Matratzen- gruft adieu!


Nach 32 Jahren feierte das legendäre Inner Space Studio der Kölner Rock-Pioniere Can Kehraus.

Die Ankunft der Band Can im 12.000-Einwohner-Örtchen Weilerswist vor den Toren Kölns im Winter 1971 muss wie der Besuch einer Delegation Außerirdischer gewirkt haben. Andrea Zavelberg, Tochter des örtlichen Bäckermeisters und damals sechs Jahre alt, kann sich noch gut erinnern, wie ihre Mutter sie und die Brüder beim ersten Auftritt der neuen Nachbarn mahnte: „Kinder, kommt rein, das sind komische Leute!“ Und die komischen Leute, langhaarige Typen in Pelz-und Lederjacken mit Instrumentenkoffern, führten Seltsames im Schilde: ein altes Kino in ein Aufnahmestudio zu verwandeln, mit 1.000 Seegrasmatratzen aus Bundeswehrbeständen als Lärmschutz und einer Batterie von Musikmaschinen, Aufnahmegeräten und Hallspiralen; sogar ein Oszillator war dabei.

Spätherbst 2003. Heute bewirten die Zavelbergs einen aus ganz Deutschland zusammengetrommelten Haufen Journalisten: Cans Inner Space Studio feiert Kehraus. Es wird komplett abgebaut und nach Gronau ins „Rock’n’Pop-Museum“ verbracht, als Nukleus einer multimedialen Kunsthalle. Holger Czukay, Jaki Liebezeit und Irmin Schmidt sind gekommen, um im alten Ambiente ein bisschen Historie zum Besten zu geben. Die Kinokasse am Eingang steht noch, die Loge kostet demnach 2,70 DM, der Sperrsitz 2,20 DM. Das Schummerlicht erinnert an Jugendzentrumszeiten, nur die Drogen fehlen. Besucherhände streichen über die gebatikten Bezüge der Matratzen; der Mythos Can trägt eine gewisse Melancholie. Schon cool hier. Beachtenswerter war nur noch das große Rock- und Pop-Oratorium, das Can in zahlreichen Tag- und Nachtsessions ab 1972 in ihrem Inner Space für die Nachwelt aufbereiteten: Seit der Single „Spoon“ für den Durbridge-Krimi „Das Messer“ arbeitete die Band in Weilerswist an jener genialen Vereinfachung der Rockmusik, die über den Umweg England und USA mit schönem Delay doch noch in Deutschland ankam. 1978 übernahm Cans Toningenieur Rene Tinner das Studio in Weilerswist.

Cans Weltgeltung schützte nicht vor Indifferenz. Weilerswist, meint Andrea Zavelberg, hatte die Neuen bald abgehakt. Sie gehörten dazu, ohne richtig dazuzugehören. Einen Popstar hatte der Ort schon: FCKicker Pierre Littbarski wohnte hier. Can schlössen sich in ihr Königreich ein. „Unsere Arbeitsweise“, sagt Drummer Jaki Liebezeit, „hätte man in einem normalen Studio nicht bezahlen können. Das hätte Millionen gekostet.“ Er empfindet keine Wehmut beim Abbau des Studios, das die Musiker in den letzten Jahren nur noch vereinzelt benutzt haben. „Dass Inner Space jetzt in Gronau aufgebaut wird, finde ich okay. Die Zeit der Musikstudios ist sowieso vorbei.“

Da sitzen die drei verbliebenen Original-Recken samt Publikum auf alten Couchgarnituren in der Zeitmaschine. Auf großer Leinwand werden Ausschnitte aus der eben veröffentlichten Can-Doppel-DVD geboten. Das „Free Concert“ 1972 in der Kölner Sporthalle, Fotosessions, Auftritte fürs britische Fernsehen, drei aktuelle Remixe. Matthew Herbert wird eingeblendet: „Can waren mutig, manisch und meilensteinig.“ Und manchmal, dies zur Erinnerung, auch komisch.