Mika Über Das Erwachsen Werden
Über seine sexuellen Vorlieben schweigt sich Mika weiterhin beharrlich aus - dafür offenbart der Sänger, was ihm durch die Pubertät half und welche Rolle ein rappender Obermacho aus Jamaika dabei spielte.
Dein neues Album erzählt vom Erwachsenwerden, kurz: von der katastrophalsten Zeit im Leben.
Genau. Von den Höhen, den Tiefen, den Seitwärtsbewegungen und den Kopfständen. Es ist auch eine Zeit, in der man immer mehr Fragen als Antworten im Kopf hat.
Ich würde sogar weicer gehen: Es gibt viele Fragen und gar keine Antworten. Bis du irgendwann einsiehst, dass du selbst derjenige bist, der die Antworten geben muss.
In der ersten Single „We Are Golden“ singst du: “ Teenage dreams in a teenage circus / Running around like a down on purpose.“ Es geht nicht darum, irgendwo anzukommen, sondern ums Rennen selbst? Ganz genau. Im Text geht es dann auch so weiter: „Running around again I Running from running.“ Es scheint sich immer alles ums Rennen und Vorankommen zu drehen, bis dir irgendwann klar wird, dass du eigentlich gar nicht so viel herumrennen musst.
Bist dahin hast du dir aber schon einen Wolf gelaufen …
O ja. Und du läufst nicht nur irgendwo hin, sondern auch vor so vielen Dingen davon. Davor, was andere von dir denken. Vor der Vorstellung, was eventuell einmal aus dir werden könnte. Und davor, wer du wirklich bist.
Als ich 18 Jahre alt war, hatte ich keinen blassen Schimmer davon, wer ich wirklich bin. Wie erging es dir?
Um ganz ehrlich zu sein, als Teenager habe ich mich wie ein Freak gefühlt. Ich hatte große Probleme mit dem Lernen und wurde von den Mitschülern gemobbt. Außerdem hatten wir kaum Geld. Ich war oft sehr wütend. Aber es gab auch Glücksgefühle. Die meisten habe ich in meine Musik gepackt. In den Schulpausen habe ich mich immer in ein leeres Zimmer verdrückt und habe dort Songs geschrieben. Es war fast, als bastelte ich eine Art selbst gemachte Bombe kein sehr ehrenvoller Gedanke, ich weiß, aber mir hat das einfach ein gutes Gefühl gegeben. Ich musste gar nicht dazugehören. Ich glaube, die Musik hat dieses Gefühl bei mir ausgelöst: Wenn ich schon ein Freak bin, dann werde ich zumindest der schönste Freak von allen.
Auf die Musik konntest du dich verlassen – im Gegensatz zum eigenen Körper, der sich in der Pubertät schneller verändert, als man mit dem Geist hinterherkommt.
Der sexuelle Teil ist so wichtig! Du musst dir ja ein neues Körpergefühl aneignen. Im Video zu „We Are Golden“ tanze ich in Unterhosen in einem Kinderzimmer herum. So, als wäre ich wieder 17. Ich probiere Klamotten an und ziehe sie wieder aus. Letztlich probiere ich mein neues Ich aus. Mal tue ich so, als wäre ich cool und dann tue ich wieder so, als wäre ich schwach. Die Idee zu dem Song kam mir, als ich auf dem Weg ins Studio in London ein Graff ito sah. Ich habe mir überlegt, was ich wohl heute an eine Wand sprühen würde, wenn ich ein Teenager wäre. Und mir gefiel die Idee, zu sagen: „Ich bin nicht so, wie ihr denkt, dass ich bin – ich bin aus Gold!“
Während dieser Zeit sind Vorbilder ja auch ganz wichtig. Wen hast du bewundert?
Shabba Ranks! Er war so seltsam. Ich war ein kleiner Junge, der in Paris mit einer libanesischen Mutter aufwuchs. Und Shabba war dieser riesige Cartoon-Charakter aus Jamaika. Mir war schnurz, über was er gesungen hat oder wofür er stand (Ranks wurde u. a. wegen homophober Texte kritisiert – d. Aut.). Es ging mir nicht um ihn, sondern um diese ganze Absurdität. Das war eine ganz eigene Welt. Popmusik funktionierte nach Regeln, die ganz anders waren als die, die in der normalen Welt galten. Popmusik musste sich nicht verteidigen.
Gehen wir noch einen Schritt zurück, in die Kindheit. Literarisch betrachtet eine Zeit der Unschuld, in der Realität klaut einem die blöde Bianca das Pausenbrot, und die Eltern raffen nichts… Du schneidest genau das an, um was es nur geht: Ich liebe die Idealvorstellung von Kindheit, diese naive Perspektive aufs Leben. Aber als ich älter wurde, wurde mir klar, dass es das so nicht gibt. Ich hatte so viel Stress in der Schule, wurde schikaniert und tyrannisiert, weil ich anders war. Die Frage, die sich später stellte, war: Wenn ich diese kindliche Naivität so mag, aber gleichzeitig auch die andere Seite der Medaille kenne, wie schaffe ich es, beide zusammenzubringen? Das ist der Grund, weshalb ich mich so früh in die Musik verliebt habe: weil ich hier Freude und Dunkelheit kombinieren kann. Das Ergebnis ist eine sehr fröhliche Musik mit sehr traurigen Texten. Erst dann wird es magisch, alles andere wäre hohler Eskapismus. Songs wie „Rain“ und „Blame 1t On The Girls“ sind fast bittere Songs. Sie sind traurig, aber sie hinterlassen doch ein Gefühl von Stärke. Ich glaube, das ist das größte Teenage-Charakteristikum des Albums: Die Texte sind hart, grob und traurig, aber die Musik gibt dir ein Gefühl von Freude. Diese Kombination ist die Art Sicherheitsnetz, die ich spannen wollte während meiner Adoleszenz.
Eine deiner Schwestern hat erneut das Artwork gestaltet, die andere begleitet dich während der Aufnahmen. Sind sie auch ein wichtiger Teil deines Sicherheitsnetzes.‘ Ich bin einfach daran gewöhnt, sie um mich zu haben, weil ich schon immer so gearbeitet habe. Es funktioniert. Wir sind brutal ehrlich zueinander, streiten uns andauernd, es sind wahrhaftige Beziehungen.
Haben sie auch als Erste die neuen Songs gehört?
Nein, die spiele ich Freunden oder meinem Produzenten Greg Wells vor. Wenn ich auf meine Familie hören würde, hätte ich mich ja nie etwas getraut. Die Familie will grundsätzlich nicht, dass du dich veränderst. Das habe ich gerade wieder erfahren müssen: Meine Schwestern finden meinen Unterhosentanz im „We Are Golden“-Video einfach nur oberpeinlich. Aber das ist genau der Punkt, wo man ihnen sagen muss, dass sie in dieser Frage nichts zu sagen haben.
Zum Schluss wüsste ich gerne, ob die Musik immer noch dieselbe wichtige Rolle für dich hat wie zu der Zeit, in der du aufgewachsen bist?
Sie ist alles. Bei diesem Album habe ich auch gemerkt, wie sehr ich den handwerklichen Teil am Songschreiben liebe. So wie die Profisongschreiber, die früher im Brill Building in New York Tür an Tür saßen, wie Barry Mann und Neil Sedaka. Würdest du die fragen: „Bedeutet dir Musik noch genau so viel wie zu der Zeit, als du 15 Jahre alt warst?“ Die würden sich womöglich umdrehen und dir sagen, du sollst dich verpissen. Das ist einfach, was wir tun. Das ist, was ich tue.