Metallica ’84
Sie sehen aus, als wären sie geradewegs einem Horrorkabinett entsprungen. Peitschenschwingende Dominas und martialische Monster sind das optische Aushängeschild einer neuen Heavy Metal-Genearation, die auch ohne Chart-Notierungen erstaunliche Erfolge feiert. Aber wie neu sind die neuen HM-Götter wirklich?
Und wieder einmal ist Heayy Metal in aller Munde. Ästheten werden ihn zwar weiterhin zur Musik non grata erklären oder als vorsintflutliches Chaos aus Gewalt, Leder, horrenden Phonzahlen und Ausschreitungen geflissentlich übersehen. Doch das kann den Outcasts, den Headbangern und Metalfreaks eigentlich gleichgültig sein. Ihre Musik hat seit Jimi Hendrix‘ „Voodoo Chile“, Led Zeppelin und Black Sabbaths „Paranoid“ noch jede Mode überstanden.
Inzwischen sind aber auch die Medien wieder auf den Geschmack gekommen. Lange Zeit aus den Schlagzeilen verbannt und nicht selten als Neandertaler-Musik verschrien, ist gerade in den letzten Monaten ein wachsendes Interesse an lauten, schnellen und unvermindert aggressiven Bands zu beobachten. Erst kürzlich widmete das amerikanische Fachblatt „Guitar World“, sonst eher um Ausgewogenheit bemüht, dem heißen Thema unter der Überschrift „Heavy Metal auf dem Vormarsch“ zwei komplette Ausgaben. Und auch die Konkurrenz, das Magazin „Circus“, war nicht müde und veröffentlichte einen Special-Report mit dem Titel „The biggest noises in 1983 Rock“, in dem vom Metal Pop bis zum Schwermetall á la Judas Priest oder Iron Maiden alle zu Wort kamen.
Nur Eddie van Halen, einer der einflußreichsten Stilisten unter den jüngeren Axemen, schien da anderer Meinung zu sein und erklärte: „Ich weiß nicht mal, was das Wort bedeutet. Heavy Metal? Ein guter Name für ein Magazin.“
In hiesigen Breiten war es das 1983 gegründete Heavy Metal-Label „Noise“ aus Berlin, das in der Ankündigung eines Samplers mit der Behauptung warb: „Heavy Metal ist erneut zum internationalen Siegeszug angetreten. International setzen Ultrabands wie Metallica, Venom, Raven und Exciter neue Maßstäbe jenseits von Motörhead“
Da ist die Rede von „Gitarren-Sperrfeuer“ und von der “ orwegnahme kommender Apocalypse“ – so, als ob unheilschwangeres Raunen dieser Art den nötigen Beweis ersetzen könnte.
Optimisten in der Branche rechnen schon mit einer Renaissance dieses so oft geschmähten Genres; mancher geht sogar soweit, einen baldigen Boom des Heavy Metals zu prophezeien. Was vor Jahren noch der Punk in seiner lärmenden Pracht war, später dann die diversen Elektro-, Pop-, Funk und Rap-Bands erfüllten, soll jetzt, so mein Eindruck, auch der Heavy Metal sein: eine Wave, die möglichst „new“ und zudem „in“ ist.
Auch ohne diese häufig überzogene Euphorie in Sachen neue Welle gibt es unten, an der Basis, zahlreiche Anzeichen, die vor allem eins schlüssig belegen: die nach wie vor ungebrochene Attraktivität des reinen Heavy Metal, der Hard ’n‘ -Heavy-Mischform, des traditionellen Hardrock und anderer, mehr kommerzieller Spielarten.
Eine Vielzahl kleiner, unabhängiger Labels, sogenannte Independents, wie Shrapnel, Metal Blade und Mongol Horde aus Amerika, Neat, Ebony und Music For Nations aus England. Mausoleum aus Belgien oder Roadrunner und Rave On aus Holland drängen seit geraumer Zeit auf den Markt und zeigen den Etablierten, was mit Engagement und gezielten Aktivitäten möglich ist.
Die Bereitschaft, jungen und unbekannten Acts eine Plakatform zu bieten, ihnen eine erste Chance zu geben, um so verborgene Talente zu fördern, hat zu einer spürbaren Belebung und vielversprechenden Entwicklung in allen Sparten des Heavyrocks geführt. Amerikanische Bands wie Exciter, Metallica, Slayer, Tsunami, Bitch und Great White, Torch aus Schweden, Sortilege aus Frankreich, Baron Rojo aus Spanien, Mercyful Fate aus Dänemark, um nur einige wenige zu nennen, haben den Makel des blutigen Anfängers bereits überwunden und sich durch zum Teil bemerkenswerte Leistungen zumindest unter Insidern einen Namen gemacht.
