten Orgasmus, von einer IRA-Frau im Gefängnis. Bassistin Jane halt den Bass genauso selbstverständlich wie später ihr Handtäschchen. Die Männer in der Band, Drummer Pete und Gitarrist/Sänger Paul sind freundliche, relaxte Typen. Ihr Kommentar zur Diskussion um das Frauenfest: Dies seien Dinge, He beide Geschlechter angingen, es gäbe keinen Grund, sich da abzukapseln. In ihrer Gruppe gebe es da keine Schwierigkeiten.

Hinter den Kulissen des Berliner Venus-Weltklang-Festivals gab es Krach zwischen den Slits und den Albatros-Leuten. Die Slits ließen daraufhin ihre Anschlussigigs in Hof und Hamburg sausen und reisten ab. Die Presseerklärung, die sie daraufhin veröffentlichen ließen, könnt Ihr hier im wesentlichen Auszug nachlesen:

Die Slits waren gezwungen, ihre Deutschland-Tour nach nur einem Auftritt in Berlin abzusagen und zwar auf Grund der entwürdigenden Behandlung, durch Albatros Concerts Berlin, die die Tourneebetreuten. Zu den verschiedenen Faktoren, die zum Abbruch der Tour führten, gehören die folgenden Punkte:

Aufgrund des völligen Mangels an Organisation wurde ihr Set so beschnitten, dass gerade noch eine halbe Stunde übrigblieb. Man ließ sie stundenlang warten, während die Organisatoren mit sich selbst zu tun hatten (got themselves organised). Die Show, die als Fest angekündigt war für Frauen, die Musik machen, war nichts weiter als eine Flut von Frauen, die sich dabei wie Männer aufführten (mit Ausnahme von Malaria).

Dem Veranstalter war ganz offensichtlich nicht an der Sache der Frau gelegen, sondern eher daran, eine schnelle Mark zu machen, indem er Frauen ausbeutet…“

Zu den Vorwürfen der Slits äußern sich Albatros Concerts und Sonja Schwarz-Ahrend als Co-Veranstalter wie folgt Die Slits haben ihren Vertrag nicht eingehalten. Um in Hof auftreten zu können, hätten sie aus Termingründen morgens um sechs Uhr mit den anderen Gruppen in einem Bus nach Hof fahren m müssen. Der von ihnen geforderte Extrabus konnte ihnen zum einen aus finanziellen, in der Hauptsache jedoch aus zeitlichen Gründen nicht zur Verfügung gestellt werden, denn die Slits wollten erst um 13 Uhr aufbrechen. Da die Fahrzeit allein fünf Stunden beträgt und bereits um 17 Uhr Einlass war, war dies mit dem Terminplan nicht zu vereinbaren. Ihre Sonderwünsche entsprachen nicht den vertraglichen Vereinbarungen. So wurde ihnen erklärt, dass ihre anschließenden Gigs abgesagt würden, wenn sie sich nicht zur vereinbarten Zeit vor dem Hotel einfinden würden.

Zur Organisation: Um einen großen Überblick über die Entwicklung des Frauenrock zu geben, haben wir auch möglichst viele Bands eingeladen, so dass sich pro Tag sechs Gruppen vorstellen konnten. Daher wurde allen dieselbe Auftrittszeit von 45 Minuten eingeräumt, da im Tempodrom nach 22 Uhr keine Livemusik mehr erlaubt ist. Leider verzögerte sich der Soundcheck, weil in England das Flugpersonal streikte und die PA so erst nachts in Berlin eintraf.

Zum Thema schnelle Mark: Wir haben ein Risiko gewagt und sind auch prompt darauf sitzengeblieben und zwar mit DM 50.000 Defizit.

Wenig später geht ein Bierdosenhagel auf die Italienerin Gianna Nannini nieder. Die Frau mit der rostigen Stimme wird allgemein als Fremdkörper empfunden, wohl nicht zuletzt wegen ihrer „Mackerband“. Während die anderen Gruppen mit Gefühlen sparsam umgehen, verdreht sie die Augen und reckt die Arme, um einen imaginären Mond vom Himmel zu holen – für einen Jungen natürlich. Einige nehmen ihr die dramatische Pose übel. (Dabei hatte gerade Gianna im Rahmen ihres Philosophiestudiums die Examensarbeit über die Rolle der Frau in der Musik geschrieben! -Die Red) Ein großer Teil der Besucher hat sich, wie es scheint, aber doch gerade auf die Italienerin gefreut und lässt sich ihren Auftritt voll rockig melodischer Songs nicht vermiesen. Harten R & B fahren danach die Bloods mit Sängerin Adele Bertei (ex-Contortions) auf-keineSensation.

Spöttische Mienen gibt’s zunächst, als die Veranstalter eine Band ankündigten, die sogar Girlschool noch in den Schatten stellen soll: die Hardrock-Formation Wicked Lady. Sie fetzen tatsächlich, was das Zeug hält Sue Exley, seit zehn Jahren im Geschäft, ging mit ihren Musikerinnen vor geraumer Zeit von England ins Holländische Maastricht, „weil das Leben da einfacher ist als zuhause.“ Zur Diskussion um dieses Festival meint sie: „Es hat keinen Sinn, eine Band nur aus Frauen zu gründen, weil das gerade angesagt ist. Sie müssen einfach auch gut sein, sonst lässt man lieber die Finger davon.“

Dieses Resümee von Sue könnten sich dann auch folgende Bands zu Herzen nehmen: Die Insisters aus Berlin sind noch auf der Suche nach der individuellen Linie. Kollaps, eine Women’s-Lib-Gruppe aus Schweden, hätte wohl auf einer Bauernhochzeit besser ausgesehen, während Carambolage aus Flensburg die Mängel im musikalischen Konzept immerhin durch einen guten Bühnen-Act ausgleichen. Die Mo-Dettes spielen danach – unbelastet von allen gesellschaftspolitischen und sonstigen Diskussionen ihre poppig-lockere Tanzmusik. Das Publikum steigt dankbar darauf ein.

Wie ein guter Krimi endet das Venus-Weltidang-Festival dann mit einer unerwarteten Überraschung. Die Hausfrauen aus New York nutzen die Bühne für eine Performance mit Fetzen absurden Theaters. Vor gut einem halben Jahr von zwei 18jährigen Mädchen gegründet, spielt die Formation (drei Frauen, zwei Manner) spannungsgeladene Kompositionen. Gitarre, Schlagzeug, Keyboards, Klarinette, Stimmen (Gelächter) transportieren die surrealistischen Texte in einem eigenwilligen Spektrum zwischen Düsterem und schwarzem Humor.

Sonja Schwarz-Ahrend, Mitinitiatorin dieses Festivals und maßgeblich beteiligt an der Auswahl der Bands, bereitet einen Fernsehfilm über Venus Weltklang für das Fernsehen vor, der im Dezember im Dritten Programm vom SFB ausgestrahlt werden soll. Auch der Rockpalast wird zweimal 45 Minuten lang Ausschnitte von diesem Frauen-Festival zeigen.

„Venus Weltklang“ hatte – so die Veranstalter – keinen ausschließlich feministischen Anspruch. Vielmehr hat es ein wichtiges Forum geschaffen für die Präsentation der Frau in ihrem Selbstverständnis als Musikerin.