Mit einer Einschränkung allerdings: Ihr Stil und die Wahl musikalischer Mittel, ob Black Metal mit seinen überholten Beschwörungsformeln, exzessiven Phantasien von unbesiegbaren Herrschern und versunkenen Reichen – oder aber auch konventionelle Muster – all das ist weder „new“ noch im eigentlichen Sinne „in“. Vielmehr orientieren sich auch diese Bands – wie vor ihnen Iron Maiden oder Def Leppard – an der Tradition, an den Größen, die die betreffenden Kapitel der Rockgeschichte geschrieben haben.
Wenn überhaupt, läßt sich die gegenwärtige Szene nicht nach Kriterien des „new“ und „in“ aufschlüsseln, (da Heavy Metal niemals „out“ war), sondern nur nach Trends.
Betsy, die Lady in Leder und Sängerin des US-Quartetts Bitch, meint auf die Frage nach ihren Vorbildern nur: „Ich hatte niemals Heavy Metal im Sinn. Ich mochte den gradlinigen Rock ’n‘ Roll. Meine Favoriten waren die Beatles und als Performer Alice Cooper; das wär’s auch schon im Heavy-Bereich.“
Vom Image, der Vorliebe für Peitschen, Ketten und anstößige Utensilien, und einem schlichten, einfachen Hardrock-Background lebt die Show und das Format dieser Band, die vom Gitarristen David Carruth und Drummer Robby Settles 1980 in der Nähe von Los Angeles aus der Taufe gehoben wurde. Beide Elemente verbinden sich auf DAMNATION ALLEY, einer EP von ’82, und dem LP-Debüt mit BE MY SLAVE von ’83 zu einem Versuch, der deutlich auf der Linie von Twisted Sister oder Mötley Crüe liegt: Verkleidung als Stil – ein Deodorant, das wirkt.
MUYA, was ausgeschrieben soviel bedeutet wie „Metal Up Your Ass“, heißt das Motto der amerikanischen Youngster Metallica, die 1983 mit ihrem speedigen Erstling KILL ‚EM ALL für Furore sorgten. Metal ohne Schnörkel und Abstriche ist von Beginn an das Ziel, die Richtschnur, an die man sich seit der Gründung im Oktober 1981 konsequent hält, wobei „up your ass“ als freundschaftliche Aufforderung ans Publikum zu verstehen ist. Ein Song für den METAL MASSACRE I-Sampler, ein NO LIFE TILL LEATHER betiteltes Demoband mit sieben und ein zweites mit zwei Songs sind die weiteren Stationen auf dem Weg zum Vertrag, den die Band im April 1983 unterzeichnet. Metallicas Stärke, bei aller
Geschwindigkeit und allem „Sturm und Drang“ immer auf Präzision zu achten, hebt sie aus dem breiten Mittelmaß heraus.
„Wir versuchen, die Wucht von Black Sabbath, das Tempo von Judas Priest und die rhythmische Elastizität von Saxon einzulangen, vermischen dies miteinander und hoffen, daß dabei etwas herauskommt, was wie Exciter klingt“, formuliert John Ricci, Gitarrist des kanadischen Trios Exciter, den Schmelz-Prozeß zu ihrem ersten Longplayer HEAVY METAL MANIAC von 83.
Ihren Einstand feierte die Band – in der klassischen Besetzung Gitarre, Baß und Drums – auf dem Shrapnel Sampler US-METAL II 1982 mit einem Song, der allein schon durch seinen abgeschmackten Titel „World War IM“ aus dem Rahmen fiel. Für Exciter steht, so hat es jedenfalls den Anschein, in jeder Minute ihres Spiels immer gleich die ganze musikalische Existenz zur Debatte, so bedrohlich klingt alles.
Bei Torch, einer Band aus Schweden, die 1980 gegründet wurde, als Black Widow begann und sich im März ’81 ihren heutigen Namen gab, sind die britisch gefärbten Einflüsse und Anleihen unverkennbar. Sänger Dan Dark, mit seinen 23 Jahren der Älteste, und die anderen Vier ergänzen sich optimal und entfalten dabei eine Virtuosität und einen Sinn für reichhaltige Melodien, der ihrem großen Vorbild Iron Maiden alle Ehre macht. Torch ist eine Band mit Zukunft, das hat die Mini-LP von ’82 und das jüngste Werk aus dem letzten Jahr eindrucksvoll bewiesen.
Bitch, Metallica, Exciter und Torch – das ist nur die talentierte Spitze eines Eisberges, der sich mit aller Macht bemerkbar macht. Ist es nun „die Zukunft des Heavy Metals“? Zukunft sicher nicht in dem Sinne, daß da musikalisch grundlegend Neues auf uns zukommt. Sicher, die Musik ist oft genug noch schneller und aggressiver geworden, die Kostümierungen noch bizarrer und marktschreierischer, die Cover-Gestaltungen noch phantastischer. Grundsätzlich aber baut die neue HM-Generation durchaus auf der Tradition auf. Die Zukunft des Heavy Metals ist sie insofern, als sie die Tradition in eben diese Zukunft fortführt.